Bildersturm im Irak: Propaganda mit Pressluftbohrer
Mit seinen Angriffen auf antike Statuen zielt der Islamische Staat auf die Identität des Irak. Im antiken Ninive wurde eine Torwächterfigur schwer beschädigt, im Museum von Mossul wurden Exponate zerstört. Der Bildersturm ist eine Attacke auf das Konzept des Bewahrens und auf die Archäologie schlechthin.
Vor 2600 Jahren war Ninive ein blühendes Zentrum der antiken Welt. Die Bibel nennt Nimrod als Erbauer der assyrischen Stadt, die am Tigris im Nordirak liegt: „Von dem Land ist er gekommen nach Assur und baute Ninive“ (1 Mose, Genesis 10). Statuen aus der Metropole haben die Jahrtausende überlebt, nun fallen sie dem Terror des sogenannten Islamischen Staates (IS) zum Opfer. Videos im Internet zeigen, wie die Bilderstürmer im Museum von Mossul – der modernen Stadt gleich gegenüber den Ruinen von Ninive – Statuen vom Sockel stürzen, mit Vorschlaghämmern und Bohrmaschinen bearbeiten und dazu „Allahu akbar“ (Gott ist größer) rufen. An der archäologischen Grabungsstätte attackierten die Fanatiker eine Torwächterfigur der assyrischen Stadtmauer mit dem Pressluftbohrer. Ihr Gesicht wurde zerstört. Der geflügelte Stier mit menschlichem Antlitz – Lamassu – ist im Alten Orient als Schutzgenios verehrt worden.
„Solche Schutzgenien bewachen in neuassyrischen Monumentalanlagen den Eingang. Sie sind groß und gewaltig, künstlerische und logistische Meisterwerke. Die Assyrer verstanden es, diesen harten Stein zu bearbeiten“, sagt Markus Hilgert, Direktor des Vorderasiatischen Museums Berlin. Er zeigt sich schockiert über das Ausmaß der Attacken. Gerade die Zerstörung des Schutzgenios von Ninive ist für Hilgert ein Zeichen dafür, dass es um mehr geht, als auf spektakuläre Art und Weise das Bilderverbot des Islam durchzusetzen. „Der Angriff auf diese Kunstwerke ist auch ein Angriff auf das westliche Konzept des Ausstellens von Artefakten, auf die Tradition des Bewahrens und der Archäologie schlechthin. Ein Angriff auf das vorislamische Erbe des Irak ist ein Angriff auf die nationale Identität des Irak“, sagt Hilgert. Jeder Iraker, ob Christ, Muslim oder Kurde, könne sich mit den Altertümern des assyrischen Reiches identifizieren. Reproduktionen der Reliefs dieser Kultur sind beliebte offizielle Gastgeschenke der irakischen Regierung. Ähnlich wie Ägypten sich auf die Zeit der Pharaonen bezieht, schöpft der Irak seine kulturelle Identität aus den altorientalischen Kulturen des Zweistromlandes. Dort entstanden die ersten Metropolen der Menschheit, dort wurde die Schrift erfunden. In Ninive war es, wo 1845 mit der Entdeckung der antiken Stadt durch den britischen Amateur-Archäologen Austen Henry Layard die moderne Altorientalistik begann.
Die Aktion muss exakt geplant worden sein. Ninive ist ein Wort, dessen Klang weltweit vertraut ist, ein Wort, das Vorstellungen von einer mythischen, fast märchenhaften Vorzeit wachruft. Ninive war mit der berühmten Bibliothek des Assurbanipal das bedeutendste politische und kulturelle Zentrum des neuassyrischen Reiches, dessen Einfluss sich zeitweise über weite Teile des Vorderen Orients erstreckte. „Obwohl das Museum von Mossul seit Längerem in der Hand des IS ist, haben sie erst jetzt spektakulär die Zerstörung der Kulturgüter in Szene gesetzt. Warum jetzt?“, fragt Hilgert. „Weil die Kurden und die Amerikaner vor Kurzem eine Offensive zur Befreiung Mossuls ankündigten?“
Im Alten Testament ist Ninive negativ besetzt, es steht für die Kultur und die Verderbtheit der Assyrer. Im Buch Zefanja wird der Untergang der Stadt angekündigt: „Auch Rohrdommeln und Eulen werden wohnen in ihren Säulenknäufen, das Käuzchen wird im Fenster schreien und auf der Schwelle der Rabe.“ Bereits im letzten Sommer hatte es Drohungen gegen Assur gegeben, das 200 Kilometer südlich von Ninive liegt. Die Ruinen dieser assyrischen Stadt wurden zwischen 1903 und 1914 von der Deutschen Orient-Gesellschaft unter Leitung des Berliner Archäologen Walter Andrae ausgegraben. Kaiser Wilhelm II. wollte möglichst spektakuläre Funde nach Berlin schaffen lassen, um im Wettstreit mit dem Louvre und dem British Museum gleichziehen zu können. So sind Abgüsse von den Schutzgenien aus Assur bis heute im Vorderasiatischen Museum zu sehen.
Auch der Generaldirektor der syrischen Antikenverwaltung, Maamoun Abdulkarim, ist überzeugt, dass die Zerstörungen von Mossul und Ninive vor allem eins waren: gezielte Propagandamaßnahmen. Schließlich handelt es sich bei dem Museum von Mossul nach dem soeben wiedereröffneten Nationalmuseum von Bagdad um das zweitwichtigste Museum des Irak. „Ich bin sicher, dass sie einen großen Teil der archäologischen Sammlungen verschiedener Perioden zerstört haben“, sagt er im Gespräch mit dem Tagesspiegel. „Der IS zeigt damit, wie gefährlich er für die Archäologie, die Humanität und die kulturelle Vielfalt ist – und für die gesamte Zivilisation.“ Deshalb ruft Abdulkarim zu einer „internationalen Front gegen diese Barbaren auf, die unsere Identität und unser gemeinsames Erbe bedrohen.“
Markus Hilgert spricht von einem „Weckruf an den Westen“, der der IS-Propaganda nicht zu viel Beachtung schenken solle. „Wir müssen nicht nur humanitär und militärisch, sondern gerade auch kulturpolitisch reagieren. Hätten wir das bereits 1995 im Irak getan, stünden wir heute besser da. Seit mehr als 25 Jahren beobachten Fachleute Zerstörung, Plünderung und illegalen Kunsthandel. Wenn wir nicht wollen, dass das kulturelle Erbe der Menschheit in dieser Region in zehn Jahren verschwunden ist, müssen wir deutlich mehr investieren“, so lautet Hilgerts Credo.
Was nun zu tun ist? Der Westen muss Ländern wie Irak und Syrien helfen, ihr kulturelles Erbe selbst zu schützen. Ein erster kleiner Schritt in diese Richtung ist ein Trainingsprogramm für syrische Archäologen und Restauratoren, das das Vorderasiatische Museum starten will. Daneben könnte Deutschland zusammen mit dem Internationalen Museumsrat ICOM und der Unesco viel tun, um eine wissenschaftliche Infrastruktur in den Ländern zu schaffen. Einheimische Restauratoren müssen ausgebildet werden, sie müssen lernen, mit welchen Materialien man unter orientalischen Klimabedingungen arbeiten kann. Digitalisierung und Datensicherung gehören zu den Bestandteilen eines solchen Schutzprogramms. Hilgert: „Wir können das aber nicht einfach verordnen, sondern der Wunsch muss aus den Ländern selbst kommen.“ So lange der IS das Territorium kontrolliert, bleiben allerdings alle Pläne Wunschdenken.
Hilgert fordert, den Kulturgutschutz in Deutschland ganz oben auf die politische Agenda zu heben. Dazu gehört auch das Projekt „Verfahren zur Erhellung des Dunkelfeldes als Grundlage für Kriminalitätsbekämpfung und -prävention am Beispiel antiker Kulturgüter (ILLICID)“, das das Bundesbildungsministerium mit 1,2 Millionen Euro für drei Jahre finanziert. Hinter dem Wortungetüm steht der Wunsch, den Schwarzhandel mit antiken Kunstwerken besser auszuleuchten. Das von Hilgert koordinierte Vorhaben gibt den Ermittlungsbehörden verlässliches Datenmaterial zu den Funktionsweisen des Schwarzmarktes an die Hand. Denn die Ausgrabungsstücke, die der Islamische Staat nicht zerstört, die verkauft er.
Mit dem Verkauf von Antiken kann sich der IS nach Ansicht des Mainzer Kriminalarchäologen Müller-Karpe nur so lange finanzieren, wie sich dafür Käufer im Westen finden - auch in Deutschland. „Im Grunde finanzieren sie das Messer, mit dem die IS-Terroristen die Köpfe ihrer Geiseln abschneiden“, sagte er der dpa. Weltweit setze die Antikenmafia jährlich Milliarden um. Auch in
Deutschland ließen sich problemlos antike Kulturgüter ohne Herkunftsangabe kaufen und verkaufen. „Sie können aber im Grunde nur illegaler Herkunft sein. Archäologische Funde aus legalen Grabungen kommen ins Museum“, erläuterte Müller-Karpe, der auch den Kulturausschuss des Bundestages berät. Er warf Polizei und Staatsanwaltschaft vor, die Bedeutung illegalen Antikenhandels oft zu verkennen. Dabei würden damit wichtige Informationen der Menschheitsgeschichte zerstört.
Rolf Brockschmidt
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