Im Kino: Pixar-Film „Coco“: Sing mir das Lied
Die Pixar-Produktion „Coco“ begibt sich am mexikanischen Nationalfeiertag ins Reich der Toten. Der Film erzählt anrührend und unterhaltsam von den Spuren der Verstorbenen in der Welt der Lebenden.
Der zwölfjährige Miguel will Gitarrist werden. Das nötige Talent dafür hat er, nur stammt er aus einem Elternhaus, in dem man infolge einer lang zurückliegenden Familientragödie für Musiker nichts als Verachtung übrig hat. Der Sprössling soll lieber in das Schuhmachergeschäft seines Vaters einsteigen. „Coco“, der Name von Miguels Urgroßmutter, beginnt als Familiengeschichte, um sich dann aber der klassischen Sage um Orpheus und Eurydike anzunehmen. Inmitten des Feiertagschaos setzt Miguel nämlich versehentlich eine Kettenreaktion in Gang, die ihn in die von überaus lebenslustigen Skeletten bevölkerte Stadt der Toten katapultiert. Um zurückzukehren, muss er dort seinen Großvater finden.
Die Pixar-Produktion „Coco – Lebendiger als das Leben!“ ist nach „Manolo und das Buch des Lebens“ bereits der zweite Animationsfilm, der den Día de los Muertos, den mexikanischen Tag der Toten, an dem der Verstorbenen gedacht wird, zum Ausgangspunkt seiner Geschichte macht. Die Regisseure Lee Unkrich („Findet Nemo“) und Adrian Molina („Arlo & Spot“) erzählen nicht nur eine unterhaltsame, manchmal auch etwas zu anrührende Geschichte über die physischen und medialen Spuren, die die Verstorbenen in der Welt der Lebenden hinterlassen. Sie stellen auch ihr waches Bewusstsein für soziale Ungerechtigkeiten unter Beweis.
Miguel glaubt an sich, folgt seinen Träumen, ohne seine Wurzeln zu vergessen, will sich seinen Erfolg aber redlich verdienen. Er ist kein Coming-of-Age-Held, der erst seine eigenen Unsicherheiten überwinden muss. Die Probleme liegen vielmehr bei den Erwachsenen, ihren Denkweisen, die sich über Generationen hinweg verselbstständigt haben.
Die Stadt der Toten ist in „Coco“ alles andere als ein Paradies, das erkennt man schon nach einem kurzen Moment überschwänglicher Faszination. Sie glimmt und funkelt, wie von unzähligen Lampions erleuchtet. Dass sie nicht morbide oder furchterregend wirkt, täuscht jedoch nicht darüber hinweg, wie sehr ihre Gesellschaft gespalten ist: Am Día de los Muertos stellen die Lebenden Porträts der Toten auf, damit diese über die Brücke zwischen den Welten schreiten und ihren Nachfahren einen Besuch abstatten können. Ofrenda nennen sie diese Gaben, meist dargebracht auf einem reich geschmückten Altar. Jedoch: Ohne ofrenda kein Eintritt ins Reich der Lebenden. Gibt es keine Menschen mehr, die sich noch an die Toten erinnern, sterben sie ein zweites Mal, verschwinden auch aus der Geisterwelt – und niemand weiß wohin. Skelette, denen dieser Übergang verwehrt wird, gelten im Totenreich als Bürger zweiter Klasse. Sie wohnen in heruntergekommenen Siedlungen, leiden an Altlasten aus einem früheren Dasein, die manche von ihnen nicht einmal selbst verschuldet haben.
Erbsünden und Schuldfragen
Erbsünden und Schuldfragen nehmen auch einen zentralen Punkt im familiären Konflikt von „Coco“ ein. Miguels Ururgroßvater zog einst die Karriere vor, verließ Frau und Kind für die Musik. Der Film interessiert sich aber nicht nur für seine gebeutelte Künstlerseele, er gibt auch der Frau eine Stimme: Ururgroßmutter Imelda liebte einst selbst das Singen, aber sie musste ihre Karriere für ihre Tochter opfern.
Als Ausweg aus der Misere verweist der Film auf die Medien und die Künste. Ausgerechnet „Remember Me“ heißt der bekannteste Schlager des legendären Schauspielers und Sängers Ernesto de la Cruz, der in „Coco“ in das kollektive Gedächtnis sowohl der Lebenden als auch der Toten eingeschrieben scheint: Alle kennen und lieben seine Filme. Es sind klassische Melodramen, ein reiches Genre in der mexikanischen Filmgeschichte. Sich an die Stars dieser Werke zu erinnern, bedeutet immer auch, sich die Historie des Landes, seine Kulturtechniken und Traditionen vor Augen zu führen, die erst seine gegenwärtige Identität formen.
„Coco“ leiht sich seine erzählerischen und visuellen Einfälle aus der mexikanischen Kultur und ihren Bräuchen. Der tierische Sidekick ist ein Xoloitzcuintle, eine der ältesten Hunderassen, ein Running Gag spielt immer wieder mit dem Image der unvermeidlichen Frida Kahlo als Nationalheiligtum Mexikos. Das Spiel mit ethnischen Stereotypen betreibt der Film durchaus bewusst. Das machte im vergangenen Jahr schon der Animationsfilm „Vaiana“ über die Abenteuer einer polynesischen Kriegerprinzessin und die Mythen der Südsee erfolgreich vor. Die Sensibilität für kulturelle Vielfalt scheint damit endlich auch bei Disney angekommen zu sein.
In 21 Berliner Kinos (2-D und 3-D), OV: Cinestar Sony-Center
Katrin Doerksen
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