Der Großschauspieler Götz George: Macho, Jäger und Gejagter
Götz George gab das ikonische Raubein als "Schimanski", als Person war er ein sensibler Sturkopf. Sein Lebenswerk ist brillant wie brüchig. Ein Nachruf.
Ja, klar, der Schnauzer. Die volle, dunkelblonde Mähne. Die gern zerfurcht hergezeigte Stirn. Die wasserblauen Augen. Und der Parka natürlich, die Jeans dazu - das sind all die Markenzeichen, die bei der doch plötzlichen Nachricht von Götz Georges Tod vor dem geistigen Auge erscheinen: Zehn Jahre lang, von 1981 bis 1991, war er der „Schimmi“ als Duisburger „Tatort“-Kommissar, reaktiviert wegen der großen Nachfrage ab 1997 im Zweijahresabstand unter dem Solo-Format „Schimanski“. Klar war das die Rolle seines Lebens, und ein bisschen war er auch ihre Geisel. Das Raubein, der Ruppige, einer, der raucht und trinkt und zur Not prügelt. Der Macho. Der Jäger.
Es ist dann aber etwas anderes, das sich schnell stärker in die Erinnerung drängt als das markante Gesicht, die physische Power-Präsenz. Es ist Götz Georges Stimme. Volltönend, aber irgendwie atemlos. Ein Schnellsprecher war da auf Sendung, in seinen Filmen und auch als er, fernab später Medienscheu, das Promi-Spiel noch mitspielte und bei Gottschalk auf dem Sofa saß. Einer, der seine Sätze rausdrängt, als hätte er keine Zeit. Einer, der gerade beim Leisesein eine ungeheure Energie zurückhält. Einer, dessen Stimme all das Fragile, das Unfertige verrät, das doch in der gepflegt derben körperlichen Hülle ordentlich für immer weggeschlossen schien. Götz George, der Hypernervöse. Der Gejagte.
Vor allem in seinen Kinorollen, auch in den wenigen komödiantischen, war dieser sensible Sturkopf von Schauspieler gleichermaßen auf der Suche und auf der Flucht. Besonders in den Neunziger Jahren, als er - zeitweise erlöst vom Image des Ruhrpott-Kerls an der Eckkneipen-Ermittlerfront - richtig groß auf der großen Leinwand rauskam.
Helmut Dietl erkannte sein Potential
Der geniale Helmut Dietl hat dieses flirrend vagabundierende Potential des Götz George kühl erkannt und erst für „Schtonk!“, dann für „Rossini oder Die mörderische Frage, wer mit wem schlief“ nutzbar gemacht. In der Mediensatire um die Hitler-Tagebücher brillierte George als der schmierige, geltungssüchtige Reporter Hermann Willié, der dem Großbetrug des von Uwe Ochsenknecht gespielten Fälschers lustvoll verfällt. Und fünf Jahre später, 1997, gab er den in der Münchner Bussi-Besellschaft souverän agierenden und doch mit ihr fremdelnden Regisseur Uhu Zigeuner - an der Seite eines aalglatten Produzenten, herumstolzierend in der Person des Heiner Lauterbach.
Willié und Zigeuner: merkwürdige Chargen des Betriebs. Rädchen, die ohne Zweifel ein großes Rad drehen und doch zu kurz gekommen scheinen gegenüber dem, was sie eigentlich mit sich vorhaben - passen die auch zum brillanten, aber auch brüchigen Lebenswerk Götz Georges selbst? Fundamental litt dieser auch im persönlichen Umgang sperrige Großschauspieler unter der Hypothek, Sohn eines Größerschauspielers zu sein: des gewaltigen Theatermanns Heinrich George, der seinen Ruhm mit Rollen in Nazifilmen wie „Jud Süß“ und „Kolberg“ kompromittiert und ruiniert hatte. Als Siebenjähriger sah der kleine Götz den Vater zum letzten Mal, der bald darauf in sowjetischer Lagerhaft starb.
Die Liebe zum Vater Heinrich George war Trauma und Antrieb
Gegen dieses Trauma der Liebe zu einem gesellschaftlich geächteten Vater hat Götz George im Leben wie im Arbeiten zeitlebens angekämpft. Und keine Rolle gescheut, mit der auch finstersten Gestalten der deutschen Zeitgeschichte eine Restmenschlichkeit abzugewinnen war. Oder zumindest ein bisschen Politur an der Schuld. So spielte er schon 1977 den Auschwitz-Kommandanten Rudolf Höß in Theodor Kotullas „Aus einem deutschen Leben“, und für Roland Suso Richters „Nichts als die Wahrheit“ stand er als KZ-Arzt Josef Mengele vor der Kamera. Für die gefährlich nahe an der Rehabilitation siedelnde Vision dieses Massenmörders, der sich einem deutschen Gericht stellt, spendierte George damals eine Million Mark aus seinem Vermögen. Den Filmförderern war das Projekt zu brenzlig geworden.
Spät im eigenen Leben hat Götz George dann den nachgetragenen Liebesdienst an seinem Vater auf die Spitze getrieben - indem er ihn vor drei Jahren selber spielte, in Joachim Langs Fernsehfilm „George“. Dabei scheiterte er bei den ARD-Oberen mit dem Wunsch, das Dokudrama möge am Geburtstag seines Vaters, dem 9. Oktober, gesendet werden - und nicht an seinem eigenen 75. Geburtstag, dem 23. Juli. Und ärgerte sich nicht ganz nebenbei darüber, dass die Ausstrahlung während der Sommerferien auf die Quote drückte: Nur knapp zwei Millionen Zuschauer hatten eingeschaltet.
Dieser Bewältigungsfuror rückte in Götz Georges Biografie leise, aber sicher in den Vordergrund - und entfremdete ihn zusehens der vergleichsweise unschuldig konturierten Schimanski-Figur, als die er weithin in Erinnerung bleiben wird. In die Filmgeschichte allerdings ist George längst als der „Totmacher“ eingegangen: 1995, zwischen den beiden Dietl-Komödien, spielte er, mehrfach preisgekrönt, in Romuald Karmakars gleichnamigem Kino-Kammerspiel den Serienmörder Fritz Haarmann. Ein jämmerliches, stolzes, jammerndes, augenblicksweise herrschsüchtiges, bettelndes, grässlich einsames Bündel Mensch zappelte da vor seinen so gefassten wie entsetzten Ermittlern - und da ist in der Erinnerung, natürlich, erst einmal die vollends erloschen wirkende Gestalt des Häftlings. Aber vor allem: Götz Georges Stimme. Am 19. Juni ist der deutsche Großschauspieler, wie erst jetzt mitgeteilt wurde, mit 77 Jahren nach kurzer Krankheit gestorben.
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