Georg Forsters Südseesammlung in Wörlitz: Schatz aus Holz und Fasern
Nach über 30 Jahren zeigt Schloss Wörlitz wieder die Südseesammlung von Georg Forster – in einer neuen Dauerausstellung
Angelhaken und Tintenfischköder, Keulen aus dem harten Holz der Kasuarine, Ketten, Kämme, Brotfruchtstampfer, verschiedene Baststoffe: Für Dagmar Vakalafi Dyck vom „Ancient Tonga Project“ der University of Auckland war es ein sehr berührender Moment, die 31 Artefakte der Wörlitzer Südseesammlung in den Händen zu halten und zu erforschen – 250 Jahre, nachdem sie die Inseln des alten Königreichs Tonga verlassen haben. „Ich war gerührt, dass man in Wörlitz diese Objekte so lange aufbewahrt und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat. Viele meiner Landsleute werden sie leider nie sehen. Der Pazifik ist weit weg. Und Tonga hat kein Museum mit klimatisierten Vitrinen“, sagt sie sichtlich bewegt beim Pressegespräch zu der neuen Dauerausstellung „Rückkehr ins Licht – Georg Forster und die Wörlitzer Südseesammlung“. Sie hat jetzt im Mezzanin des Wörlitzer Schlosses eine Heimat gefunden. Doch wie kamen diese Objekte einst nach Wörlitz?
Alle Welt redet in diesem Jahr von Alexander von Humboldt, doch es gab einen Mann, der vor ihm Großes geleistet hat und den er selbst als den „Stern seiner Jugend“ bezeichnete. Georg Forster (1754–1794) hat als wissenschaftlicher Zeichner seinen Vater Johann Reinhold Forster (1729–1798) auf dessen dreijähriger Reise mit James Cook auf der Suche nach der „terra Australis incognita“ begleitet, ein ungeheures Abenteuer, das den Forsters nach glücklicher Rückkehr großen Ruhm einbrachte. „Wo immer Captain Cook in den Weiten des Pazifik vor Anker ging: Georg Forster und sein Vater Johann Reinhold waren die Ersten, die das neu entdeckte Fleckchen Erde wortwörtlich unter die Lupe nahmen. Ihre schriftlichen Überlieferungen und Reisebilder ermöglichten den Europäern schließlich eine erste Vorstellung von der großen Reise und ihren Entdeckungen“, schreibt Frank Vorpahl, Kurator der Wörlitzer Ausstellung, in seinem Buch „Der Welterkunder. Auf der Suche nach Georg Forster“.
Vater und Sohn kamen mit mehr als 2000 getauschten und gehandelten Objekten aus der Südsee zurück nach London und waren 1775 gerade dabei, sie auszupacken und zu ordnen, als Fürst Leopold III. Friedrich Franz von Anhalt-Dessau und seine Frau Henriette Wilhelmine Luise ihre Bildungsreise nach England nutzten, um bei den beiden deutschen Weltreisenden vorbeizuschauen. Aufgeklärte Fürsten, die sie waren, interessierten sie sich wirklich für die Ergebnisse dieser aufregenden Weltreise, von der nicht nur ganz London sprach. Die Forsters beschenkten das Fürstenpaar großzügig, mehr als 30 Objekte durften sie mitnehmen, einige sich sogar selber aussuchen.
Forster erkennt, dass Fürsten auch Menschen sein können
Das Interesse des Paares veranlasste Forster später zu den Worten, „dass Fürsten auch Menschen sein können, wenn sie nur wollen.“ Fürst Franz ließ die Sammlung erst in seinem Schloss aufbewahren, um dann 1779 seinen Hofarchitekten Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff damit zu beauftragen, einen Südsee-Pavillon im Park zu errichten. Denn er wollte die Sammlung auch der Öffentlichkeit präsentieren. Erdmannsdorff ließ sich wohl von der Südseearchitektur inspirieren und errichtete eine Eisenhart genannte Plattform, auf der der Südsee- und ein Bibliothekspavillon gesetzt wurden. Die Mauern der Plattform wurden mit Raseneisenstein verkleidet, der dem polynesischen Vulkangestein ähnelt.
1984 begannen die Objekte nach einer unsachgemäßen Restaurierung des Südsee-Pavillons in kürzester Zeit zu schimmeln, sodass sie schleunigst entfernt und im Depot gesichert werden mussten. Teils exzellente Kopien aus Kunststoff ersetzen sie, von denen jetzt wiederum Kopien hergestellt werden, um sie den Einwohnern von Tonga zu übergeben.
Künstler und Wissenschaftler aus Neuseeland, Tonga und Tahiti beteiligt
Künstler und Wissenschaftler aus Neuseeland, Tahiti und Tonga hielten sich 2018 auf Einladung der Kulturstiftung Dessau Wörlitz im Depot auf, um die Objekte zu untersuchen und zu erforschen. Erst im Kontakt und Austausch mit den Experten aus der Südsee konnten Forsters Beschreibungen korrigiert beziehungsweise ergänzt werden. Viel Zeit hatten die Forsters ja nicht, sie waren ein, zwei Tage an Land, tauschten und handelten und verstanden oft die Sprache nicht und damit auch nicht immer die wahre Bedeutung der Objekte. Die sind nun in einem veritablen Südsee-Ambiente zu sehen. Die Gitterstruktur der Stellwände, die zunächst etwas rätselhaft anmutet, orientiert sich an Stabkarten, wie sie zur Navigation im Pazifik üblich waren. Geht es um Forster, sein Leben und sein Wirken, bilden die Stabgitter die Stellwand, an der Fotos und Zeichnungen präsentiert werden. Geht es um die Objekte der Sammlung, werden diese als Inseln im Raum in der gleichen Gitterarchitektur in klimatisierten Vitrinen präsentiert. Die Maori- Künstlerin Lisa Reihana zeigt zu Beginn mit ihrem Multi-Media-Kunstwerk „In Pursuit of Venus“, das auf der Biennale in Venedig 2017 zu sehen war, die erste Begegnung der Menschen aus Europa und der Südsee.
Es ist ein Schatz, der in Wörlitz nun zu bestaunen ist, aber kein Schatz im herkömmlichen europäischen Sinn aus Gold und Edelsteinen. Ein Wunder, das diese fragilen organischen Objekte sich so lange gehalten haben. Der Wert der Sammlung liegt in ihrer Unberührtheit durch europäische Einflüsse – diese Gegenstände bilden Alltag und Kult der Südseevölker vor Ankunft der Europäer ab. Das ist es, was auch die Wissenschaftler und Künstler so berührt hat. Sie waren an der Überlieferung der alten Muster interessiert, die zu Hause schon verloren geglaubt waren und die man nun wieder verwenden kann. In Videos geben Jessica Afeaki und Sopolemanna Filipi Toha aus Tonga Auskunft zur Bedeutung der Stoffe und zu den Mustern der Objekte.
Der Wert der heiligen Federn
Wie wichtig dieser Dialog ist, erklärt Vorpahl am Beispiel eines Objekts, das Forster als „Tasche“ katalogisiert hat. Erst durch den Kontakt mit den Wissenschaftlern aus der Südsee wurde klar, dass es sich dabei nicht um einen „Shopper“ handelt, mit dem man zum Fischmarkt geht, sondern um eine Art Tabernakel zur Aufbewahrung heiliger roter Federn. Die Dreiecke im Muster (siehe kleines Bild unten), die einander berühren, weisen auf zwei Vögel hin, die zusammen fliegen und wiederum hochrangige Vorfahren des Besitzers darstellen. Einst waren diese Objekte auch mit roten Federn geschmückt, die Restauratorin Melanie Korn hatte Reste roter Federkiele entdeckt. Doch diese hatte man schon auf der Reise auf Hinweis eines Einheimischen abgetrennt, da die roten Federn auf Tahiti bedeutend mehr wert waren als auf Tonga.
Vorbehaltlose Offenheit gegenüber dem Anderen
Was Forsters Beschreibungen so faszinierend macht, ist seine vorbehaltlose Neugier und seine Offenheit gegenüber dem Anderen. Aus eigener Anschauung der Welt heraus formulierte Forster als erster Deutscher die Einsicht, „dass die Natur des Menschen zwar überall klimatisch verschieden, aber im ganzen, sowohl der Organisation nach, als in Beziehung auf die Triebe und den Gang ihrer Entwicklungen, spezifisch dieselbe ist.“
Die Kulturstiftung setzt mit dieser Ausstellung Zeichen, nicht nur, in dem sie den vorzüglichen Katalog „Georg Forster – Die Südsee in Wörlitz“ auch auf Englisch herausgibt, sondern auch, weil sie vier Objekte aus Kunststoff als unempfindliche Kopie der Kopie am 3. August an die Bewohner von Tonga übergibt. Zu hoffen bleibt, dass sich daraus ein weiterführender Dialog entwickelt.
Schloss Wörlitz, bis 30. September Di bis So und an Feiertagen 10 bis 18 Uhr, Oktober 11 bis 17 Uhr und dann wieder ab Mai 2020 Di bis So und an Feiertagen 10-18 Uhr.
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