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Das Wesen des Westerns. Szene aus dem zweiten Band der Reihe, der kürzlich auf Deutsch erschienen ist.
© Illustration: Blain/Reprodukt

Western-Hommage: Die Empfindsamkeit der Outlaws

Drei Männer und das andere Geschlecht: Christophe Blain definiert in „Gus“ die Liebe im Western neu.

Aus dem Boden des Westerns noch etwas Neues zu gewinnen, scheint so aussichtsreich zu sein wie auf dem Boden Karthagos ein Gemüsebeet anzulegen, nachdem die Römer dort Salz ausgestreut hatten. Alle Mythen des Genres wurden etabliert, umgedeutet und dekonstruiert. Wer sich da auf die Suche nach noch unbeschrittenen Wegen begibt, droht sich im Labyrinth der Tradition zu verirren. Das gilt für den Film ebenso wie für den Comic, wo sich jede Geschichte mit einem unerreichten Klassiker, Jean-Michel Charliers und Jean Girauds „Blueberry“, messen lassen muss.

Das Sexualleben in der Prärie

Christophe Blains Westernserie „Gus“ erscheint auf den ersten Blick wie die Flucht in die Persiflage: Während die Indianer Blueberry „Gebrochene Nase“ nannten und die Gesichtszüge von Jean-Paul Belmondo ihm die Aura personifizierter Coolness verliehen, zeichnet sich Gus allein schon durch seinen pinocchiohaften Kolben aus. Tatsächlich dreht Blain dem Genre nicht die lange Nase, sondern spürt den Spuren nach, die sich hinter den Lücken der epischen Erzählungen verlieren: denen der Liebe. Im Wilden Westen gibt es keinen Liebeskummer, höchstens einmal aus einem Missverständnis heraus eine kurze Verzögerung, bis sich der Held und sein love interest in die Arme fallen. Und schon gar nicht gehören das Familienleben oder Treue zu den Dingen, die den lonesome cowboy beschäftigen. Das Sexualleben von Gesetzeshütern und von Gesetzlosen bedeutet entweder als Sahnehäubchen auf dem jüngst erworbenen Ruhm etwas oder als Nuance eines verdorbenen Charakters. Weibliche Figuren haben ihre Erfüllung gefunden, wenn sie so hinreißend sind wie Angie Dickinson in Howard Hawks „Rio Bravo“.

Wahre Freundschaft

In den Episoden um Gus und seine Kumpels sind es die Bank- und Zugüberfälle, die sich als Schmuckwerk um die Liebesgeschichten und -hoffnungen ranken und nicht umgekehrt. So schnell wie Gus mit dem Revolver ist, so langsam ist er, wenn es darum geht zu begreifen, wie er dauerhaft Erfolg bei Frauen haben könnte. Sein Präriemitbewohner Gratt kauft ihm seine Aufschneidereien nur ab, weil er ein etwas unbedarfter Sonnyboy ist. Clem bildet das Gegengewicht zu Gus: Als ernsthafter Familienvater versorgt er mit den Überfällen seine Frau und seine Tochter, die er so innig liebt, dass er nicht bemerkt, wie sehr sie aus dem Häuschen geraten, wenn Gratt auftaucht.

Mit dem zweiten Band „Schöner Bandit“ avanciert Clem zum Protagonisten der Serie. Nachdem der Brummbär mit der roten Blumenkohlfrisur in El Dorado die traumwandlerisch schöne Isabella getroffen hat, ist er zwischen den Welten hin - und hergerissen, stets verfolgt von seinem einäugigen Über-Ich. Als Gus und Gratt belauschen, dass Clem ihnen eine Frauengeschichte verschwiegen hat, wissen sie, dass es ernst sein muss, und nehmen sich eines missliebigen Mitwissers an, um Clems Ehe nicht zu gefährden. Nach getaner Arbeit dringen sie nicht weiter in ihn, um die Details aus ihm herauszukitzeln, obwohl er schweigt. Freundschaft beweist sich in „Gus“ mit Zartgefühl.

Die Wirklichkeit der Farben 

So wie Christophe Blain Elemente aus der Filmgeschichte übernimmt, etwa aus „Der Mann, der Liberty Valance erschoss“ oder „Butch Cassidy und Sundance Kid“, orientiert sich die Farbgebung in „Gus“ am genialen Vorbild „Blueberry“, natürlich ohne sie erreichen zu können oder zu wollen. Da Jean Girauds Zeichnungen extrem facettenreich sind, nutzte er in den besten Folgen den ganzen Farbreichtum, um darin Stimmungen, Brüche und Betonungen zu erzeugen. Das Realitätprinzip gilt dort nur noch, insofern die Geschichte ihre eigene Realität hat. Den wesentlich flächigeren Zeichnungen in „Gus“ ist zwar die Tiefe „Blueberrys“ verwehrt, aber nicht das Gestaltungsprinzip als solches. So fügt sich die Erscheinung Gratts in die pinke Atmosphäre eines Aufreißschuppens ein, während der schmerzhafte Kontrast zu Gus‘ grüner Kluft vorwegnimmt, dass er und der Ort schlichtweg unharmonisch zusammenklingen.

Die beiden bisher auf Deutsch erschienenen Bände nehmen bereits einen ganz eigenen Platz im Genre ein. Christophe Blain kann sich so sicher darin bewegen, weil er das Wesen des Westerns kennt. Nach dem furiosen Auftakt weitet der zweite Band die Erzählperspektive aus, indem er mit der Vorgeschichte von Clem aufwartet. Es bleibt das Hoffen und Warten auf Mehr. Ein Verdienst allerdings ist „Gus“ nicht mehr zu nehmen: Nicht mehr Angie Dickinson ist im Western das weibliche Maß der Dinge, sondern Clems zauberhafte Isabella.

Christophe Blain: Gus, bislang 2 Bände, je 80 Seiten à 15 Euro, aus dem Französischen von Kai Wilksen, Handlettering Michael Hau, Reprodukt. Leseprobe unter diesem Link.

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