Wörlitz zeigt Schau zu Georg Forster: Tahiti an der Elbe
Vorbild für Alexander von Humboldt: Eine neue Dauerausstellung in Wörlitz feiert den weltreisenden Naturforscher Georg Forster.
„Ein Morgen war’s, schöner hat ihn schwerlich je ein Dichter beschrieben, an welchem wir die Insel O-Tahiti 2 Meilen vor uns sahen“: So beginnt der junge Georg Forster das „Achte Hauptstück“ seines europäischen Bestsellers „Reise um die Welt“, in dem er die Ankunft der zweiten Expedition des James Cook im August des Jahres 1773 in Tahiti beschreibt. Sein Vater Johann Reinhold Forster, reformierter Pfarrer und Naturforscher, war von der Royal Society of London for the Improving of Natural Knowledge eingeladen worden, die Forschungsreise wissenschaftlich zu begleiten.
Der 18-jährige Georg darf als Zeichner für Flora und Fauna mit auf die große Reise. 1777 erscheint der Reisebericht der Forsters zuerst in London. Georg schrieb ihn, weil der Vater, der im Streit mit dem Auftraggeber liegt, das nicht darf. Im Herbst des Jahres reist Georg Forster nach Paris, wo er mit Benjamin Franklin und dem berühmten Naturforscher Buffon zusammentrifft. Mit 24 Jahren wird er zum Professor in Kassel berufen. Die Gesellschaft Naturforschender Freunde zu Berlin hatte ihn schon 1776 aufgenommen, wie in dieser Zeit ein Dutzend weitere gelehrte Gesellschaften. Das gebildete Deutschland huldigt Forster: Goethe, Nicolai, Lichtenberg, Herder, Wieland.
1778 erscheint auf Deutsch der erste Band der „Reise“. Im Jahr darauf verbringt er fünf Wochen in Berlin, absolviert fast 60 Einladungen. Nach einer Professur in Wilna wird Forster im Jahre 1788 nach Mainz berufen, um die Bibliothek des Kurfürsten zu modernisieren. Mehrfach besuchen ihn dort die jungen Humboldts. In Alexander von Humboldts „Kosmos“ heißt es viele Jahre später: „Der Schriftsteller, welcher in unserer vaterländischen Literatur nach meinem Gefühl am kräftigsten und am gelungensten den Weg in dieser Richtung eröffnet hat, ist mein berühmter Lehrer und Freund Georg Forster.“
Forster und Wörlitz, das ist eine besondere Geschichte
Erstmals in der Bundesrepublik Deutschland ist nun eine Dauerausstellung über Georg Forster eingerichtet worden, im Schloss von Wörlitz, um den großen Aufklärer und Gelehrten zu würdigen. Über 40 Jahre baute einst der Fürst von Anhalt-Dessau an seinem 1764 begonnenen Gartenparadies. „Hierbei ging es nicht nur um die ästhetische Gestaltung einer Landschaft. Vielmehr ging es um die Umsetzung philosophischer Prinzipien und politischer Ziele“: So formulierte es die Unesco, als im Jahre 2000 das Gartenreich Dessau-Wörlitz in die Liste des Weltkulturerbes aufgenommen wurde.
Forster und Wörlitz, das ist eine besondere Geschichte. Im Oktober 1776, auf einer Reise nach England, besuchen der wissbegierige und der Aufklärung zugeneigte Leopold III. Friedrich Franz, Fürst und Herzog von Anhalt-Dessau und seine Frau Louise, die Forsters in London. Sie sind, als der Fürst sie besucht, bereits berühmt. Großzügig, vielleicht auch auf der Suche nach einer neuen Aufgabe, schenken sie dem Fürstenpaar über 40 Objekte aus ihrer wohl 2000 Ethnografica umfassenden Südseesammlung.
Auf ihrer Reise mit Cook haben die Forsters mehrere Tausend Tier- und Pflanzenpräparate, Fossilien, mineralogische Proben gesammelt. Georg bringt über 500 Zeichnungen mit. Heute sind die Forsteriana auf über 200 Sammlungen weltweit verteilt.
Ein tahitisch anmutender Palmensaal im Belvedere
Fürst Franz war eher den Freuden des Lebens als dem Militär zugetan. Gemeinsam mit dem nur wenig älteren Architekten Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff reist Franz mehrfach nach England, um dort die berühmten Gartenlandschaften, aber auch landwirtschaftliches Handeln zu erkunden. So ein kleines England, für jeden Bürger zugänglich, will Franz auch. Die Idee kam seinem aufgeklärten Absolutismus entgegen. „Schöner als Sanssouci“, werden Zeitgenossen über des Fürsten Garten sagen.
Nach Italien reist der Fürst, begleitet von Erdmannsdorff, mehrfach, lässt sich in Rom von Winckelmann beraten, besichtigt die Villa Tivoli des Hadrian. Die „Kulturenfolge“ Ägypten, Griechenland, Rom wird sich im Pantheon seines Gartens spiegeln. Eine Isis-Arsinoe stellt dort eine symbolkräftige Verbindung zwischen Nil und Elbe her. Nicht zuletzt die Geschichte des Wohnens wird im Garten von Dessau skizziert: Höhle, Hütte, Haus, Schloss.
Sein Schloss in Wörlitz bezeichnete Franz immer nur als Landhaus, es ist bereits 1773 fertiggestellt, ein Meisterwerk von Erdmannsdorff im englisch-palladianischen Stil. Es ist das erste neoklassizistische Schloss auf dem Kontinent mit gleich zwei chinesischen Zimmern und Einflüssen von Palmyra und Baalbeck. Im Belvedere ein tahitisch anmutender Palmensaal. Wörlitz ist ein wunderbarer Ausflug, zumal im Sommer.
Im März 1779 hält sich Georg Forster, eingeladen vom Fürsten, zwei Wochen auf Schloss Wörlitz auf. Er sitzt am Familientisch, erläutert die Südseegeschenke, zeigt Kupferstiche von der Reise. Beeindruckt beschließt Franz, für seine kleine Südsee-Sammlung ein „Otahitisches Cabinet“ einzurichten. Tahiti war unter allen damals in Europa bekannten polynesischen Inseln die berühmteste, seit der Botaniker Philibert Commerson, einer der Begleiter des französischen Seefahrers Bougainville, der Tahiti schon 1768 erreicht hatte, berichtete: „Diese Insel schien mir so, dass ich bereits den Namen Utopia oder Fortunate darauf angewendet hatte. Der Name, den ich ihr gab, passte zu einem Land, das vielleicht das einzige der Erde ist, in dem Menschen ohne Laster wohnen, ohne Vorurteile, ohne Bedürfnisse, ohne Zwietracht. Geboren unter dem schönsten Himmel, genährt von den Früchten eines Bodens, der ohne Kultur fruchtbar ist und eher von Familienvätern als von Königen regiert wird, kennen sie keinen anderen Gott als die Liebe; ihm ist jeder Tag gewidmet.“ Kurz: Es ist das Paradies auf Erden.
1784 öffnet das erste ethnologische Museum
Hatte man in Tahiti den Naturzustand der Menschheit gesehen? Die Aufklärer in Europa wird diese Frage noch lange beschäftigen. Doch bald werden die europäischen Gelehrten erfahren, schon Forster berichtet davon, wie grausam sich auch die Bewohner der tahitischen Inseln zu bekriegen wussten.
1784 wird der Pavillon, von Erdmannsdorff entworfen, mit dem „Otahitischen Cabinet“ eröffnet, das erste ethnologische Museum. Der Architekt hat den Pavillon auf eine seltsame Plattform aus Raseneisenstein gestellt. Angelegt ist die Plattform doppelstufig. Nachgeformt sei sie, so vermutet Frank Vorpahl, Kurator der neuen Dauerausstellung in Wörlitz und Forster-Biograf, jenem zweistufigen Marae Manun, den die Forsters auf Huahine, einer der tahitischen Inseln, besichtigen.
„Berlin und die Mark Brandenburg wiesen im 18. Jahrhundert die höchste Dichte an Südseearchitektur außerhalb des polynesischen Raumes auf“, schreibt Joachim Meissner im ausgezeichneten Katalog der Ausstellung. Zahlreiche Kabinette, Bade- und Angelhäuser oder Palmhütten im tahitischen Stil entstanden. Doch nur ein Marae wurde errichtet, der in Wörlitz. Etwa 30 der originalen Forsterschen Objekte, aus Tonga, Neuseeland, Tahiti, zeigt man nun im Schloss. Alle wurden sorgfältig mithilfe von Experten aus Tonga und Neuseeland restauriert. Im Südsee-Pavillon sind aus konservatorischen Gründen nur Kopien zu sehen.
Berlin sollte an Forster denken, wenn es Humboldt feiert
Welche Bedeutung die Marae für die Kultur im polynesischen Dreieck zwischen Neuseeland und Hawaii, zwischen Tahiti und Osterinseln haben, das wurde ab 1900 intensiv erforscht. Marae sind Kultstätten, Versammlungsplätze, Hier feierte man Feste. Hier berieten die Arioi, die oft als Geheimgesellschaft bezeichnet werden, die man aber auch Adel oder Kriegerkasten nennen könnte. Hier wurden Allianzen mit benachbarten Inseln geschmiedet.
Hohe Priester leiteten die Treffen, um die Götter auf die Erde zu bitten, deren Anwesenheit man mit hölzernen Statuen evozierte. Auf dem Marae Taputaputea opferte man Zeit Oro, einem Kriegs- und Fruchtbarkeitsgott, dem auch Menschen dargebracht wurden. Raiatea war erst kurz vor Cooks Ankunft von den Bewohnern der Nachbarinsel Bora Bora, 46 Kilometer entfernt, erobert worden
Marae waren an jene Clans gebunden, die in den keineswegs egalitären, vielmehr sehr hierarchischen Gesellschaften Polynesiens die regionale Herrschaft innehatten. Als Cook nach seinem Marae gefragt wurde – ein Chief ohne Marae war nicht vorstellbar – gab er den Namen seiner Pfarrei in London an. Es gab große und kleine Marae. Es gab Marae mit einer einzigen Plattform aus Koralle und Vulkangestein, aber auch stufenpyramidenförmige mit zehn Stufen.
Missionare hatten die Kulte verboten
Niemand weiß heute, wie viel Marae es je auf den Inseln Polynesiens gegeben hat, es müssen Hunderte gewesen sein. Wiewohl die Abstammung auf Tahiti patrilinear organisiert war, hatten Frauen hoher Abstammung bedeutenden Einfluss, sie galten als Königsmacherinnen. In den 1950er Jahren restaurierte man erstmals auf Tahiti einen Marae, nachdem diese fast in Vergessenheit geraten waren. Einige waren mit Kirchen überbaut oder von Missionaren gleich ganz zerstört worden, viele wurden vom Dschungel überwuchert.
Von den Kolonialmächten entsandte Missionare hatten die Kulte verboten. Heute werden allein auf den tahitischen Inseln Dutzende Marae mit allen archäologischen Finessen erforscht, sind diese Erinnerungsorte der polynesischen Gesellschaften, die weltweit Beachtung finden.
Die historisch bedeutendste polynesische Kultstätte ist der Marae Taputapuatea auf der Insel Raiatea, die ein Paradies für Backpacker ist. Dessen Gründung wird in das 14. Jahrhundert datiert. Hier haben sich, so heißt es, Seefahrer aus Polynesien regelmäßig getroffen, trotz riesiger Entfernungen. Zu Cooks Zeiten trafen sich wohl nur noch die Bewohner der tahitischen und umliegenden Inseln. Cook erinnert sich: „Am Mittag des 24. Mai ankerten wir im Hafen der Insel Raiatea. Auf dem Strande lagen eine Menge von Kanus, und jede Hütte beherbergte soviel Menschen als sie fassen konnte. Es waren Arioi, Mitglieder jener Gesellschaft, die eng zusammenhält und die hier eine ihrer Zusammenkünfte veranstaltete. Sie ziehen zuweilen von einer Insel zur anderen, schmausen, zechen und geben sich Ausschweifungen hin.“
Zwei Marae sind nun Weltkulturerbe
Es soll auf Raiatea Akademien gegeben haben, in denen mündlich Navigation gelehrt wurde, denn eine Schrift gab es nicht. Von den Navigationskünsten der Tahitianer hat Cook auf seiner ersten Reise, die er noch ohne Chronometer bewältigen musste, erheblich profitiert. Einer der im Rang hoch stehenden Priester-Navigatoren, Tupaia aus Raiatea, lotste die Cookschen Schiffe bis nach Neuseeland, 4 000 Kilometer entfernt, wo der Tahitianer sich ob der Verwandtschaft der polynesischen Sprachen mit deren Bewohnern unterhalten konnte.
Die auf Bitten Cooks gezeichnete Seekarte des Tupaia hat damals viele Gelehrte beindruckt. Auch die Forsters. In den vergangenen Jahren hat man an der Universität Potsdam intensiv über diese Karte geforscht. Auf der zweiten Reise, diesmal mit den Forsters, benötigte Cook keinen indigenen Navigator mehr. Ihm stand erstmals ein Chronometer zur Verfügung, mit dessen Hilfe er die Längengrade schneller berechnen konnte.
Zwei Marae sind nun Weltkulturerbe, einer auf Raiatea, einer in Wörlitz – 16000 beziehungsweise 130 Kilometer von Berlin entfernt, das an Forster denken sollte, wenn es Humboldt feiert.
Schloss Wörlitz, D-06785 Oranienbaum-Wörlitz, Di-So 10-18 Uhr. Tel: 034905/4090. Der von Frank Vorpahl herausgegebene Katalog „Georg Forster – Die Südsee in Wörlitz“ ist im Hirmer Verlag erschienen und kostet 39, 90 €.
Gereon Sievernich
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