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Sie verlassen jetzt den frankobelgischen Sektor. Eine Seite aus „Spirou in Berlin“.
© Carlsen

Comic „Spirou in Berlin“: Wie Flix Spirou nach Berlin brachte

Spirou wird 80 – und Flix hat als erster Deutscher ein Abenteuer mit der frankobelgischen Comic-Ikone gestaltet. Ein Atelierbesuch in Pankow.

Wenn das kein Zeichen ist: Auf dem Weg zum Atelier des Zeichners Felix Görmann alias Flix in Berlin-Pankow kreuzt ein himmelblauer Trabi den Weg des Besuchers. Eine knatternde Erinnerung daran, dass jene Zeit, der Flix sich für sein aktuelles Projekt gewidmet hat, gerade hier in Berlin noch keine Ewigkeit her ist.

Wie es dazu kam? „Glück und Zufall“

Neben der Ateliertür des 41-Jährigen dann ein weiterer blauer Trabi auf einem Poster, diesmal in einer weit spektakuläreren Situation: Wie eine Rakete schießt das Fahrzeug durch die Luft, Gewehrsalven peitschen vorbei, unter dem Gefährt die Berliner Mauer der späten 1980er. Auf dem Auto zwei der bekanntesten frankobelgischen Comicfiguren, die auch hierzulande viele Fans haben – Spirou und Fantasio, der Hotelpage und sein Reporterfreund. In Spirous Hand ein geöffneter Koffer, aus dem ein halbes Dutzend Diamanten fällt.

Es ist das Titelbild eines Comics, der eine Hommage an eine Traditionsmarke und zugleich eine Premiere ist. Spirou wird in diesem Jahr 80 und Flix, der lange Zeit auch für den Tagesspiegel gearbeitet hat, ist der erste deutsche Zeichner und Autor, dem die Verwalter der Figur beim belgischen Verlag Dupuis es zutrauen, eine Geschichte der Reihe zu erzählen. In diesen Tagen kommt „Spirou in Berlin“ in den Buchhandel.

Wie es dazu kam? „Glück und Zufall“, sagt Flix, während er sich an seinen Zeichentisch setzt. Die Idee zu einem deutschen Spirou-Abenteuer haben sein deutscher Verleger, Klaus Schikowski von Carlsen, und der belgische Dupuis-Verlag im Hinblick auf Spirous 80. Jahrestag entwickelt. Ein großes Thema bei Figuren wie dieser ist: Wie hält man so eine Serie, die auch einen enormen materiellen Wert hat, lebendig? Wie kommt man an neue, vor allem junge Leser? Was kann man für den deutschen Markt tun?

„Ich würde auch ein Asterix-Album machen“

So entstand die Idee, Spirou erstmals nach Deutschland zu schicken, auch wenn man sich bei Dupuis anfangs nicht vorstellen konnte, einen deutschen Zeichner damit zu betrauen. Flix, dessen Tagesspiegel-Comicsammlung „Schöne Töchter“ kürzlich auf Französisch veröffentlicht wurde, schrieb Konzepte, zeichnete Skizzen, entwarf ein Skript. Anfangs reagierten die Belgier vor allem auf Flix‘ Zeichnungen zurückhaltend, auch wenn ihnen seine Geschichte gefiel. Aber der Carlsen-Verlag machte sich unter Verweis auf dessen Erfolge in Deutschland für seinen Zeichner stark – mit Erfolg.

In guter Gesellschaft. Flix in seinem Atelier in Berlin-Pankow.
In guter Gesellschaft. Flix in seinem Atelier in Berlin-Pankow.
© Lars von Törne

Vor einem Jahr begann Flix mit der Arbeit an dem Album. Es erscheint jetzt zuerst auf Deutsch, aber bei Dupuis ist man mit dem Ergebnis zufrieden, wie Flix sagt. Daher dürfte es nur eine Frage der Zeit sein, bis „Spirou in Berlin“ auch in anderen Sprachen veröffentlicht wird. Das freut den Zeichner auch deswegen, weil es bisher für deutsche Zeichner nicht einfach war, in Frankreich und Belgien Fuß zu fassen. Vielleicht öffnet sich jetzt eine Tür zu diesem Markt, der wegen der Comicbegeisterung der dortigen Leser um ein Vielfaches größer ist als hierzulande. „Ich würde auch ein Asterix-Album machen“, sagt Flix.

Brisantes Material über die DDR-Führung

Schlägt man das Album auf, ist im ersten Panel ein historisches Schild zu sehen: „Vous quittez le secteur français“ steht drauf. Handlungsort ist das Berlin des Jahres 1988, die Anfangssequenz führt vom französischen Sektor im Nordwesten der geteilten Stadt über die Mauer nach Ost-Berlin in die Stasi-Zentrale in der Normannenstraße. Zugleich signalisiert das Schild das Neuland, das Flix betritt: Sie verlassen jetzt den frankobelgischen Sektor.

Mit Bleistift-Entwürfen wie auf der Seite links unten beginnt Flix die Arbeit an seinen Geschichten.
Mit Bleistift-Entwürfen wie auf der Seite links unten beginnt Flix die Arbeit an seinen Geschichten.
© Lars von Törne

Die Geschichte dreht sich um eine Entführung, die Spirou und Fantasio aus Belgien ins Ost-Berlin der Vorwendezeit verschlägt. Ausgangspunkt eines komplexen Abenteuers, bei dem viele Berliner Sehenswürdigkeiten eine Rolle spielen. Im einstigen Palasthotel am Dom schlüpft Spirou, den Flix zeichnerisch modernisiert hat, aus Gründen der Konspiration in das vertraute rote Pagenkostüm. Am Alexanderplatz gewinnt die Handlung an Dramatik, als Fantasio eine Bürgerrechtlerin kennenlernt, die brisantes Material über die DDR-Führung besitzt und das Regime mit ungewöhnlichen Mitteln bekämpfen will. Und auf dem Fernsehturm erlebt die Geschichte einige spektakuläre Wendungen, inklusive eines halsbrecherischen Abstiegs von der Turmspitze mit Hilfe dressierter Affen.

Erinnerungen an die Berliner Mauer

Für diese tierischen Figuren stand, wie für viele andere Details des Buches, die Realität Pate, sagt Flix und greift hinter sich in ein Buchregal. In einem Sachbuch über Ost-Berlin ist ein Foto zu sehen, das eine Skulptur im Tierpark zeigt: ein Mädchen, das einen Menschenaffen an der Hand führt. Dieses Mädchen inspirierte die Freiheitskämpferin Momo und ihre haarigen Helfer, an deren Seite sich Spirou und Fantasio durch Berlin schlagen.

Mit der DDR hat sich der gebürtige Münsteraner Flix, der 2004 nach einem Designstudium in Saarbrücken und Barcelona nach Berlin zog, bereits zuvor ausführlicher beschäftigt. Für die Tagesspiegel-Serie „Da war mal was“ trug er Dutzende mehr oder weniger ernste Erinnerungen an die Berliner Mauer zusammen und verarbeitete sie zu Kurz-Comics, die später erfolgreich auch als Buch veröffentlicht wurden.

Der nächste Schritt ist die Reinzeichnung mit dem Tintenstift.
Der nächste Schritt ist die Reinzeichnung mit dem Tintenstift.
© Lars von Törne

Manche der Spirou-Szenen scheinen direkt daran anzuknüpfen, gerade was die Verbindung historischer Fakten mit ausgelassener Fabulierlust betrifft. Und das, ohne den Ernst der Lage zu verkennen, die hier als Hintergrund gewählt wurde. Wie Flix es schafft, Sequenzen zur wirtschaftlich-politischen Krise der DDR und brutale Szenen aus einem Stasi-Gefängnis, in dem Fantasio vorübergehend landet, mit Slapstick, Humor und spektakulären Action-Sequenzen zu einem großen Ganzen zu verknüpfen, das ist höchste Comic-Kunst. Zudem ist Flix’ Stil erzählerisch wie zeichnerisch hier noch dichter als sonst, sodass man viele Details erst beim zweiten oder dritten Lesen entdeckt.

„Das auszublenden, wäre falsch“

„Die DDR war zu dem Zeitpunkt kein Spaß, sondern für viele Menschen eine ganz reale Bedrohung für ihr Leben und ihren Alltag“, sagt Flix. „Das auszublenden, wäre falsch.“ Zwar sei sein Spirou, wie es der Tradition der Serie entspricht, in erster Linie ein Abenteuercomic. „Aber wenn ich schon diesen Ort und diese Zeit auswähle, muss ich punktuell zeigen, was da los war“ – da gehöre auch die Folterszene dazu. Allzu explizit konnte er allerdings nicht vorgehen: Der Comic richtet sich auch an junge Leser, es gab enge Vorschriften, was geht und was nicht. So musste Flix eine weitere Szene entschärfen, in der eine Figur bei einem Fluchtversuch ums Leben kommt.

Mit seinen Protagonisten verbindet Flix seit Kinderzeiten eine enge Beziehung. „Wir hatten eine gut sortierte Stadtbibliothek“, sagt er. „Da konnte ich viele Spirou-Alben lesen und kannte die Figuren ziemlich genau.“ So finden sich in Flix’ Album zahlreiche Hommagen an jenen Zeichner, der Spirou einst prägte und auch sonst bis heute nachwirkenden Spuren im frankobelgischen Comic hinterlassen hat: André Franquin. Der 1997 gestorbene Belgier war nicht nur der prägendste Zeichner der Comicserie „Spirou“. Er war auch eines der großen Vorbilder von Flix, als der seine ersten Schritte als Comiczeichner unternahm. Und auch heute noch stapeln sich Franquin-Bände in Flix’ Atelier neben dem Schreibtisch.

In guten Händen. Mit Stiften wie diesem fertigt Flix seine Reinzeichnungen an.
In guten Händen. Mit Stiften wie diesem fertigt Flix seine Reinzeichnungen an.
© Lars von Törne

„Als ich anfing, habe ich ihn kopiert“, sagt Flix. „Gaston, Spirou, die Schwarzen Gedanken – die habe ich sehr geliebt und ich habe versucht, ihm alles nachzumachen.“ Mit anfangs mäßigem Erfolg: „Ich bin an diesem Strich verzweifelt, diesen unfassbar flott und leicht hingeworfenen Zeichnungen.“ Franquins Stil lebe von der Kombination aus Präzision und Geschwindigkeit. „Wenn du das langsamer machst, wird’s sofort steif.“ Wieder und wieder habe er in seinen ersten Büchern versucht, den besonderen frankobelgischen Stil nachzumachen und die enorme Varianz an Linien zu erreichen, die Franquin mit seinem Pinsel erreichte.

„Ich habe das Gefühl, dass ich erst jetzt, nach 20 Jahren, die gewisse Lockerheit erreicht habe, die ich damals anstrebte“, sagt Flix. Und tatsächlich: Flix’ Zeichentechnik, auch das zeigt sein Spirou-Album deutlich, ist in den vergangenen Jahren immer dynamischer geworden, auch weil er, statt wie früher mit einer kräftigen Linie, seine Figuren jetzt oft mit mehreren haarfeinen Strichen nebeneinander aufs Papier bringt.

Das konnte man in den vergangenen Jahren in seinen „Schöne Töchter“-Strips für den Tagesspiegel ebenso sehen wie in seinen Arbeiten für die „FAZ“, wo er aktuell die Serie „Glückskind“ veröffentlicht. Auch in seiner Spirou-Geschichte bestechen viele Panels durch eine fast skizzenhafte Lebendigkeit. Dazu kommt ein experimentierfreudiges Panel-Layout, wie er es in „Schöne Töchter“ perfektioniert hat.

Haben Sie Lust, jemanden kennenzulernen, der Fragen ganz anders beantwortet als Sie? Dann machen Sie mit bei „Deutschland spricht”. Mehr Infos zu der Aktion auch hier:

In guter Tradition. Die Comics von André Franquin haben Flix geprägt.
In guter Tradition. Die Comics von André Franquin haben Flix geprägt.
© Lars von Törne

Daneben zeichnet sich Spirou durch eine besondere Kolorierung aus: Warme gedämpfte Farben, die jeder Szene eine besondere Atmosphäre im Dienst der Geschichte verleihen. „Für mich ist Farbe auch ein Teil der Erzählung“, sagt Flix. Während gerade die älteren Spirou-Alben auch mangels technischer Möglichkeiten „einfach bunt gemacht“ wurden, setzt Flix darauf, seine Farben sehr genau auf unterschiedliche Situationen abzustimmen, zudem helfen sie dem Leser dabei, „über die Seiten geführt zu werden“.

Ausgeführt hat die Kolorierung Flix’ Atelierkollege Marvin Clifford. Auch der ist Tagesspiegel-Lesern wohlbekannt: Er ist der Autor und Zeichner des monatlichen Strips „Mittenmang“ in der Sonntagsbeilage dieser Zeitung.

Flix: Spirou in Berlin, Carlsen, 64 Seiten, 16 Euro.

Veranstaltungshinweis: Flix geht ab Ende August mit „Spirou“ auf Lesereise, Buchpremiere ist am 30.8. in Hamburg (20 Uhr, Carlsen Verlag, Völckersstraße 14 – 20, 22765 Hamburg, Moderation: Korinna Hennig, Eintritt: 5,-). Am 31. August gibt es um 16 Uhr eine Signierstunde in Berlin bei Dussmann (Friedrichstraße 90, 10117 Berlin), am Abend des liest Flix dann im Pfefferberg Theater in Berlin-Prenzlauer Berg) und es gibt ein von Tagesspiegel-Redakteur Lars von Törne moderiertes Gespräch (Schönhauser Allee 176, Eintritt 10/11,50 €). Alle Termine: carlsen.de/termine

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