Illegaler Kunsthandel in Syrien: Angriff auf die Seele der Nation
In Syrien werden Weltkulturerbe-Stätten im Krieg zerstört, es wird geraubt und geplündert. Gegen den florierenden illegalen Kunsthandel soll den Zollfahndern nun eine "Rote Notfall-Liste" helfen.
Seit drei Jahren herrscht Bürgerkrieg in Syrien, mehr als 150 000 Menschen haben dort bisher ihr Leben verloren. Eine Lösung des grausamen Konflikts ist nicht in Sicht. Und je länger die kriegerischen Auseinandersetzungen dauern, desto mehr gerät Syriens reichhaltiges kulturelles Erbe ins Visier der Kämpfer beider Seiten. Immer öfter fallen Schätze und Baudenkmäler aus allen Epochen den Bomben, Schüssen und Sprengstoffattentaten zum Opfer.
Syrien liegt seit Jahrtausenden am Kreuzweg der Kulturen, mit einem reichhaltigen Erbe vom Neolithikum bis zur Omajjadenzeit. Diese Kulturgüter sind der Stolz der Syrer, die vor dem Krieg ungeachtet ihrer Religion friedlich miteinander lebten. Die Zahl der Kriegstoten ist dramatisch hoch, aber auch der Verlust des kulturellen Erbes trifft das Land existenziell. „Die Zerstörung unschätzbarer Güter der Menschheit zerstört die Identität und die Seele der Nation“, zitiert Karin Bartel vom Deutschen Archäologischen Institut (DAI) in Berlin den Chef der syrischen Antikenverwaltung.
Ursprünglich hatte Maamoun Abdulkarim persönlich zur Präsentation der „Roten Notfall-Liste der gefährdeten Kulturgüter“ anreisen wollen, deren englisches Original im letzten Herbst veröffentlicht wurde. Eingeladen haben das Deutsche Nationalkomitee des Internationalen Museumsrats (ICOM Deutschland), die Stiftung Preußischer Kulturbesitz und das DAI, die Veranstaltung im Archäologischen Zentrum wendet sich an Museumsleute, Strafverfolgungsbehörden, Kunsthandel, Sammler und die breite Öffentlichkeit. Dass ausgerechnet Berlin das Augenmerk noch einmal auf Syrien richtet, ist kein Zufall: „Wir sind hier gewissermaßen mit Syrien verheiratet, durch Jahrhunderte“, bekennt Stefan Weber, Direktor des Museums für Islamische Kunst. Nach Beginn des Krieges sei man zunächst in kollektiver Schockstarre verharrt, ein Wort, das an diesem Tag noch öfter zu hören ist. „Wenn man durch den Basar von Aleppo ging, war das ein Gang durch die Geschichte, durch römische und byzantinische Arkadenstraßen, deren Tradition bis heute reicht. Nun liegen weite Teile davon in Schutt und Asche.“
Ricardo Eichmann, Direktor der Orientabteilung des DAI, klagt ebenfalls über die zunehmende mutwillige Zerstörung von Kulturgütern und systematische Raubgrabungen im zerfallenden syrischen Staat. Sechs Einträge verzeichnet die Welterbeliste der Unesco, doch der Status habe den Welterbestätten nicht geholfen. Die Altstadt von Aleppo, die frühchristlichen „Toten Städte“ im Norden sowie der Krak des Chevaliers haben zum Teil schwere Schäden erlitten, ebenso die Altstadt von Bosra im Süden.
Mit der Zerstörung des Kulturerbes, so Eichmann, schade man auch dem Kulturtourismus. Ein Wirtschaftsfaktor, der wieder zum Tragen kommen könnte, sollte das Land je befriedet werden. Im Moment ist daran aber ebenso wenig zu denken wie an eine Fortsetzung der traditionsreichen archäologischen Forschung.
Vor allem die zunehmenden illegalen Grabungen und Plünderungen von Museen und Depots hatten den ICOM veranlasst, eine „Rote Liste“ für Syrien herauszugeben. Sie verzeichnet nicht etwa die zerstörten Stätten und gestohlenen Schätze, sondern listet exemplarisch Bilder von Artefakten aus allen Epochen auf, um dem Zoll, den Grenzbeamten und Strafverfolgungsbehörden ein Instrumentarium an die Hand zu geben, mit dem sie gestohlenes Kulturgut aus Syrien leichter identifizieren können.
Das Spektrum reicht von 4000 Jahre alten Tontafeln mit Keilschrift aus Mari über Skulpturen aus Tell Halaf bis zu Bronzefiguren aus Ugarit. Oder die Alabasterfiguren mit den eingelegten Augen aus Lapislazuli und Muschel aus Mari: Wer sie einmal gesehen hat, wird sie sofort wiedererkennen.
Abgebildet sind auch 5000 Jahre alte „Augenidole“, also Figurinen mit Amulettcharakter, aus Tell Brak sowie Relieffiguren aus Palmyra, von denen kürzlich einige in einem Rebellencamp bei Homs sichergestellt werden konnten. Des Weiteren zeugen Gefäße aus Keramik, Metall und Glas, Mosaiken aus frühchristlicher Zeit und Architekturelemente von der künstlerischen Vielfalt der uralten Kulturregion. Öllampen, Schmuck, Rollsiegel und Münzen bis in die islamische Zeit schließen die Liste ab. Wer sie betrachtet, absolviert einen Crashkurs in syrischer Kunst- und Kulturgeschichte. Hoffentlich wird sie von Zollbeamten und Kunsthändlern auch tatsächlich beherzigt.
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Markus Hilgert, der neue Direktor des Vorderasiatischen Museums, weist darauf hin, wie sehr die instabile Situation nicht nur in Syrien den illegalen Handel beflügelt. Nach dem Geschäft mit Drogen und Waffen rangiert er weltweit mittlerweile auf Platz drei der organisierten Kriminalität. Mit verscherbelten Kunstschätzen wird Geldwäsche betrieben, wird der Terror finanziert. EU-Verordnungen, interdisziplinäre Forschung und eine engere Zusammenarbeit zwischen Museen und Strafverfolgungsbehörden können helfen, dies einzudämmen.
Das Ausmaß des illegalen Handels mit antiken Kulturgütern sei in der Öffentlichkeit zu wenig bekannt, erklärt Hauptkommissarin Sylvelie Karfeld vom Bundeskriminalamt. „Jedes Ei kann man anhand einer Prüfnummer bis zur Henne zurückverfolgen – aber an einer antiken Skulptur kann man sich eben auch nicht den Magen verderben.“ Gütesiegel und Prüfstempel verstehen sich für die Kunden fast aller Produkte von selbst. Aber beim Handel mit antiker Kunst, so Karfeld, wird die Herkunft in der Regel verschleiert. Ein legales Objekt braucht eine Ausfuhrgenehmigung mit Herkunftsbezeichnung. Aber was geschieht mit den mehr als 100 000 unregistrierten Objekten aus Raubgrabungen? Dass der Handel sich lohnt, hat damit zu tun, dass solche Kulturgüter nicht rosten, ein geringes Risiko bergen und maximalen Gewinn versprechen – oft tauchen legale und illegale Objekte parallel in einer Auktion auf. Auch sind 50 Prozent aller Handelsware gefälscht.
Warum, insistiert Karfeld, forschen Kunsthändler nicht nach der Herkunft ihrer Ware? Warum werden diffuse Herkunftsbezeichnungen wie „Mesopotamien“ akzeptiert, mit denen die Verbote für irakische und syrische Kulturgüter umgangen werden? Solange gekauft wird, wird auch geplündert: Die Kriminalexpertin begrüßt die EU-Richtlinie 1332/2013 über „restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in Syrien“ als ersten Schritt, den illegalen Handel einzudämmen.
„Wir sind erst am Anfang“, sagt auch France Demarais von der Pariser ICOM-Zentrale. Immerhin konnten bereits mehr als 1500 Objekte an das Nationalmuseum in Kabul zurückgegeben werden, weil die Rote Liste für Afghanistan und Pakistan am Londoner Flughafen Heathrow konsequent eingesetzt wird. Man hofft auf die langfristige Wirkung der Listen.
Was denn mit den Käufern sei, wollte Hartmut Kühne von der Freien Universität wissen. Er leitet die Berliner Grabung von Tell Schech Hamad, dem antiken Dur-Katlimmu am Flussabschnitt des Unteren Habur. Gerüchten zufolge wollten die Golfstaaten sich mit solchen Objekten ihre Sammlungen verschönern. „Ohne Käufer kein Markt“, betont auch Demarais, aber man wolle den Markt nicht angreifen. Ein Markt, der in Syrien offiziell gar nicht existiert: Schon vor dem Krieg war der Handel mit Kulturgütern dort verboten. Jedes Objekt, das auf dem internationalen Markt auftaucht, ist also illegal. „Kulturgüter sind Objekte der Reichen“, erklärt Hauptkommissarin Karfeld. „Das deutsche Kulturgutgesetz von 2008 schützt nicht das Kulturgut, sondern den Handel. Solange Kulturguthandel cool ist, ist es eben so.“
Auch das deutsche Gesetz zum Schutz der Kulturgüter wird gerade novelliert. Kulturstaatsministerin Monika Grütters betont, Deutschland stehe zu seiner völkerrechtlichen Verantwortung, gegen den illegalen Handel mit Kulturgut vorzugehen. Den Entwurf eines neuen Gesetzes will sie Anfang 2015 vorlegen. „Das Ziel ist, sowohl illegal ausgeführtes Kulturgut anderer Staaten konsequenter als bisher an diese zurückzugeben als auch deutsches Kulturgut besser vor Abwanderung ins Ausland zu schützen.“
Man darf gespannt sein, ob darin auch eine Aufzeichnungspflicht der Händler mit Papieren und Ausfuhrgenehmigungen aufgenommen wird. Denn eine antike Skulptur sollte in Deutschland genauso zurückzuverfolgen sein wie das nummerierte Ei der Henne.
Rolf Brockschmidt
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