Filmkunst: Die Macht der Musik
Schmerz muss sichtbar werden: Der amerikanische Filmemacher Arthur Jafa erzählt in der Julia Stoschek Collection vom schwarzen Lebensgefühl und dem Erbe afroamerikanischer Musik.
Es ist das erste Mal, dass Julia Stoschek in ihrer Sammlung in Berlin eine Einzelausstellung für einen Künstler ausrichtet. Und mit Arthur Jafa hat sie einen Filmemacher ausgewählt, bei dem sich das richtig lohnt. Die Schau, die zuvor in der Londoner Serpentine Gallery zu sehen war und die der Künstler für Berlin neu zusammengestellt hat, geht tief unter die Haut. Sie fasst die Lebenswirklichkeit der afroamerikanischen Community im Westen ins Bild, erzählt von Entfremdung und Gewalt, während die Kraft und die Schönheit schwarzer Musik gefeiert wird.
Das Hauptwerk der Schau, das Video „APEX“, ist wie ein Trip durch den Himmel der Musik und die Hölle der Menschheit, schnell geschnittene Bildsequenzen zeigen Michael Jackson, Mick Jagger, Jay-Z, Jazz, Popkultur und Mickey Mouse ebenso wie tote, ermordete und gemeuchelte Schwarze in den USA, in Ruanda und anderswo. Unterlegt sind diese Bilder mit harten, treibenden Techno-Sounds. Die Szenen rauschen im flirrenden Stakkato vorbei, hauen direkt in die Magengrube. Jafa geht es um Überwältigung. Alles Denken und Wissen wird außer Kraft gesetzt, was bleibt, ist ein sehr zwiespältiges Gefühl.
Jafa interessiert sich für die Auswirkung der afroamerikanischen Musik auf die Kulturgeschichte Amerikas. Seit der Sklaverei war es der Black Community verwehrt, Artefakte zu kreieren, nur durch immaterielle Kunstformen konnten die Menschen sich ausdrücken, durch Gesang, Musik, Tanz, so Jafas Ausgangspunkt. Wie dieses immaterielle Erbe heute in der Gesellschaft wirkt, untersucht er in der Ausstellung mittels Filmen, Fotografie und Musik. Jafa ist ein großer Bildersammler. Basis für das Video „APEX“ ist sein riesiges Archiv, in Ordnern mit Klarsichthüllen hat der Künstler Ausschnitte aus Zeitungen, Zeitschriften und sonstigen Medien gesammelt. Einige dieser Ordner kann man in der Ausstellung durchblättern.
Bei Vernissagen der einzige Schwarze unter Weißen
Jafa, 1960 in Mississippi geboren, hat zunächst Architektur studiert, war dann Kameramann in Hollywood, arbeitete mit Regisseuren wie Stanley Kubrick, dreht Musikvideos und landete schließlich im Kunstbetrieb, seine Videoarbeiten sind mittlerweile auch in Galerien und auf Kunstmessen zu sehen.
Kurz vor der Eröffnung der Berliner Show, die Hans Ulrich Obrist kuratiert hat, berichtet Jafa in einem Gespräch von seiner Zeit in der New Yorker Kunstszene, Ende der neunziger Jahre. „Es ist ein bisschen besser geworden seitdem, aber ich habe sehr oft die Erfahrung gemacht, bei Eröffnungen der einzige Schwarze zu sein – und das mitten in New York. Wenn das ständig vorkommt, fühlst du dich wie in einer merkwürdigen Schattenwelt, dabei ist es Normalität.“
Das Gefühl des Nichtvorhandenseins sei prägend für die Lebenswirklichkeit der Schwarzen, so Jafa. Und wenn man ihn so reden hört, mitten im zufriedenen, weißen Berlin, trifft einen das wie ein Schock. Es ist immer noch so!
Jafa zeigt in seiner Show mehrere Videos, die er mit eigenen Soundtracks unterlegt hat. Besucher wandern mit Kopfhörern durch die Ausstellungsräume, ein Gitarrensolo von Eddie Hazel, Klavierstücke von Alice Coltrane und Gesang von Nina Simone mischen sich mit Funk, Soul und Rock – durchaus auch von weißen Musikern.
Neuinterpretation historischer Bilder
In die Videos hat Jafa unter anderem Szenen aus dem YouTube-Kanal von Missylanyus eingestreut oder Bilder aus dem Instagram-Feed der Künstlerin Frida Orupado, von der auch fotografische Arbeiten in der Ausstellung zu sehen sind. Dazu sind verschiedene Fotocollagen von Jafa zu sehen, die die Geschichte der Schwarzen wachrufen. Eine Fototapete zeigt Jonathan P. Jackson, der 1970 einen Richter kidnappte, um drei des Mordes angeklagte afroamerikanische Häftlinge zu befreien. Das Bild zeigt Jackson nur wenige Minuten bevor es zu einer Schießerei kam, bei der er und drei weitere Menschen getötet wurden.
Musik sei der einzige Bereich, in dem Schwarze so schwarz sein dürfen, wie sie wollen, sagt Jafa. Seine Bilder schockieren, sie machen traurig und sie kommen im richtigen Moment nach Berlin. Ein Weckruf in einer Zeit, in der Ausgrenzung und Rassismus wieder blühen.
Julia Stoschek Collection, bis 25. November, Leipziger Str. 60 in Mitte, Sa und So 12–18 Uhr, Künstlergespräch mit Arthur Jafa: Mo 12. Februar, 19 Uhr
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