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Kahlo
© promo

Frida Kahlo: Die Schmerzensreiche. Die Freudenfrau

Sie war Krüppel und Diva, Märtyrerin und Mythos. Frida Kahlo, die Künstlerin und Ikone der Weiblichkeit. Eine Hommage zu ihrem 100. Geburtstag.

Die Kleine ist sechs Jahre alt, als eine Kinderlähmung sie neun Monate lang aufs Bett wirft und zur Tagträumerin macht. Erst träumt sie von Mädchen, später von Jungen, beide wird sie früh schon lieben. Das rechte Bein, das sie auf Fotos hinter dem linken versteckt, bleibt geschrumpft, doch die kleine Frida wird tanzen, wild tanzen, bis man das böse Bein in ihren letzten Lebensjahren noch amputiert. Dann tanzt sie mit einer Prothese. Viel früher aber, am 17. September 1925, da gerät die gerade Achtzehnjährige in einen Verkehrsunfall, und die eiserne Haltestange einer Straßenbahn in Mexico City spießt sich in ihren Körper, verletzt ihr Rückgrat, zertrümmert ihr Becken, tritt durch die Vagina wieder aus. Frida überlebt, beginnt nach Operationen, Torturen in Gips- und Streckverbänden im Liegen zu malen, steht auf, wird die Geliebte, dann die Frau des Revolutionsmalers Diego Rivera, den sie nach einer Scheidung ein zweites Mal heiratet, wird von ihm immerzu betrogen, hat selber Liebhaber, einer ist Lenins ehemaliger Gefährte und Stalins Todfeind Leo Trotzki. Frida, die zeitlebens Schmerzensreiche, raucht und säuft, einen Liter Brandy am Tag, sie malt, schreibt, malt bisher nie Gemaltes in ihrer durch keinen Alkohol, keine Liebe, kein Morphium zu betäubenden Pein, sie erzählt schweinische Witze, ist eine Vollblutfrau und die Frau voller Blut: Krüppel und Diva, Märtyrerin und Mythos.

Es gibt Menschen, die sind wie Kerzen, die von beiden Seiten brennen. So viel Strahlkraft und Verzehrung aber reicht kaum hin für die mexikanische Malerin Frida Kahlo. Als Künstlerin, Liebende, Lebenskämpferin zur Ikone der neueren Frauenbewegung geworden, gilt für sie noch eine zweite Metapher. Frida, wie alle Welt sie nur nennt, Frida glich einer Rose mit Dornen, die auch nach innen wachsen. Die stechen und durchbohren. Ein Bild, das passt, weil Leiden und Leidenschaft, Politik und Revolte, glühender Kitsch und große Kunst sich bei Frida Kahlo paaren wie bei keiner Zweiten im 20. Jahrhundert.

Und ihr Ruhm wächst bis heute. Übertrifft inzwischen sogar den Glanz ihres Ehemannes Rivera, des 21 Jahre älteren, schon zu Lebzeiten weltbekannten revolutionären Wandmalers und Supermachos, den alle nur Diego nannten. Frida und Diego, außerhalb ihrer Heimat zuerst in den USA erkannt, haben den reicheren nördlichen Nachbarn im Wechselbad von Anziehung und Abstoßung hassgeliebt, gemäß dem Motto vieler Mexikaner: „Gringo go home – but take me with you!“ Und so sind die beiden 2002 auch unvermeidlich zu Hollywood-Figuren geworden: in dem Biopic „Frida“, mit der hübschen, aus Mexiko gebürtigen Salma Hayek als Titelheldin.

Die wirkliche Frida ist 1954 am Rand von Mexiko City in dem Haus gestorben, in dem sie auch als Tochter eines ausgewanderten deutsch-jüdischen Fotografen aus Pforzheim und einer Mexikanerin 1907 geboren wurde. Also feiert man am 6. Juli ihren 100. Geburtstag. Feiert eine schöne, gegen alle existenzielle Tragik kämpfende Frau, deren 47 Lebensjahre alleine einem Wunder gleichen.

Zum Jubiläum herrscht von neuen Büchern bis zu unzähligen Präsentationen die tollste „Fridamania“. Natürlich erfasst sie zuerst ihr Herkunftsland, wo der Präsident im pompös-klassizistischen Palacio de Bella Artes von Mexico City gerade die größte Kahlo-Ausstellung aller Zeiten eröffnet hat. Und neben den über 100 Ölbildern, Aquarellen und Zeichnungen im Museum blüht der Handel mit Frida-Porträts auf Shirts, Tequilaflaschen, Parfums, Kalendern oder Rucksäcken. Den Anfang aber nahm Fridas fabelhaftes Nachleben doch eher in Europa und Nordamerika.

Käme jetzt eines der international so raren Kahlo-Werke in den Kunsthandel – deutsche Museen zum Beispiel besitzen von ihr kein einziges Gemälde –, es wäre eine zweistellige Millionensumme wert. Noch vor drei Jahrzehnten kannten indes nur Eingeweihte Kahlos Werk und Fridas Leben. In Deutschland wusste auch fast niemand von dem in Paris ansässigen Berliner Emigranten, Sammler und Kunsthändler Heinz Berggruen, der als junger Mann für ein paar Wochen Fridas Liebhaber gewesen war. Also fragte keiner den so intimen, nahen Zeugen. Auch in der Frauenbewegung der 68er-Zeit blieb Frida bestenfalls ein Geheimtipp. Erst in den siebziger Jahren drangen Botschaften vor allem amerikanischer Kunsthistoriker und Frauenforscher/innen über den Atlantik. Doch es dauerte, bis man sich etwa eines Aufsatzes des berühmten französischen Surrealisten André Breton über Kahlos Kunst erinnerte.

Vor genau 30 Jahren wurde dann im Berliner Schloss Charlottenburg und danach in Frankfurt am Main in einer Ausstellung über „Künstlerinnen international 1877 – 1977“ bei uns erstmals auf Frida Kahlo hingewiesen. Unter den Werken von 190 Künstlerinnen, angeführt von berühmten Namen wie Hannah Höch, Paula Modersohn-Becker, Meret Oppenheim oder Diane Arbus, konnte man auch Kahlos „Selbstbildnis mit abgeschnittenem Haar“ von 1940 entdecken, wenngleich noch ohne nähere Kenntnis des biographischen Hintergrunds. Frida blieb in der öffentlichen Wahrnehmung exotisch, ephemer. Eine ausführliche Rezension des Kunstkenners Heinz Ohff damals im Tagesspiegel erwähnte sie nicht.

Bald darauf geschieht etwas Erstaunliches. Zwei Jahre, bevor in New York die amerikanische Kunsthistorikerin Hayden Herrera ihre bahnbrechend brillante und bald darauf in alle Weltsprachen übersetzte Biographie „Frida“ veröffentlicht, kommt im Frühjahr 1981 ein Buch der in Berlin und Frankfurt am Main lebenden Schriftstellerin Gisela von Wysocki heraus. Eine Essaysammlung unter dem emblematischen Titel „Die Fröste der Freiheit. Aufbruchsfantasien“. Das schmale Buch im kleinen Syndikat Verlag handelt mit einem spürbar neuen, empfindlichen Blick auf die weiblich-menschliche Kreativität von sieben unterschiedlichen Autorinnen und Künstlerinnen, von Marieluise Fleißer, Unica Zürn, Virginia Woolf, Sylvia Plath bis Greta Garbo.

Wysockis Essays ernten, auch von männlichen Kritikern, hymnische Rezensionen – und dabei wird immer wieder auch das Buchcover abgebildet: ein Gemälde, das vor einer sandmeerähnlichen Landschaft eine schwarzhaarige junge Frau mit bis zu den Hüften entblößtem, blutig aufgerissenem Oberkörper zeigt, den vom Schoß bis zum Kinn ein geborstener Marmorpfeiler als zweites Rückgrat zugleich durchschneidet und hält. Um die Schultern und Brüste schlingen sich dazu wie ein Korsett weiße Bänder, in der oliv getönten Haut stecken winzige Nägel, und inmitten des von silbrigen Tränen besprenkelten, trotzdem unberührbar ernsten, durch jeden Betrachter hindurchblickenden Gesichts scheint ein dunkler Vogel seine Schwingen auszubreiten: Das sind Frida Kahlos eigene, auch in der Realität zusammengewachsene Augenbrauen.

Fridas inzwischen weltberühmtes Gemälde „La Columna Rota“ („Die gebrochene Säule“) zeigt wie fast alle ihre Werke ein Selbstbild. Zeigt das eigene Schicksal. Als Buchumschlag in den Zeitungen massenhaft vervielfacht, elektrisierte es damals tausende Leserinnen und Leser. Solch eine frontale, von der medizinischen Drastik ins alptraumhaft Überwirkliche sich aufschwingende Selbstentblößung und Selbstbehauptung hatten auch Kunstkenner kaum je gesehen. Doch das Wunderliche war, dass Gisela von Wysocki über Frida Kahlo, die ihre „Fröste der Freiheit“ so sinnfällig zierte, gar nicht geschrieben hatte.

Ich habe die Autorin jetzt, ein gutes Vierteljahrhundert später, gefragt, wie sie trotzdem auf Fridas Bild gekommen war. „Das verdankt sich dem magnetischen Zufall. Ich hatte Frida Kahlo überhaupt nicht gekannt, hatte wohl die Ausstellung über ein Jahrhundert ,Künstlerinnen international’ gesehen, aber schon wieder vergessen. Ende der 70er Jahre bekam ich dann von irgendwoher eine mexikanische Postkarte mit diesem Bild der ,Gebrochenen Säule’. Und mich hatte sofort gepackt, dass eine Frau eine offenbar ungeheure innere Verletzung mit soviel Stolz und Selbstvertrauen, mit einer so ungebrochen aufrechten Haltung darstellen konnte.“

Die folgenreiche Anekdote ist exemplarisch. Frida Kahlo, hat man sie sehenden Auges erst mal entdeckt, trifft ins Herz und ins Hirn. Wie ein sanfter Hammer. Traf sogar einen künstlerischen Hammermeister, den oft hirn- und herzwütigen Tanzberserker Johann Kresnik, mit so besonderer Wucht, dass ihm mit dem choreographischen Drama „Frida Kahlo“ in Bremen 1992 sein poetischster Streich und ein Triumph beim Berliner Theatertreffen gelang. Da war Frida schon eine Ikone, war ein Idol auch für Popstar Madonna, die bereits vor der dafür oscarnominierten Salma Hayek ein Hollywood-Epos über Frida drehen wollte. Immerhin bleiben Madonna privat einige in den 90er Jahren für wenige Millionen Dollar noch vergleichsweise preiswert erworbene Kahlo-Gemälde.

Vor etwa zehn Jahren bekam der kürzlich verstorbene Heinz Berggruen übrigens einen Brief von Madonna, die ihn bat, auch ein paar Bettgeheimnisse der von ihr so verehrten Frida zu verraten. Berggruen lehnte das ab. Er hat vor seinem Tod nur von einer „spontanen, intensiven Liebe zueinander“ erzählt. Frida war 1940 zu einer Behandlung durch ihren amerikanischen Vertrauensarzt mit Diego Rivera nach San Francisco gefahren, wo Diego zugleich ein Wandgemälde zur Eröffnung der Golden Gate Bridge malen sollte. Dort war dem mexikanischen Künstler der herumjobbende junge deutsche Emigrant Berggruen als Assistent zugeteilt worden. Inzwischen lag Frida wieder einmal wegen ihrer Rücken- und Beinleiden im Krankenhaus, und Berggruen durfte den um Frida, trotz seiner unzähligen Mätressen, lebenslang besorgten Meister der „Murales“-Fresken bei einem Krankenbesuch begleiten.

Der hünenhafte Diego, ein nicht nur Frauen mächtig bezauberndes Walross mit Froschaugen, beugte sich vor Fridas Zimmertür herab zu dem kleinen, zarten Deutschen und sagte ihm, auf Französisch vom „vous“ zum „tu“ wechselnd: „Sie werden nun meine Frau kennenlernen, und du wirst dich in sie verlieben.“ Tatsächlich gefiel auch Frida der aparte schwarzhaarige Heinz, der mit seinen Fünfundzwanzig sieben Jahre jünger war als sie und scheu, kunstbegierig, leicht verführbar. Während einer vierwöchigen Affäre sprang Frida aus dem Krankenbett und wechselte mit dem Lover von der Westküste nach New York. Ihre Bilder aber hatte Berggruen, der Picasso-Freund und Sammler, erst später entdeckt. So erschien ihm Frida nur als die „zierliche, zauberhaft gekleidete und hinreißenden Charme ausstrahlende Mexikanerin“, mit der er „einst durch die Straßen Manhattans gestreift war“.

In New York hatte Frida 1938 ihre erste kleine Einzelausstellung in einer Surrealisten-Galerie gehabt, die zuvor Dalí, Max Ernst und Man Ray präsentiert hatte. Ihre zweite wichtige Station war Paris, 1939 vor Kriegsbeginn, wo sie mit einigen Bildern in der von André Breton schlampig vorbereiteten Schau unterm Titel „Mexique“ gezeigt wurde. Frida, die sich außerhalb Mexikos nie ganz wohlfühlte, meist fror und, obwohl für den linken Internationalismus begeistert, eine mexikanische Patriotin war, Frida empfand die französischen Café-Intellektuellen als dünkelhafte Schwätzer, sah in Paris nur ein Drecksnest und schrieb dem amerikanischen Fotografen Nickolas Muray, ihrer größten Amour neben Diego: „Lieber hocke ich mich auf den Markt von Toluca und verkaufe Tortillas.“

Immerhin kaufte ihr der Louvre als erstes Museum ein Gemälde ab, sie lernte Picasso, Kandinsky, Max Ernst und Miró kennen, die in ihr schon mehr sahen als nur Diegos hausfraulich malende Gattin. Und das Magazin „Vogue“ zeigte Fridas mit vielen Ringen geschmückte Hand auf dem Titel, präsentierte die Künstlerin allerdings noch als „Madame Rivera“. Trotzdem gab es bei „Vogue“ wohl schon eine Ahnung: dass diese immer in farbenprächtiger mexikanischer Tracht auftretende Frau mit dem eigenen Stolz auch das Selbstbewusstsein eines armen, doch lange vor der spanischen Eroberung schon kulturreichen Volkes verkörperte.

Zudem erzählte die scheinbar naive Autodidaktin in ihren Bildern mit einer schockierenden Offenheit und verblüffender Einbildungskraft von ihrer eigenen Geburt, ihren Fehlgeburten und entsetzlichen medizinischen Foltern, sie verdoppelte sich darin, verzauberte das Ich und ist, der heutigen fotografischen Selbstverwandlungskünstlerin Cindy Sherman ähnlich, nie nur eine Selbstdarstellerin. Ihre besten Bilder sind märchenhaft tragische, manchmal groteske Metaphern der Existenz, einer transzendierten Natur. Ohne Gott (in einem katholischen Land), ohne Anklage, ohne anderen Sinn als die Sehnsucht, trotz allem zu leben. Sie sei keine Surrealistin, sagte sie, die Bilder „sind meine Realität“.

In ihrem Geburts- und Sterbehaus im stillen Villenvorort Coyoácan am südlichen Rand von Mexico City kann man trotz einiger Umbauten, die schon Diego Rivera vornehmen ließ, und trotz des heutigen Museumsbetriebs noch etwas nachfühlen von Fridas innerster äußerer Welt. Es ist die „Casa Azul“, das schon von Fridas Vater blau angestrichene Haus. Nahebei liegt auch, in Privaträumen fast unverändert, das befestigte Landgut, in dem Trotzki, im mexikanischen Exil zunächst Fridas und Diegos Gast im „Blauen Haus“, nach einer Affäre mit Frida gezogen war – und wo ihn ein Agent Stalins 1940 am Schreibtisch mit einem Eispickel erschlug. Da mag es wundern, dass auf Fridas Staffelei im ersten Stock des „Blauen Hauses“ noch immer ein angefangenes Stalin-Porträt steht. Der Despot mit sonderbar scheelem Blick.

Es hat wohl zu tun mit Fridas schwärmerischer Hingabe an die linke Utopie, vor dem roten Götzensturz. So hängen auch über jener Bettsänfte, in der man sie ein Jahr vor ihrem Tod zur Eröffnung ihrer ersten Einzelausstellung in Mexiko City getragen hat, die kommunistischen Heiligen, von Marx bis Stalin und Mao. Ihnen gegenüber aber ein bäuerliches anonymes Gemälde von einem toten, bunt geschmückten Kind. Auf dem Kopfkissen liegt Fridas Totenmaske, hinter dem Bett lehnt die Beinprothese mit einem anmontierten chicen, blutroten Lederschuh. Aber das wahre Sterbelager findet sich im nächsten Raum: ein Himmelbett, dort hatte Frida nur Schmetterlinge über sich. Daneben eine hohe Tonurne, antik, aus Diegos Sammlung präkolumbianischer Kunst, wohl ein Frauenleib ohne Kopf. Darin ist Fridas Asche.

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