Georg Forster in Dessau-Wörlitz: Wo die Elbe in die Südsee fließt
Welt und Anschauung: Das Gartenreich Dessau-Wörlitz und ein neues Buch erinnern an den großen Forscher Georg Forster.
Was für ein Leben! Mit zwanzig gehört er zu den am weitesten gereisten Menschen seiner Zeit. Als Naturforscher nimmt er mit seinem Vater an der zweiten Weltumsegelung des Captain Cook teil, die ihn von 1772 bis 1775 zu den Osterinseln, in die Südsee, nach Neuseeland und in antarktische Gewässer führt. Bald darauf ist er ein gefeierter Schriftsteller, seine – zuerst auf Englisch und 1780 auf Deutsch erschienene – „Voyage around the World“ gilt als Pionierstück der modernen Reisebeschreibung. Mit 29 Jahren ist er Mitglied des Rheinisch-Deutschen Nationalkonvents in Mainz, dem ersten Parlament auf deutschem Boden; die Stadt hatte sich den revolutionären Franzosen angeschlossen. Mit 39 stirbt er verarmt und verlassen in Paris, ein deutscher Revolutionär in Frankreich, der den vollen Terreur der Guillotine nicht mehr erlebt.
Was für eine deutsche, europäische, weltumgreifende Geschichte! Aber Georg Forster, der in der Nähe von Danzig geboren wurde, war lange vergessen. Auf dem Porträt, das Tischbein 1792 malt, hat er eine gewisse Ähnlichkeit mit Goethe, der ihn hoch schätzte. Forster vertritt die Überzeugung, dass die Menschen gleich sind, ob in Tahiti oder Königsberg. Er greift den Philosophen Kant scharf an und legt das rassistische Denken des Moralisten offen, der nie von seinem Schreibtisch wegkam. Trotz oder wegen seiner entschiedenen Weltläufigkeit geraten Forster und seine Schriften ins Abseits. Es ist eine deutsche Tradition, solche Köpfe auszusondern.
Ähnlich erging es Alexander von Humboldt, der mit Forster nach England reist und den bald 15 Jahre Älteren stets als Lehrmeister und Vorbild in Ehren hält. Humboldt schreibt sein Reisewerk auf Französisch, lebt lange in Paris – auch das kam nicht immer gut an. Im Kanon der deutschen Dichter und Denker, der sich im 19. Jahrhundert ausprägt, liegen Revolutionäre und Weltreisende nicht auf den vorderen Plätzen. Sie sind Exoten. Hierzulande wurden die in Puppenstuben sesshaften Geistesriesen stets mehr geschätzt, worüber sich schon Georg Büchner in „Leonce und Lena“ (1836) lustig macht. Auch Büchners Werk blieb lang im Schatten.
Das Humboldt-Jahr 2019 wird Forster in den Fokus bringen
Das ändert sich jetzt im Fall von Georg Forster. Bei den Diskussionen um das Humboldt-Forum bietet sich ein so früh schon global denkender und agierender Mann wie er vorbildlich an. Ein Forster-Forum, warum nicht? Er hat vor den Humboldt-Brüdern die „Natureinheit des Menschengeschlechts“ verteidigt, seine Reiseschilderungen sind literarisch exzellent, er stellt sich der politisch-moralischen Frage, ob die Ankunft der Europäer den Menschen der Südsee wohl Glück bringt? Wer über Alexander von Humboldt spricht, muss auch von Georg Forster sprechen. Das Humboldt-Jahr 2019 mit der avisierten Eröffnung des Humboldt-Forums wird auch Forster noch einmal stärker in den Fokus bringen.
Indessen hat die Kulturstiftung Dessau-Wörlitz 2018/19 zum Georg-Forster-Jahr erklärt. Forster und Wörlitz verbindet eine glückliche Fügung. Fürst Franz von Anhalt-Dessau und seine Frau Louise machen in London die Bekanntschaft des jungen Weltumseglers und laden ihn ein. Eine außergewöhnliche Begegnung: Forster schenkt dem Fürstenpaar „Curiositäten“ aus der Südsee, über dreißig Artefakte, die er aus seinen Seekisten holt.
Beim Gegenbesuch 1778 in Dessau revanchiert sich Franz mit einem hohen Geldbetrag in Gold. Dieser Fürst ist selbst ein leidenschaftlich Reisender, er schwärmt für das fortschrittliche England, nach dessen Beispiel er das Gartenreich in Wörlitz an der Elbe anlegen lässt. Franz (1740–1817) ist verrückt nach Italien, so kommt ein künstlicher kleiner Vesuv in den Park. Und im Schloss gibt es Florenz-, Rom- und Venedig-Zimmer. Georg Forster – kein Adliger – war damals zwei Wochen auf Schloss Wörlitz zu Gast, erstaunlich lang.
Forsters Vogelzeichnungen sind von unglaublicher Schönheit
Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff baut bald darauf am Eingang zum Park in Wörlitz auf dem sogenannten Eisenhart einen „Südseepavillon“; das kleine Plateau erinnert an eine polynesische Kultstätte. Dort sind Forsters Schätze über die Jahrhunderte öffentlich ausgestellt, bis sie am Ende der DDR-Zeit an einen sicheren Ort gebracht werden. Nun machen sich die Konservatoren an die Arbeit. Im Mai 2019 soll der gesamte Forster-Bestand im Schloss von Wörlitz eine Dauerausstellung bekommen; das Gebäude selbst wird derzeit noch renoviert. Hohe Feuchtigkeit und immer wieder einmal das Elb-Hochwasser greifen die Substanz des klassizistischen Denkmals an, das die Landschaft akzentuiert, aber nicht dominiert. Das Gartenreich von Wörlitz war immer schon ein öffentlicher Park, einige Teile wurden landwirtschaftlich genutzt.
Hier weidete Vieh. Hier hat der romantische Mensch der Aufklärung Häuser und Tempelchen platziert, als sei das anhaltische Urstromtal eine südenglische Toskana. Ein Ausflug nach Dessau-Wörlitz wirft den Besucher aus den gewohnten Zeit-Raum-Koordinaten. Man spürt auch noch die DDR atmosphärisch. Und bei der Schlossführung klingt Stolz durch und Anerkennung für den Regierungsstil von Fürst Franz, der Schulen auch für Mädchen baute und seine Möbel bei einheimischen Schreinern bestellte – als sei er kürzlich erst verblichen. Franz hatte ein fortschrittliche Bildungsideal, gab aber auch viel Geld aus für seine künstlerischen und intellektuellen Leidenschaften. Wie Georg Forster es ausgedrückt hat: „… dass Fürsten auch Menschen sein können, wenn sie nur wollen.“
Auf das Schlossdach, zum Belvedere, gelangt man über eine Schiffstreppe und einen Raum mit künstlichen Palmen; der Fürst schlief in einem Schiffsbett. Bis zum Kirchturm von Coswig reicht der Blick über die berühmte Sichtachse. Im Mezzanin hat Anfang Mai eine kleine Forster-Ausstellung eröffnet. Die drei Räume sind ein Vorspiel für die neue Forster-Stätte, die dann im nächsten Jahr zum Humboldt-Forum nach Berlin herübergrüßt. Ein paar Originale sind jetzt bereits zu sehen, wie das Original des Bordbuchs, das Forsters Vater Reinhold, ein Pastor mit wissenschaftlichem Ehrgeiz, auf der Reise mit Cook geführt hat. Hier zeigt sich schon an wenigen Beispielen wie dem feuerländischen „Magellan-Pinguin“, welch exzellenter Zeichner Georg Forster war. Vor allem seine Vogelzeichnungen sind von unglaublicher Schönheit und dabei wissenschaftlich exakt. Schrift und Bild haben den gleichen Rang.
Forster ist kein Schreibtischstratege - er hat die Welt gesehen
Die Erstausgabe seiner „Reise um die Welt“ liegt in der Vitrine – und der Bastrock der polynesischen Tänzerin Poedua. Forster hat sie auf Raiatea tanzen sehen, ihre Bewegungen beschrieben, deren unverstellte, direkt ausgedrückte Lust ihn doch irritierten. Cooks offizieller Expeditionsmaler John Webber hat Poedua porträtiert, mit nacktem Oberkörper, weißen Blüten im langen, schwarzen Haar und herausforderndem Blick. In Wörlitz gibt es nur eine Kopie, das Original hängt im National Maritime Museum in London. Es ist das Sinnbild exotischer Erotik, Auslöser so manchen Südseetraums. Wenn man Forster liest, relativiert sich die Vorstellung vom Paradies.
Der ZDF-Journalist Frank Vorpahl reist seit zwanzig Jahren auf Forsters Spuren. Er hat die kleine Schau im Schloss Wörlitz aufgebaut und jetzt ein Buch herausgebracht, „Der Welterkunder. Auf der Suche nach Georg Forster“, das sich dem Forscher, Schriftsteller, Abenteurer und Revolutionär auf praktische Weise nähert. Vorpahl war überall dort, wo Foster war, oft mehrmals. Ausgiebig beschreibt er die Recherchen, zumal in der Südsee, besucht Forster-Kenner, die er in lange Gespräche verwickelt. Dazu gehört vornehmst Klaus Harpprecht, der 1987 eine auch literarisch herausragende Biografie veröffentlicht hat, „Georg Foster oder Die Liebe zur Welt“. Bei Vorpahl beeindruckt der Antrieb, Forster in den hintersten Winkel zu folgen. Nie wird er müde, zu neuen Forster-Expeditionen aufzubrechen, da sucht jemand, legitim genug, auch nach sich selbst. Des Themas Forster und Homosexualität nimmt er sich an, aber nur knapp. Vorpahl beschäftigen die Lebensverhältnisse der Menschen auf den fernen Inseln heute. Die europäischen Entdecker haben ihnen wenig Glück gebracht.
Dramatische Betrachtung der Nordsee
Vorpahl verliert sich gern in Details, das hat auch seinen Reiz. Fundierter und politischer ist Jürgen Goldsteins Buch „Georg Forster – Zwischen Freiheit und Naturgewalt“. Er wurde dafür 2016 mit der Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet. Goldstein liest sich in dem Maße akademisch, wie Vorpahl in wacklige Boote steigt und outdoor vorprescht. Ganz vergessen, wie der Held einst selbst, ist Ulrich Enzensbergers kleiner, feiner Band „Georg Forster. Weltumsegler und Revolutionär“ von 1979.
Auch dort ist Forsters dramatische Betrachtung der Nordsee von 1790 zitiert. Er steht mit dem jungen Alexander von Humboldt am Strand und gerät in ein dunkles Schwärmen: „Seit zwölf Jahren zum ersten Mal begrüßte ich hier wieder das Meer. Dem Eindrucke ganz überlassen, den dieser Anblick auf mich machte, sank ich gleichsam unwillkürlich in mich selbst zurück, und das Bild jener drei Jahre, die ich auf dem Ozean zubrachte und die mein ganzes Schicksal bestimmten, stand vor meiner Seele. Die Unermesslichkeit des Meeres ergreift den Schauenden finstrer und tiefer als die des gestirnten Himmels. Dort an der stillen, unbeweglichen Bühne funkeln ewig unauslöschliche Lichter. Hier hingegen ist nichts wesentlich getrennt; ein großes Ganzes, und die Wellen nur vergängliche Phänomene …“
Humboldt hat immer wieder an Forster erinnert
Die Wochen mit Forster sind Alexander von Humboldts erste Auslandsreise. Er ist tief bewegt, weint viel und sucht nach seiner Orientierung in der Welt, als Mann, als Wissenschaftler. Georg Forster blickt da schon zurück, spürt die eigene Vergänglichkeit, er ahnt, wie die revolutionäre Welle ihn wegreißen wird. Humboldt hat bis in sein hohes Alter immer wieder an Forster erinnert. An ihm lag es nicht, dass dieser glänzende Geist vom Radar verschwand.
Das Karl-Marx-Jahr ist eine gute Gelegenheit, Georg Forster wieder oder aufs Neue zu entdecken. Er ist eben nicht einer von den großen Schreibtischstrategen deutscher Tradition. Er hat die Welt mit eigenen Augen gesehen, die andere nur interpretiert haben.
Frank Vorpahl: „Der Welterkunder. Auf der Suche nach Georg Forster“, Galiani Verlag 2018, 544 S., zahlreiche Abb., 32 Euro. Die Forster-Ausstellung auf Schloss Wörlitz ist dienstags bis sonntags zu sehen, nur mit Führung. Information und Anmeldung: Tel. 034905/409-0, www.gartenreich.de
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