Denis Villeneuves "Arrival" im Kino: Zeichen und Plunder
Schwebende Eier, Riesen-Tintenfische als Aliens und eine Linguistin, die ihre Sprache verstehen will: Denis Villeneuves „Arrival“ ist Science Fiction der etwas anderen Art.
Zwölf Raumschiffe landen auf der Erde, na und, was geht sie das an? Louise Banks hat gerade ihre Tochter verloren. Mag sein, sie hätte es kaum wahrgenommen, wenn die Außerirdischen in ihrem Garten gelandet wären. Klingt ziemlich ... strange, sagt man wohl.
„Arrival“ ist der Alien unter den Science-Fiction-Filmen. Man erkennt das schon am Beruf der Louise Banks. Sie ist Linguistin. Welcher normale Sci-Fi-Zuschauer will 90 Minuten lang eine Linguistin anschauen? Andererseits ist der Kanadier Denis Villeneuve, zuletzt für den Thriller „Sicario“ mehrfach oscarnominiert, gewiss kein Nachfahre des „schlechtesten Regisseurs aller Zeiten“, Ed Wood, mit seinem legendären „Plan 9 from Outer Space“ (1959).
Zwölf Raumschiffe, und jedes sieht aus wie ein leicht deformiertes, längliches Ei des Kolumbus. Man hatte Kolumbus einst vorgehalten, jeder hätte Amerika entdecken können. Worauf Kolumbus fragte, ob auch jeder ein Ei mit dem Kopf auf den Boden stellen könne. Keiner schaffte es, nur Kolumbus. Er rammte das Ei verkehrtrum auf die Tischplatte. Die besondere Pointe in „Arrival“: Die außerirdischen Eier schweben ein paar Meter über der Erdoberfläche. Sie sind gelandet, ohne zu landen. Und sie haben nicht nur Amerika, sondern auch Russland, China und andere Welten entdeckt, verteilt mit staunenswerter geopolitischer Sensibilität und Kenntnis. Gezeigt wird aber immer nur das eine Raumschiff, das über Amerika.
Amy Adams trägt auch diesen Film
Die Zone ringsherum: militärisch abgeriegelt, die Welt steht kopf, Colonel Weber (strategisch-kontrolliert: Forest Whitaker) leitet die Anti-Alien-Taskforce. Aber wie? Das weiß er selber nicht. Man könnte das Fremd-Ei natürlich bombardieren, man könnte es aber auch zuerst fragen, was es will. Und genau hier kommt die Linguistin ins Spiel. Denn wer sollte die Sprache der Außerirdischen verstehen, wenn nicht sie, die Spezialistin für die entlegensten Dialekte?
Villeneuve hat gesagt, dies sei das einfachste Casting seiner Laufbahn gewesen. Wenn das Publikum an diese Wissenschaftlerin glaube, glaube es alles andere auch. Also: Amy Adams. Ein Gesicht, das nicht auffällt, nicht hässlich, nicht schön. Und doch gehört Amy Adams zu den gefragtesten Schauspielerinnen der Gegenwart, und sie trägt auch diesen Film.
Sie verlor ihr Kind, sie hat nichts mehr zu verlieren. Sie trifft im Einsatzcamp auf einen Mathematiker, der sicher ist, dass die Ursprache eines jeden intelligiblen Wesens des Universums keine Sprache ist, sondern die Mathematik. Und dann steht sie den Fremden gegenüber. Wie gut es doch die Science-Fiction-Autoren haben! Sie brauchen die Außerirdischen nur zu beschreiben, sie müssen sie nicht zeigen. So auch Ted Chiang in seinem Buch „Story of Your Life“, dessen Faszinationsspur der Film „Arrival“ folgt. Und das ist ein Unterschied um alles.
Diese Aliens nun sehen aus der Art geschlagenen Riesen-Tintenfischen irritierend ähnlich. Vielleicht wollten die Filmemacher der Intelligenz der Kraken ihre Reverenz erweisen, denn Tintenfische sind gar nicht doof. Die öffnen jedes Schraubglas, wenn sie den Inhalt begehrenswert finden. Das Ausschlaggebende für das Casting der Oktopusse aber war gewiss ihr Tintenbeutel. Denn es handelt sich um eine schreibende Spezies.
Die Linguistin nähert sich der Sprache der Aliens an
Ihre Schriftzeichen sind immer kreisförmig, und Louise Banks macht sich an die Entzifferung. Sprachen sind Denkräume: Könnten wir den Begriff „Gott“ nicht denken, hätten wir ihn je für wirklich gehalten? Jeder Science-Fiction-Autor ist ein Philosoph auf Abwegen; auch der Filmemacher Villeneuve macht da keine Ausnahme. Die Tintenfische nun schreiben notfalls mit acht Armen und beginnen ihre Zeichenkreise von vorn und hinten zugleich. Aber wo ist in einem Kreis denn hinten, wo vorn?
Je mehr die Linguistin in der Alien-Oktopus-Sprache zu denken beginnt, desto zukunftsfühliger, zukunftssichtiger wird sie. Zugleich beginnt die Weltlage außer Kontrolle zu geraten, China und Russland wollen ihren Eiern sogar den Krieg erklären. Und so fort. Ein wenig edwoodhaft bleibt wohl jeder Science-Fiction-Film. Unter ihnen aber ist „Arrival“ immerhin ein kleines Ei des Kolumbus.
In 20 Kinos; OV: Cinestar SonyCenter und Colosseum; OmU: Central, Rollberg, FaF, Filmrauschpalast und Kulturbrauerei
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