Zum Tode von Helmut Dietl: Grantler und Charmeur
Er liebte die Frauen, stolzierte früher ganz in Weiß. Helmut Dietl gelang es immer wieder, der Gesellschaft den Spiegel vorzuhalten. Jetzt ist der Regisseur mit 70 Jahren gestorben.
Die beiden letzten großen Auftritte hatte er in Berlin. Mitte November 2014 erhielt Helmut Dietl noch einen Ehren-„Bambi“ für sein Lebenswerk. Der noch immer elegante Siebzigjährige mit ergrauter Mähne und Vollbart sah freilich schon gezeichnet aus, wie aufgedunsen durch Medikamente.
Aber Dietl, der genau ein Jahr zuvor in einem „Zeit“-Gespräch mit Giovanni di Lorenzo seine Lungenkrebserkrankung öffentlich gemacht hatte, versuchte in seiner Dankesrede noch einmal launig und selbstironisch zu sein. Er habe seit seiner Jugend etwa 960.000 Zigaretten geraucht und das überlebt. "Wenn Sie in zehn Jahren wieder einen Lebenspreis zu vergeben haben – ich bin bereit."
Offen und verletzlich geworden
Mehr vom Leben als vom damals schon unausweichlichen Ende gezeichnet, hat Dietl noch im Mai 2014 im Berliner Tempodrom gewirkt. Auch da bekam er eine Lebenswerkauszeichnung, die Goldene Lola der Deutschen Filmakademie, einer Institution, aus der er früher aus Protest ausgetreten war. Dietl machte, die Lola in Händen, um die Sache nun keinen Schmus.
Vielmehr meinte er in einer so selbstbewusst witzigen wie auch metierklugen, lebensweisen kurzen Rede, der Preis werfe wohl ein besseres Licht auf die Auszeichnenden als auf den Ausgezeichneten. Danach dankte er, der sonst allem Sentimentalischen abhold war, seiner vierten Ehefrau Tamara: „Dass ich hier bin, habe ich ihrer Pflege zu verdanken.“
So offen, so verletzlich war er geworden: der größte Filmsatiriker, den Deutschland nach 1945 gehabt hat – oder besser: seit 1933, seit die deutsch-jüdischen Geister das Land verlassen mussten. Filmemacher wie Max Ophüls auch und der junge Billy Wilder.
Natürlich verbirgt sich ein Künstler bisweilen in seinen Figuren, um sie oder sich in der Maske nur umso schärfer, spöttischer oder liebevoller enthüllen zu können. Auch bei Helmut Dietl, der am Montagmittag in seiner Münchner Wohnung, begleitet von seiner Familie, an seiner Krebserkrankung gestorben ist, warfen viele seiner schillernden Film- und Fernsehgeschöpfe zugleich den Schatten ihres Erfinders.
Die Münchner Freiheit
Man denkt da zuerst an seine etwas g’scherten Stenze und Lebemannbilder: an die Charaktere der „Münchner Geschichten“, die vor 40 Jahren auch schon mal als bajuwarische Cowboys die Ludwig- und Leopoldstraße auf Pferden heraufritten, die keine Bierkutschergäule waren. Ein Hauch von Western wehte da durch die Mir-san-mir-Gemütigkeit, es ging gen Schwabing und hin zu jenem Platz, der ja wirklich die „Münchner Freiheit“ heißt. So sind sie geritten, wenn sie nicht grad mit ein paar feschen Hasen im offenen Amischlitten durchs Dasein glitten. So leicht und doch geerdet wie bald darauf der legendäre Monaco Franze in der gleichnamigen TV-Comedy-Serie in Gestalt des Schauspielers Helmut Fischer.
Der Monaco Franze war 1983 als Frauenaufreißer ein Filou, Strizzi, Stenz (lauter heute ausgestorbene Begriffe), der sich im Sumpf einer durchaus „Tatort“-reifen Münchner Gesellschaft kaum die Stiefelsohlen schmutzig machte. Ein Leichtfuß eben. Noch so ein Wort fürs Museum der unernsten Leidenschaften.
Für Dietl war dieser namentlich italienisierte Münchner in der Tat ein Seelenverwandter, und als Helmut Fischer 1997 am Krebs starb und dann als Denkmal an jener Münchner Freiheit verewigt wurde, hat niemand ahnen können, dass ein ähnliches Schicksal anderthalb Jahrzehnte später auch seinen Regisseur ereilen würde. Wobei das Denkmal jetzt noch aussteht, aber sicher kommen wird.
Ein südlicherer Flaneurtyp
Helmut Dietl war allerdings mehr, viel mehr als eine lokale oder nur regionale Erscheinung. Auch wenn ihm, der 1944 in Bad Wiessee am Tegernsee geboren wurde, das Bayerische mit allem Charme und aller gelegentlichen Grantigkeit ganz unüberhörbar anhaftete – Helmut Dietl war viel eher ein südlicherer Flaneurtyp, äußerlich eine italienisch-kalifornische Mischung. Kein Bierdimpfl, sondern einer, der die Frauen und den Wein liebte und früher gern ganz in Weiß, in Leinen oder Seide, stolzierte, wenn er seine Partnerinnen oder Ehefrauen an der Seite hatte. Zu diesen zählten die in den bundesdeutschen Mittsechzigerjahren mehr als „Sexbombe“ denn als Vollkünstlerin gehandelte Barbara Valentin und später die von ihm zur respektablen Schauspielerin entwickelte Veronika Ferres (Dietl: „die Vroni“).
Er selber stammte aus so genannt einfachen Verhältnissen, sein Vater verstarb alkoholkrank schon früh an Magenkrebs. Zum Film kam Helmut Dietl nach dem Abitur und einem abgebrochenen Theaterwissenschaftsstudium, nach Assistenzen an den Münchner Kammerspielen und als Kameramann. Reüssiert ist er beim Bayerischen Fernsehen zunächst als Regisseur fürs Vorabendprogramm. Mit einem Riecher für serielle Geschichten und als Erfinder wohl der Fortsetzungs-Comedy auf deutschen Bildschirmen – jenseits von „Klimbim“.
Keine Karriere in Hollywood
In den 1980ern ging er eine Zeitlang auch nach Los Angeles. Zu einer Hollywood-Karriere à la Billy Wilder – der eines seiner wenigen Vorbilder war, außer Chaplin und Karl Valentin – ist es jedoch nie gekommen. Obwohl seine Filmsatire „Schtonk!“ (1992), eine Persiflage des Medienskandals um die gefälschten Hitler-Tagebücher mit Götz George, Uwe Ochsenknecht und Harald Juhnke, immerhin fast den Oscar gewonnen hätte.
Freilich überstrahlt sein bester Kinofilm fast alles, was es an deutschen Komödien überhaupt gegeben hat. Das war „Rossini“ im Jahr 1997, wie schon der „Monaco Franze“ zusammen verfasst mit Patrick Süskind. Dietl, ein hochironischer Sarkast, ließ nicht viele Menschen wirklich nah an sich heran – aber der noch viel menschenscheuere, jüngere Schriftsteller Patrick Süskind war schon vor seinem Welterfolg „Parfüm“ ein Münchner Freund. Ein intim Vertrauter. Und in „Rossini“ haben Dietl und Süskind beide ihre seelenverwandten Abbilder, vielleicht sogar Doppelgänger entworfen.
„Rossini“ war nochmals die Zuspitzung des pointierten Münchner Szenelebens in der Fernsehserie „Kir Royal“ von 1986, damals mit dem furiosen Franz Xaver Kroetz als Boulevardreporter Baby Schimmerlos. Filmleute, Schauspieler, Autoren und Adabeis verkehren im Schwabinger Nobelitaliener namens „Rossini“; unter ihnen auch der Regisseur Uhu Zigeuner, gespielt von Götz George, und der Produzent Oskar Reiter (Heiner Lauterbach). Im Zigeuner steckte mehr der Dietl, im Reiter der reale Produzent Bernd Eichinger, aber in beiden zusammen weste gleichsam ein doppelter Dietl.
Dazu war Veronika Ferres als Schneewittchen genannte Jungfrau Fatal im Spiel, und ein zwar erfolgreicher, aber sensibel verklemmter Schriftsteller (Joachim Król) spiegelte das rührend komische Porträt auch des Co-Autors Süskind. Im Kleinen wurde da aus der Kneipengeschichte große Kunst, das Szenelokal im Reflex auf Filmmythen, Liebesdramen, Gesellschaftspossen zur Weltbühne.
Hätte es in New York gespielt, hätte man Dietl für ein Pseudonym Woody Allens gehalten. Selbst dem amerikanischen Großmeister wäre das nicht komischer, gallewitziger, nicht genialer gelungen.
"Zettl" als Abgesang
Etwa Ähnliches hat Dietl mit seinem „Zettl“ 2012 als Berlin-Film nicht mehr geschafft. Die Satire auf ein filmisch raffiniert animiertes, künftiges Science- Fiction-Berlin mit halbwegs manhattanhafter Kulisse kam bei einem Großteil der Filmkritik nicht gut an. Alle verglichen „Zettl“ – mit Bully Herbig statt einem gealterten Kroetz in der Hauptrolle – nur immer mit „Kir Royal“. Dabei war die grelle Story, inklusive einer Regierenden Bürgermeisterin als umoperiertem Mann, auch ein wehmütiges Märchen: um ein verlorenes Berlin. Dietls Abgesang.
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