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Die Große Moschee von Maaret al-Naaman in der Provinz Idlib im Norden Syriens. Dieser Ort ist seit zwei Jahren in der Hand der bewaffneten Opposition. Die Moschee wurde bei Bombardierungen beschädigt. In der Stadt schützen aber die Regierungsgegner das örtliche Museum, das in ganz Syrien für seine Mosaike berühmt ist.
© REUTERS/Khalil Ashawi

Bedrohte Kulturgüter in Syrien: „Es geht um das Erbe der ganzen Welt“

Zur Berliner Konferenz „Kulturgut in Gefahr“ ist auch Maamoun Abdulkarim angereist, Chef der syrischen Antikenverwaltung. Ein Gespräch über drei Jahre Bürgerkrieg, zerstörte und verschleppte Kulturgüter und die Verantwortung Deutschlands.

Maamoun Abdulkarim ist seit 20 Jahren Professor für Archäologie an der Universität Damaskus und seit August 2012 Direktor der syrischen Antikenverwaltung DGAM (Direction Générale des Antiquités et des Musées). Ein Ehrenamt – die Antikenverwaltung untersteht dem Kulturministerium. Am heutigen Donnerstag beginnt im Auswärtigen Amt in Berlin die internationale Konferenz „Kulturgut in Gefahr. Raubgrabungen und illegaler Handel“, zu der Abdulkarim angereist ist.

Monsieur Abdulkarim, seit dreieinhalb Jahren tobt in Syrien der Bürgerkrieg. 200 000 Menschen sind umgekommen. Wie ist die Situation für die antiken Kulturschätze?
Der Krieg berührt alle Bereiche des Lebens. Man sagt, das Land ist ein verwundeter Mensch, aber sein Gedächtnis und seine Identität sind auch bedroht. Das haben wir bei den Kämpfen in Homs oder Aleppo erlebt. Alle Syrer verlieren in dieser Situation. Die Verluste sind aber nicht nur Ergebnis des Krieges, sondern auch mafiöser internationaler Strukturen, die sich in Syrien breitgemacht haben. Archäologische Stätten wurden geplündert. Ein weiteres Problem sind die Extremisten, die aus ideologischen Gründen die syrischen Altertümer angreifen und bewusst zerstören.

Wie ist die Lage in Aleppo?
Aleppo hat so viel gelitten wie alle Städte Syriens zusammen. Hunderte historischer Häuser und Soukhs sind zerstört oder stark getroffen. Es besteht die Gefahr des vollkommenen Verlustes der Altstadt um die Zitadelle. Hunderte von Geschäften im Soukh sind ausgebrannt, die Omayyadenmoschee ist sehr fragil und das Minarett ist gefallen.

Die Stadt ist geteilt. Haben Sie auch Kontakte zu den Regierungsgegnern?
Meine 2500 Mitarbeiter arbeiten in ganz Syrien. Selbst wenn sich eine Region unter Kontrolle der Opposition befindet, wie Dschebel al-Zawiyeh, schicken sie Berichte und erhalten von uns ihren Lohn. Wenn das Telefon nicht funktioniert, benutzen wir WhatsApp oder Ähnliches. Meine Generaldirektion ist für alle Syrer zuständig, das mag Europäern seltsam vorkommen. Wir haben die Politik vom kulturellen Erbe getrennt. Das Erbe gehört jedermann. In gewissen Regionen ist es aber schwierig, Informationen zu bekommen, weil dort die Wächter nicht mehr vor Ort sind.

Antike Ruinen haben dicke Mauern, die Schutz bieten. Wenn sich Kämpfer dort verstecken, machen sie das Objekt zum militärischen Ziel.
Das Objekt wird zur Geisel. Wir haben die Kämpfer auf Webseiten in Englisch und Arabisch aufgefordert, die archäologischen Stätten zu verlassen und nicht als Militärbasen zu nutzen. Sie müssen die internationalen Konventionen anerkennen, damit respektiert man auch unser Gedächtnis und unsere Identität. Der Krieg wird eines Tages beendet sein, aber erst dann wird das syrische Volk sehen, wie viel es von seinem Gedächtnis verloren hat. Beim Krak des Chevaliers haben wir mit der Regierungsarmee gesprochen und um Vorsicht gebeten. Glücklicherweise ist das relativ gut ausgegangen. Seit Juni räumen wir auf und restaurieren. In Palmyra ist es ähnlich verlaufen.

Funktioniert das auch mit der bewaffneten Opposition?
Natürlich. Maarat an-Numan ist ein Dorf in der Region Idlib unter der Kontrolle der Opposition. Unsere Mitarbeiter kennen die Stämme, die geistlichen Führer, die Intellektuellen und helfen uns durch Vermittlung, unsere Geschichte zu bewahren. Dieses Dorf besitzt das wichtigste Museum für Mosaike in Syrien, die Oppositionellen sind Syrer aus dem Ort. Wir haben gesagt: „Wenn ihr ein Problem mit der syrischen Armee habt, bitte, aber nicht hier.“ Wir haben sie gebeten, das Museum vor Dieben zu schützen. Direkt mit den Rebellen dürfen wir nicht arbeiten, aber dank unserer Mitarbeiter und der Eliten der lokalen Gesellschaft gelingt das dann doch.

Wie unterstützen Sie Ihre Mitarbeiter?
Seit ich Direktor bin, werden alle Mitarbeiter überall bezahlt. Aber in komplizierten Gebieten wie Raqqa, Idlib, Aleppo, Deir ez-Zor oder Homs bekommen sie Extra-Prämien, denn meine Kollegen haben dort oft ihre Häuser verloren, sie leben unter schwierigen Bedingungen. Wir mieten ihnen neue Wohnungen, und wenn die offiziellen Autos eine Gefahr sind, mieten wir Privatautos für sie. Und wenn es zu gefährlich wird, dürfen sie in ihren Dörfern bleiben, um die örtliche Bevölkerung zu unterstützen.

Wie ist die Lage der Museen?
99 Prozent der Objekte aus den Museen sind in Sicherheit. Aber ich habe jeden Tag Angst.

"Deutschland muss nun seine Rolle spielen"

Maamoun Abdulkarim.
Maamoun Abdulkarim.
© Rolf Brockschmidt

Wie ist es um die Sicherheit der archäologischen Grabungsstätten angesichts der vielen bewaffneten Gruppen bestellt?
Dort ist die Lage viel schwieriger. Wir haben 10 000 Stätten im ganzen Land. Aber in Dura Europos am Euphrat, in Mari (Region Deir ez-Zor) oder im Yarmouk-Tal bei Deraa sind bewaffnete mafiöse Gruppen aus dem Ausland unterwegs, teils mit Bulldozern. Sie bedrohen die örtliche Bevölkerung und plündern archäologische Stätten. Es gibt viele bewaffnete Gruppen. Man kann nicht sagen, dass alle gut oder schlecht sind. Die Gruppe von Maarat an-Numan hat das Museum bewacht, die Gruppen in Mari sind Diebe.

Diese Gebiete sind dünn besiedelt.
Für mich ist die Sache einfach. Wer in der Opposition Politik macht, schützt die archäologischen Stätten, denn er will von der lokalen Bevölkerung akzeptiert werden. Wenn eine Gruppe die Zusammenarbeit mit der regionalen Bevölkerung vermeidet, sind es Mafiosi.

Wie groß ist das Ausmaß der Raubgrabungen in Syrien?
Tausende von archäologischen Stätten sind in gutem Zustand, es ist bei uns nicht so wie im Irak. Davon sind wir weit entfernt. Aber Stätten wie Apamea, Dura Europos, Mari und einige Stätten bei Aleppo sehen aus wie dort. Tell Halaf hat ein wenig durch die Kämpfe gelitten, aber es gab keine Raubgrabungen. In Raqqa haben die Islamisten mit Bulldozern den halben Tell abgetragen. Das hat nichts mehr mit dem Krieg zu tun, das ist eine dritte Partei.

Wie stark sind die Altertümer von Raqqa bedroht?
Der IS zerstörte in Raqqa alle römischen, griechischen und christlichen Statuen und alle islamischen Mausoleen. Das ist ein Phänomen der Barbarei.

Der Handel mit gestohlenen Kulturgütern funktioniert nur, wenn es einen Markt gibt.
Alle Syrer, ob regierungstreu oder oppositionell, die mich informieren, sind gute Syrer, weil sie das Erbe beschützen wollen. Unser Problem sind die offenen Grenzen. Nur der Libanon arbeitet eng mit uns zusammen, beschlagnahmt Objekte und gibt sie uns zurück. Die internationale Gemeinschaft muss gegen diese Mafiosi vorgehen, denn es geht um das Erbe der ganzen Welt. Deutschland spielt dabei eine ganz wichtige Rolle. Wir brauchen eine internationale Übereinkunft, die Grenzen um Syrien zu schließen.

Um es ganz klar zu sagen: Wenn ein Kunsthändler hier ein syrisches Objekt anbietet, ist es eindeutig illegal hierhergekommen?
Alle Gesetze Syriens seit 1963 bis heute verbieten den Verkauf syrischer Antiquitäten. Man muss das stoppen. Wir müssen zeigen, dass wir alle auf der Welt gegen die Diebe zusammenstehen. Eines Tages wird der Krieg vorbei sein und Regierung und Opposition werden sich am Verhandlungstisch treffen, die Lösung kann nur politisch gefunden werden.

Die al-Omari Moschee in Deraa im Süden Syriens.
Im März 2011 versammelten sich die ersten Demonstranten in der al-Omari Moschee in Deraa im Süden Syriens. 2013 ist das Minarett bei Kämpfen zwischen Aufständischen und Regierungstruppen zerstört worden. Links im Bild ist nur noch der Rumpf mit einem Schutthaufen zu erkennen.
© REUTERS/Wsam Almokdad

Die sogenannte „Göttin von Aleppo“ wurde 2011 in Berlin restauriert, gezeigt und zurückgegeben. Ist mit ihr alles in Ordnung?
Keine Sorge, sie ist in Sicherheit. Das war eine wunderbare Kooperation mit Deutschland, ich bin sehr stolz auf die deutsch-syrische archäologische Zusammenarbeit. Frankreich ist im Augenblick zu sehr in den Krieg verwickelt, Deutschland muss nun seine Rolle spielen, damit künftige Generationen von Deutschen und Syrern nicht sagen: Warum habt ihr dieses Erbe nicht gerettet? Die deutschen Archäologen sind sehr gut unterwegs in dieser Sache, vor allem in Berlin, darauf bin ich sehr stolz.

Was erwarten Sie von der Konferenz in Berlin, die jetzt beginnt?
Es wird überall auf der Welt gestohlen. Dagegen braucht es effektive Gesetze.

Es wird irgendwann Frieden geben?
Und dann treffen wir uns auf dem Krak des Chevaliers und ich zeige Ihnen die Restaurierung!

Das Gespräch führte Rolf Brockschmidt.

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