Blueberry-Hommage „Das Trauma der Apachen“: Wiederbelebung im Wilden Westen
Joann Sfar und Christophe Blain versuchen sich an einer Neuinterpretation des Comic-Klassikers „Leutnant Blueberry“ – das Ergebnis ist zwiespältig.
„Spirou“ von Émile Bravo und Flix, „Lucky Luke“ von Mawil, „Harry und Platte“ von Blutch – dass Comic-Klassiker aus Belgien und Frankreich neuinterpretiert werden, zum Teil auf radikale Weise, ist nichts Neues mehr.
Aber im Fall von „Blueberry“ ist man doch sehr gespannt. Schließlich handelt es sich hier um eine Serie, die von Jean-Michel Charlier und Jean Giraud, ihren Schöpfern, so stark geprägt wurde, dass eine größere Abweichung von den vorhandenen Mustern kaum vorstellbar ist.
Mit Joann Sfar („Die Katze des Rabbiners“) und Christophe Blain („Quai d’Orsay“) stellen sich dieser heiklen Aufgabe zwei künstlerische Schwergewichte, die allerdings im Bereich der realistischen Abenteuercomics bislang nicht tätig waren.
Mit einem humoristischen Kontrapunkt beginnt, bevor es recht düster wird, dann auch „Das Trauma der Apachen“ (Egmont Comic Collection, 64 S., 15 €). Blueberry erklimmt, sein Pferd am Zügel, einen steilen Berg, genießt die Aussicht in die Ferne und stellt, bevor er sich in den Schatten eines Baums legt, zufrieden fest: „Von hier sieht man alles … und es ist nichts los.“
Rache für die Ermordung von Frau und Tochter
Dabei bleibt es natürlich nicht. In der Ebene sind zwei junge Männer und eine junge Frau unterwegs, die zu der in der Nähe wohnenden Sekte des Predigers Dahlstrom gehören.
Als die Männer eine Indianerin beim Baden überraschen und sie vergewaltigen wollen, kommt es zu einem Kampf. Die Begleiterin der Männer greift ein, schießt, die Indianerin und ihre Mutter bleiben tot zurück.
Blueberry bringt die Leichen ins Lager der Apachen, wo der Krieger Amertume, den Weißen ohnehin nicht wohlgesonnen, blutige Rache für die Ermordung von Frau und Tochter schwört.
Unheil droht also, aber auch in Fort Navajo, wo Blueberry stationiert ist, steht es nicht zum Besten. Der Leutnant empfindet seinen Dienst dort als „Hölle“, obwohl – oder weil – er mit Ruth, der jungen, attraktiven Frau des Kommandanten Tyreen, eine Affäre am Laufen hat.
Tyreen wiederum verspürt wenig Lust auf seinen Job, sondern spielt lieber Schach gegen einen Automaten, den ein durchreisender Konstrukteur mechanischer Puppen ihm präsentiert hat. Nur Jimmy McClure, Blueberrys alter Kumpel, ist zufrieden, solange es etwas zu saufen gibt.
Ein dramaturgischer Missgriff
„Das Trauma der Apachen“ greift einerseits tief in die Vergangenheit der Serie zurück. Mit den ganz frühen, in der ersten Hälfte der Sechziger entstandenen Alben teilt der Band zentrale Motive: das isoliert im Südwesten der USA gelegene Fort als Schauplatz; die Position Blueberrys innerhalb der Armee; die Gefahr eines Indianerkriegs, der durch das Fehlverhalten einzelner Weißer und „Rothäute“ unabwendbar scheint.
Zu dieser Anmutung des Altmodischen tragen auch die vor allem am Anfang häufigen Blocktexte bei, die das, was in den Panels ohnehin zu sehen ist, noch einmal benennen. Wenn etwa die junge Frau aus der Sekte mit ihrem Colt auf Blueberry zielt, ist zu lesen: „Bimhal zögerte eine Sekunde zu lang, den Leutnant zu erschießen. Nun kann sie es nicht mehr.“
Sicherlich, bei Charlier findet sich Ähnliches; heute jedoch sind solche Doppelungen nur noch ein dramaturgischer Missgriff. Sie wirken mitunter sogar unfreiwillig komisch – oder sollen sie eine unvermittelt gesetzte parodistische Spitze sein? Auf jeden Fall rauben die völlig überflüssigen Worte den Bildern, gerade in dramatischen Momenten, einiges von ihrer Kraft.
Hommage an „Spiel mir das Lied vom Tod“
Andererseits bemühen sich Sfar und Blain, die gemeinsam das Szenario verfasst haben, entschieden darum, „Blueberry“ zu modernisieren. Noch mehr als in den späteren Alben der Serie ist ihnen die Schweiß-, Blut- und Gewaltmythologie des Italowestern eine unentbehrliche Referenz, bis hin zur offenen Hommage an zwei Stars aus „Spiel mir das Lied vom Tod“: Ruth Tyreen schaut aus wie Claudia Cardinale und der afroamerikanische Soldat Jenkins wie Woody Strode.
Eine Figur wie der wahnhaft-religiöse, inzestuöse Dahlstrom wäre in einem klassischen „Blueberry“ nicht denkbar, ebenso wenig wie der gebrochene Tyreen, der sich verzweifelt an seine ihm untreue Frau klammert und nicht vergessen kann, welche Schandtaten er in seiner Karriere begangen hat.
Problematisch ist jedoch die Entscheidung, Blueberry entzaubern zu wollen. Er macht mehrfach keine glückliche Figur: von einem Steinwurf niedergestreckt, lässt er die Mörder der Indianerinnen entkommen; bei einem Wettschießen unterliegt er seinem Gegner; bei einer Mission schläft er ein und kann nicht verhindern, dass fast alle, die ihn begleiten, getötet werden.
In einem Gespräch mit Ruth gesteht er gegen Ende, dass er seiner Ansicht nach „nichts wert“ sei, im Zivilleben nicht, und auch nicht als Soldat. Das alles passt zu Blueberry nun überhaupt nicht. Sein unverwüstlicher Charme besteht gerade darin, dass er die perfekte Mischung aus einem strahlenden klassischen Helden und einem abgebrüht-coolen modernen Helden darstellt. Ein schwächelnder, ein depressiver Blueberry aber – das ergibt keinen Sinn.
Erhebliche konzeptionelle Schwächen
Dass man bei der Lektüre nicht zu sehr die Laune verliert, liegt vor allem an den Bildern. Anders als mehrere seiner französischen Kollegen, die Western zeichnen, erweist Blain sich dem übermächtigen Einfluss Girauds gegenüber als völlig immun.
Er zeichnet realistischer als in seinen sonstigen Arbeiten; durch ihre Flächigkeit und die Art der Schraffur haben seine Bilder aber oft etwas Holzschnitthaftes, die sie vom reinen Realismus entfernt. Der majestätischen Landschaft des Westens huldigt er weniger als Giraud; wenn er dies tut, gelingen ihm starke Momente.
Unterm Strich bleibt von „Das Trauma der Apachen“ ein zwiespältiger Leseeindruck. Ein zweiter, abschließender Band wird folgen; erst dann wird ein abschließendes Urteil möglich sein. Aber dass dieser Auftakt erhebliche konzeptionelle Schwächen hat, die das Artwork allein nicht ausbügeln kann – daran gibt es leider keinen Zweifel.
Christoph Haas
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