Día de los Muertos: Das geht auf die Knochen
Das mexikanische Totengedenken ist eine große Party. Im Kreuzberger Laden Superskull gibt es das klappernde Zubehör
Der Mensch besteht aus bis zu 75 Prozent Wasser. Melanie und Mario Behringer haben sich auf das restliche Viertel spezialisiert. Im Ladengeschäft der beiden türmen sich die blanken Knochen – Fleisch ist vergänglich. Das junge Paar steht in einem Showroom wie aus einem Metzgertraum. Rippenbögen schmiegen sich an Wirbelsäulen, Kieferknochen krönen Schädelhaufen. Mario Behringer zupft hier an einem Gerippe, rückt dort eine Knochenhand zurecht. „Uns geht es um die Skelette“, sagt er, „Skelette in allen Lebenslagen!“
Behringer hat gut lachen, denn bei „Superskull“ in der Mittenwalder Straße in Kreuzberg ist kein einziger Knochen echt. Die Behringers sammeln und verkaufen mexikanische Kunst. Und zwar die Kunst des „Día de los Muertos“, des Totentags der zwischen dem 31. Oktober und2. November gefeiert wird. Was in unseren Breitengraden Allerheiligen und Allerseelen ist, das ist in Mexiko ein kolossales Totengedenk-Spektakel: Eine Festlichkeit, wie sie das Abendland nicht mehr auf die Reihe bekommt.
„Superskull“ ist vielleicht so groß wie drei umgestürzte Telefonzellen. Dennoch befindet sich hier die größte Auswahl mexikanischer Totenfröhlichkeit in ganz Europa. Ein irres Wimmelszenario strudelt rund um den Besucher, die Vitrinen quellen schier über von fantastischem Kitsch. Totenschädel aus Zucker kichern, Dutzende, von den Behringers zweckentfremdete asiatische Winkekatzen posieren mit mexikanischen Wrestlingmasken. Vor allem paradieren Hunderte Miniaturskelette als kreuzfideler Volksauflauf über die Auslagen: Hier vorne grüßt ein Revolutionsheld mit Munitionsgürteln, dort hinten winkt eine lachende Skelett-Freiheitsstatue, und was machen denn das weibliche und das männliche Gerippe da miteinander? Das Totsein scheint der Sinneslust nicht zu schaden.
Die Behringers stehen in ihrem Totenreich und zeigen Figuren. Die zwei Mittdreißiger sind Enthusiasten. Bestimmte Miniaturen nehmen sie nur vorsichtig in die Hand, andere haben sie längst verkauft und erzählen jetzt hingebungsvoll von ihnen. Beide tragen selbst produzierte T-Shirts mit den Motiven ihrer Leidenschaft. Über die vielen Freundschaften nach Mexiko haben sie auch dortige Schädelzeichner kennengelernt, seit letztem Jahr werden in Berlin Textilien hergestellt und verkauft. „In Mexiko begegnen einem die Toten überall“, erklärt Mario Behringer, das Land sei offener im Umgang mit den Verstorbenen. Ein Satz, der makaber klingen mag. In Mexiko herrscht zurzeit ein ultrabrutaler Krieg zwischen verschiedenen Drogenkartellen, dem Staat und Paramilitärs. Seit 2006 sind dabei geschätzte 40 000 Menschen umgebracht worden, allein in diesem Jahr waren es bereits 10 000.
Als die Behringers nach Mexiko reisten, war davon noch nicht viel zu spüren. Vor fast zehn Jahren stießen sie während einer Reise auf den Brauch, dessen Wurzeln Wissenschaftler in einem uralten Fest der Azteken zu Ehren der Göttin Mictecacihuatl vermuten. Behringers lernten Mexikaner kennen und erlebten deren wochenlange Vorbereitungen auf die Totentage. Es wurden gemeinsam Zuckerschädel gebacken, Figuren gebastelt und Mahlzeiten gekocht, und am Día de las Muertos besuchten dann alle Familien ihre Toten auf dem Friedhof.
Gekocht wird für die Toten. An den Gräbern werden die Lieblingsspeisen der Verstorbenen serviert, dazu gibt es frische Blumen, Zigarren und gern mal ein Glas Tequila oder Mezcal. Im mexikanischen Volksglauben besteht keine Trennwand zwischen Leben und Tod. Am letzten Oktoberwochenende kommen alle Toten auf Stippvisite zur Erde. Ihre irdischen Restfamilien erwarten sie dann.
Die Behringers waren fasziniert davon, Großväter zu sehen, die gemeinsam mit ihren Enkeln die Gräber schmückten. Sie feiern ihren eigenen Día de las Muertos bei einem mexikanischen Freund hier in Berlin, der einen Altar für seine Vorfahren gebaut hat. Es ist längst nicht mehr bloß die mexikanische Community, die auch in Berlin das Totengedenken etwas fröhlicher auslegt. Auf vielen Partys wird an diesem Wochenende gefeiert und der Toten gedacht. Das vielleicht liebevollste Jubelfest begeht der lateinamerikanisch-deutsche Kulturverein Calaca im neuen Aufbauhaus am Kreuzberger Moritzplatz. Am Sonntagnachmittag steigt dort ein Familienprogramm mit Kindern – in Berlin kommt der Brauch gerade in den Familienwohnungen an. „Zu uns kommen Mütter, die einen Hausaltar mit ihren Kindern basteln wollen“, erzählt Melanie.
Anscheinend kann das Spiel mit dem Tod eine Gaudi sein. Die Behringers verkaufen vor allem über ihre Webseite. Dort halten sie Kontakt zu Sammlern. Die Figuren sind in Rockabilly-Kreisen beliebt. Der Punkrock-Schuppen White Trash Fastfood in der Schönhauser Allee etwa hat sich ein Riesenskelett maßschneidern lassen, das einen Hamburger isst. Solche extra angefertigten Figuren können durchaus mal mehrere Tausend Euro kosten.
Preiswerter sind die kleinen quietschbunten Papieraltäre, die die Behringers im Laden für die Totenprominenz der letzten Jahre aufgestellt haben: Ein Foto von Christoph Schlingensief prangt neben einem von Amy Winehouse. Liebevoll arrangiert steht nur eine Armlänge entfernt auf einem größeren Altar aus Holz eine Fotografie von Marios verstorbenen Großeltern. Das alte Liebespaar sieht äußerst gut gelaunt aus zwischen den fröhlich winkenden Totenminiaturen, den leuchtenden Blumen und den täglich für sie angezündeten Kerzen.
Gerne kauft hier jemand mal einen Skeletthund, um damit zu Hause eine Erinnerungsecke für das verstorbene Haustier einzurichten. Melanie und Mario Behringer kennen fast jede der Kunsthandwerker-Familien in Mexiko persönlich, die die Figuren bauen. Der Tod ist nicht nur fair gehandelt, er erfüllt auch höchste Sozialstandards: Die Welt rückt näher zusammen, wenn die Menschen gemeinsam ihre Toten feiern. Es lebe der Tod!
Superskull, Mittenwalder Str. 13, Infos: www.superskull.de. Mexikanisches Totenfest im TAK-Theater, Aufbauhaus, Fr/Sa 28./29.11., ab 20 Uhr, So 30.11., ab 15 Uhr
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