Reisebuch von Georg Forster: Der revolutionäre Blick
Viel mehr als Plaudereien über Kultur und Landschaft: Georg Forsters politisches Reisebuch „Ansichten vom Niederrhein“ erscheint als reich illustrierte Folio-Ausgabe.
So populär wie Alexander von Humboldt wird Georg Forster niemals werden, jedenfalls niemals wieder. Es würde vermutlich auch nichts nützen, wenn Daniel Kehlmann auf die Idee käme, einen satirischen Roman über den aufklärerischen Weltumsegler und sagen wir den Mathematiker und Aphoristiker Georg Christoph Lichtenberg zu schreiben. Das sah aber alles einmal ganz anders aus. Forster (1754 –1794) zählte im späten 18. Jahrhundert zu den Berühmtheiten, ging bei Goethe ein und aus und wurde unter anderem von dem jungen Alexander von Humboldt verehrt.
Dass über Forster seit einiger Zeit wieder geredet wird, liegt vor allem an der glänzenden Biografie des Philosophen Jürgen Goldstein, die im Frühjahr mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet wurde. Sicher erinnert sich der eine oder andere auch noch an die Neuausgabe der „Reise um die Welt“, den berühmten Bericht der Weltumrundung mit Captain Cook in den Jahren 1772 bis 1775, die vor knapp zehn Jahren als farbig illustrierte Folio-Prachtausgabe (mit Forster-Zeichnungen) in der Anderen Bibliothek erschien.
Lockerer, leicht lesbarer Plauderton
Nun wird ein weit weniger wirkungsmächtiger Text Forsters neu aufgelegt, wieder als schmucker Folio-Band mit farbigen Kunstwerken und zeitgenössischen Stichen ausgestattet, dieses Mal mit einem instruktiven Vorwort von Jürgen Goldstein. Die Rede ist von den „Ansichten vom Niederrhein von Brabant, Flandern, Holland, England und Frankreich im April, Mai und Junius 1790“, einer weiteren Reisebeschreibung also, die allerdings eine ganz andere Sprengkraft birgt als noch die „Reise um die Welt“, die Forsters Ruhm begründete.
Die „Ansichten vom Niederrhein“ sind in einem lockeren, auch heute noch leicht lesbaren Plauderton geschrieben – und in Briefform. Neben Gedanken über Geschichte, Architektur, vereinzelt auch Literatur und Theater verdeutlichen breite Ausführungen über die Bildende Kunst, vor allem über die alten niederländischen und flämischen Meister, ihre überragende Bedeutung in jener Epoche. Doch es geht Forster um viel mehr als Plaudereien über Kultur und Landschaft.
Starker Tobak für Zeitgenossen
Schon der Titel ist doppeldeutig und unterläuft die Lesererwartungen, geht es doch in den Beschreibungen dieser Reise, auf die Forster übrigens von Alexander von Humboldt begleitet wurde, vor allem um Ansichten im Sinne von Meinungen – und Forsters Meinungen waren revolutionär. Es handelt sich um ein herausragendes Zeugnis politischer Aufklärung. So hat der Reisende etwa bei der Besteigung der Festung Ehrenbreitstein nahe Koblenz nichts für die eigentlichen Sehenswürdigkeiten übrig, ob es sich nun um „ungeheure Kanonen“ oder spektakuläre Aussichten handelt: „Nichts von dem allen konnte mich für den abscheulichen Eindruck entschädigen, den die Gefangenen dort auf mich machten, als sie mit ihren Ketten rasselten“. Angesichts des Aachener Doms spottet er lapidar über den Krönungsort etlicher deutscher Kaiser seit Karl dem Großen als „Satire auf alle Throne der Welt“. Der Kölner Dom erscheint dem Beobachter als Relikt aus finsterstem Mittelalter – und damit die Religion an sich.
Für Zeitgenossen war das starker Tobak, zumal die nicht lang zurückliegende Französische Revolution Europa ohnehin erschütterte. Goldstein vergleicht das Fragment gebliebene Werk mit einem Trojanischen Pferd. Auf fast jeder Seite geht es um die Ideale von Freiheit und Gleichheit. Allein die Wirkung ließ zu wünschen übrig. Die „Ansichten vom Niederrhein“ schafften es nicht, aus dem Schatten der „Reise um die Welt“ zu treten.
Forster hat sein Leben seinen Überzeugungen geopfert
Die Revolution – als Mittel zur „Vervollkommnung des Menschen“ und zur Schaffung einer Republik – verstand Forster als Naturgewalt. Nachdem Mainz 1792 von französischen Revolutionstruppen besetzt wurde, unterstützte er den politischen Umbruch und wurde sogar Präsident des dortigen Jacobinerclubs. Die Mainzer Republik hatte keine vier Monate Bestand, Forsters bürgerliche Existenz war verspielt.
Zwei Jahre später starb er im Pariser Exil. Sein Leben hatte er seinen Überzeugungen geopfert, in die die „Ansichten vom Niederrhein“ Einblick geben. Die Welt, so lernt man nebenbei, war für Forster eine, die erfahren und empfunden werden will. Von Goethe ist das gedanklich nicht weit entfernt.
Georg Forster: Ansichten vom Niederrhein. Die Andere Bibliothek, Berlin 2016. 480 Seiten, 79 €.
Tobias Schwartz
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