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Julia Stoschek
© Şirin Şimşek

Sammlerin Julia Stoschek im Gespräch: „Mit Künstlern reden macht klug“

Herrin von zwei Privatmuseen und 700 Werken: Die Sammlerin Julia Stoschek über ihre Liebe zum Video und zu den alten Meistern, über die Wichtigkeit des Bauchgefühls – und warum Kunst doch die Welt verändern kann.

Frau Stoschek, gibt es ein Sammler-Gen? Was war für Sie der Auslöser?

Das Sammeln steht bei den meisten Menschen bereits genetisch fest. Wenn man sich nur mal in einer Kita umschaut und die Kinder beobachtet, was sie so alles sammeln, stellt man fest: Es ist zutiefst menschlich, normal und natürlich. Mich fasziniert die jüngste aller Kunstformen – die Medienkunst. Und diese zu erleben, interessiert immer mehr Menschen. Mich hat immer gereizt, etwas zu zeigen, was beim Betrachter einen Denkprozess auslöst. Daher diese Leidenschaft.

Warum haben Sie sich auf Medienkunst, das bewegte Bild spezialisiert?

Nichts durchdringt unser Bewusstsein mehr als der Medienkonsum. Wir sind tagtäglich umgeben vom Bewegtbild. Wenn es früher Bibelstellen – aus Mangel an Alternativen – waren, an denen die Menschen sich festhielten, sind es heute die Angebote, die medial dargeboten werden. Wer mit Madonna oder Kraftwerk aufgewachsen ist, leitet auch idealerweise eine Geisteshaltung davon ab. Das bewegte Bild bietet dem Betrachter etwas zu sehen und gleichzeitig Kunst zu erleben. Es bedarf keiner Hilfsmittel oder sonstiger Stützen. Man sieht und denkt. Nicht schlecht, so ein Angebot machen zu können, oder?

Was hat Sie veranlasst, Ihre Sammlung nicht nur in einem Haus öffentlich zu zeigen, sondern gleich in zweien, dazu noch in zwei Städten – in Düsseldorf und Berlin?

In Düsseldorf begann alles. Und das war auch richtig. Die Entscheidung, nach Berlin zu gehen, war allerdings zwingend. Keine andere Stadt bietet dieses Maß an Internationalität. Nach Berlin reist jeder gerne. So sehr ich das Rheinland und die dortige Kunsttradition – denken Sie allein an die Düsseldorfer Schule – schätze, so sehr bin ich froh, nach Berlin gekommen zu sein, um zu bleiben. Umso mehr, als wir insbesondere durch den Senat eine enorme Wertschätzung erfahren. So eine Wertschätzung kommt übrigens ganz ohne Subventionen von staatlicher Seite aus. Anders als in Nordrhein-Westfalen, wo wir seit der Ernennung der neuen Landesregierung trotz mehrfacher Anläufe bis heute nicht einmal einen Besuch der zuständigen Ministerin in Aussicht stehen haben. Das sagt ja auch etwas aus.

Ist das nicht auf die Dauer zu anstrengend? Was machen die Pläne, die Sammlung in Berlin zusammenzuziehen und in einem Neubau zu präsentieren?

Anstrengend ist etwas nur dann, wenn man selbst von einer guten Idee überzeugt ist und das Gefühl hat, überhört zu werden. Wenn wir in der Sammlung hier in der Leipziger Straße zur Eröffnung bitten, dann kommen sehr gerne einige Tausend Besucher zusammen. An einem Tag. Diese Erfahrungen lassen uns darüber nachdenken, unser Engagement in Berlin zu verstärken.

Die Technik verändert sich rasend schnell. Wie halten Sie Schritt mit den Entwicklungen? Erwerben Sie alles selbstständig oder haben Sie Berater?

Danke! Das ist eine der klügsten Fragen in diesem Zusammenhang: Neben der Archivierung der Kunst, die enorm aufwendig ist – denken Sie an klimatisierte Depots mit entsprechender Raumtemperatur und Luftfeuchtigkeit –, ist die rasante Entwicklung der Technik eine große Herausforderung. Was den Erwerb der Arbeiten angeht, bedarf es weniger externer Berater im klassischen Sinne. Es kommt auf die wissenschaftliche Expertise in meinem Team und, ja, wenn Sie so wollen, auch auf mein Bauchgefühl an.

Was muss gute Kunst haben?

Das ist so, wie wenn Sie mich fragen würden: Welches ist das beste Hotel? Eine allgemeingültige Antwort auf diese Frage gibt es nicht: Wollen Sie mit der Familie verreisen? In die Berge oder ans Meer? Soll es ein romantisches Wochenende zu zweit sein, oder eine Städtereise mit kulturellem Schwerpunkt? Sie werden vielleicht staunen, aber die Kunst, die der zeitbasierten Medienkunst am meisten diametral gegenüberzustehen scheint, sind die alten Meister. Was soll ich Ihnen sagen? Ich liebe sie! Ich könnte Tage im Rembrandt-Museum im Amsterdam verbringen. So wenig sehe ich mich an dem satt, was es da zu sehen gibt.

"Ausschalten entspricht nicht meinem Wesen"

Arthur Jafa versucht, mit dem Bildermix im Video „Apex“ ein Pendant zu afroamerikanischer Musik zu schaffen.
Arthur Jafa versucht, mit dem Bildermix im Video „Apex“ ein Pendant zu afroamerikanischer Musik zu schaffen.
© Simon Vogel

Was holen Sie für sich selber aus der Kunst?
Zumindest keine dekorative Geldanlage. Leider ist diese Entwicklung allzu verbreitet und gehört in manchen Kreisen zum guten Ton. Das finde ich aus meiner Sicht geradezu albern. Kunst muss inspirieren. Zum Nachdenken bringen, und sie sollte im Gedächtnis bleiben. Zum Beispiel fällt mir auf, dass der großartige und wichtige Künstler Christoph Schlingensief noch immer nicht seiner Bedeutung angemessen gewürdigt wird. Konkret habe ich übrigens vor, das zu ändern. Aber davon berichte ich Ihnen erst, wenn es so weit ist.

Von Haus aus sind Sie Unternehmerin. Gibt es eine Wesensähnlichkeit mit Künstlern? Reizt Sie gerade das am Austausch mit ihnen?

Von Haus aus bin ich erst mal neugierig: Wenn Sie sich die aktuelle Ausstellung in meiner Sammlung in Berlin oder in Düsseldorf ansehen, entsteht eine Reaktion. Die Reaktion, die ich immer dabei beobachte, ist, dass die Besucher über das Erlebte sprechen wollen. Sie wollen sich mit anderen über das eben Gesehene austauschen. Das fasziniert mich. Am liebsten führe ich Gäste durch die Sammlung, von denen ich weiß, dass sie so etwas zum ersten Mal sehen. Das motiviert, weiterzumachen, weil das eben Gefühlte so unterschiedliche Reaktionen und Interpretationen auslöst. Ich glaube durchaus, dass es eine Wesensähnlichkeit zwischen Künstlern und Unternehmern gibt. Beide zeichnen Neugierde, Vision und Mut aus. Mit Künstlern zu reden, macht klug. Immer. Ich kann mich an keine Begegnung erinnern, die mich verdrossen hätte. Im Gegenteil. Sollten Sie Zeit haben, kommen Sie zu unseren Eröffnungen: Das Gespräch mit den jeweiligen Künstlern ist ein Erlebnis.

Durch die Fokussierung auf das bewegte Bild befindet sich Ihre Sammlung, befinden womöglich Sie selber sich permanent in Unruhe. Gibt es da nicht irgendwann auch mal das Bedürfnis, abzuschalten?

Ausschalten entspricht nicht meinem Wesen. Wenn mich etwas interessiert, dann bleibe ich dran. Und mich interessiert eine ganze Menge. Unruhe ist eine gewaltige Energiequelle. Vermutlich ist die damit verbundene Ungeduld, Neugier und Entdeckerfreude die größte Inspiration. Ruhe lähmt, mich zumindest.

Kunst bekommt immer mehr politische Bedeutung, gerade im Bereich der medialen Kunst. Künstler arbeiten als Rechercheure, stellen gesellschaftliche, politische Missstände dar. Besteht da nicht die Gefahr einer Überfrachtung? Kann Kunst wirklich etwas verändern?

Wenn Kunst nichts ändern könnte, wäre die Welt am Ende. Das meine ich so. Der Grad der Zivilisation misst sich ja auch gerade daran, was Kunst darf. Schauen Sie sich die entsprechenden Länder an, in denen Kunst- und Pressefreiheit beschränkt sind. Die Wirkungsmacht von Kunst lässt sich doch jeden Tag messen: Mehr Menschen strömen jährlich in Museen, als Zuschauer in die Stadien der ohnehin sehr gut besuchten Fußballvereine. Ich lese gerne Zeitung, ganz besonders aufmerksam schaue ich mir den Lokalteil derjenigen Stadt an, die ich gerade besuche: Es gibt kaum eine regionale Berichterstattung, in welcher nicht kontrovers über ein Bühnenstück, eine Skulptur im öffentlichen Raum oder über eine Ausstellung debattiert wird. Oder denken Sie an das „Dau“-Projekt in Mitte: Die Leute haben sich etwas zu sagen, hören im Idealfall einander zu. Das gehört auch zur Kultur.

Welchen Künstler können Sie aktuell empfehlen? Wer liegt Ihnen am Herzen?

Der Mensch, der mir am meisten am Herzen liegt, handelt einzig und allein aus sich heraus. Es ist mein zweijähriger Sohn, der es fertigbringt, so zu malen, dass noch Energie zum Singen und Tanzen bleibt. Awesome. Und zur Sache selbst: Sich für einen Künstler allein auszusprechen, käme dem Ignorieren vieler anderer gleich. So etwas mache ich nicht.

Das Gespräch führte Nicola Kuhn. Julia Stoschek (43) ist Gesellschafterin im Coburger Familienunternehmen, das sich auf Fahrzeugteile spezialisiert hat. Zunächst Galeristin, spezialisierte sich die Betriebswirtin als Sammlerin auf Medienkunst. Seit 2007 präsentiert sie in Düsseldorf in einer ehemaligen Schirmfabrik ihre 700 Arbeiten umfassende Kollektion. Vor zwei Jahren kam in Berlin eine Dependance im ehemaligen Tschechischen Kulturinstitut (Leipziger Str. 60) hinzu. Auf 2500 Quadratmetern zeigt sie auch hier eigene Ausstellungen. Gegenwärtig ist eine Schau des afroamerikanischen Filmemachers Arthur Jafa zu sehen. Parallel präsentieren die Kunst-Werke ihre Production Series mit Werken von Beatrice Gibson und Jamie Crew. (Bis 16. 12., Sa/So 12–18 Uhr, zur Art Week bis 20 Uhr)

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