Weihnachtsalben von Helene Fischer bis Erdmöbel: Lieber, heißer Weihnachtsmann
Ob Kylie Minogue, Helene Fischer, Sharon Jones, Tom Gaebel oder die Band Erdmöbel: Wer auf sich hält, macht Alben zum Fest. Ein Streifzug mit Glöckchengeklingel.
Wunderbar, Weihnachten, das Fest der Wiederauferstehung! Und die passende Musik ist auch schon da. Äh, Moment mal, Geburt ja, Christkind, Krippe, alles klar, aber Wiedergeburt? Das Thema ist in der christlichen Überlieferung doch Ostern vorbehalten. Und obwohl das Wetter dieser Tage eher österlich denn weihnachtlich ist, mutet es doch seltsam an, dass auf den Weihnachtsalben der Saison so viele Untote des Pop herumgeistern. Allerdings nur solche, die, was Verehrungs- und Verkaufswerte angeht, einen unkaputtbaren Klassikerstatus haben.
Bing Crosby etwa, der „mit“ Helene Fischer, die zum Zeitpunkt seines Todes noch fünf Jahre ungeboren war, auf ihrem Album „Weihnachten“ (Universal) Irving Berlins Superschnulze „White Christmas“ in einem extra-seifigen Arrangement knödelt. Oder Frank Sinatra, der nicht nur bei Fischer, sondern auch bei Kylie Minogue herhalten muss, um beider unaufgearbeitete Vaterkomplexe per Duett zu therapieren. Auf Kylies „Christmas“-Album (Parlophone/Warner) erklingt „Santa Claus Is Coming To Town“ als lupenreiner, leicht ironisierter Weihnachtsswing, den der tote Sinatra verglichen mit der lebendigen Kylie stimmlich eindeutig für sich entscheidet. Und der mit mehr Volumen, doch weniger Witz als Kylie gesegnete Schlagerstar Fischer stimmt mit Frankie Boy „Have Yourself A Merry Little Christmas“ an, dessen Ratpack aus Erben oder Rechteinhabern offenbar vor allem an Gewinnmaximierung interessiert ist. Für Diven von Format sind beide Nummern verzichtbar, gerade weil posthume Duette mit Ol’ Blue Eyes schon seit Robbie Williams und Céline Dion in Mode sind. Und Fischers Charterfolg ist eh verlässlich, „Weihnachten“ steht diese Woche statt auf Platz eins ausnahmsweise nur auf der zwei.
Gerade zum Fest der Liebe haben aber hingebungsvolle Duette Tradition. Sie schmücken die Weihnachtsalben so zuverlässig wie der orchestrierte Festtagsflitter aus Glöckchen, Xylofonen, Flöten, Pauken und Schellen. Die australische Pop-Ikone Kylie Minogue, die genau wie Fischer erstmalig in diesem mit Sentiment getränkten Sumpf unterwegs ist, hat sich dazu den britischen Komiker James Corden und das alte Rockreptil Iggy Pop einbestellt. Letzterer steuert in der Kirmesstampfpopnummer „Christmas Wrapping“ zwar nur wunderliches Gemurmel bei, aber sein „Hohoho“ am Ende ist ein Lacher. Überhaupt weiß Kylie, die sich auf dem Cover als Schlitten-Pin-up mit Riesenzuckerstange räkelt, wie das mit Weihnachtsspäßchen geht. In ihrer sexy Version von „Santa Baby“ flirtet sie noch dazu schön kess mit Santa Claus.
Helene Fischer hält es mit heiligem Ernst
Helene Fischer hält es dagegen mit dem heiligem Ernst. Sie überzuckert melodiöse Gesangbuch-Kostbarkeiten wie „Tochter Zion“ oder „Es ist ein Ros’ entsprungen“ mit Dauertremolo. Der Dornwald, durch den Maria gehen muss, ist mit meterhohem Arrangementpulverschnee bedeckt. Auch singt neben den Wiener Sängerknaben und einem Gospelchor gar der Operntenor Plácido Domingo ein Duett.
Xavier Naidoo stimmt mit ihr eine schaurig versoulte Version von „Vom Himmel noch, da komm’ ich her“ an und auch der Wham!-Dauerbrenner „Last Christmas“ ist ein Duett. Wow, mit George Michael? Nö. Der Besitzer dieser Lied gewordenen Gelddruckmaschine aus dem Jahre 1984 scheint dann doch was Besseres vorgehabt zu haben, als in den Londoner Abbey Road Studios zu erscheinen, wo Fischer ihr pompöses Doppelalbum aufgenommen hat. Statt seiner langweilt Ricky Martin. Übrigens steht „Last Christmas“ auf der Top-100-Liste der beliebtesten Weihnachtssongs, die das „Billboard“-Magazin jedes Jahr ermittelt, nur auf Platz elf. Spitzenreiter ist Mariah Carey mit „All I Want For Christmas Is You“.
Ein gepflegtes Gähnen lösen sie eigentlich alle aus, die Pop-, Swing- und Volkslieder zum Fest, dessen Zauber von Kindesbeinen an aus der Wiederholung des Ewiggleichen besteht. Bescherung, Weihnachtsgeschichte, „Oh du Fröhliche“ und Gänsebraten sind gesetzt. Die Weihnachtsmusik ist der wohlige Soundtrack zum Ritual, ist die nicht auf Originalität, sondern auf Selbstvergewisserung zielende Verabredung. Mit der spielen die groß gewordenen Steppkes des Musikbusiness, aber zerstören sie nicht. Nicht mal die New Yorker Soulqueen Sharon Jones, die mit ihrer großartigen Band The Dap Kings dem Weihnachtsmann ordentlich Feuer unter dem Mantel macht. Das Album „It’s A Holiday Soul Party“ (Daptone) ist wunderbar gesungen und musiziert, eine funky Season-Greetings-Show, die sich gewaschen hat. Und ja, „Silent Night“ funktioniert als Blues richtig gut. Auch „Little Drummerboy“ gewinnt, wenn man es vom Helene-Fischer-Kitsch befreit und im James-Brown-Stil aufführt. Trotzdem: Der Coveritis-Überdruss namens „Habe ich schon mal gehört“ ist immer mit an Bord.
Tom Gaebels Swing ist wie Schokosauce
Besonders dick trägt Tom Gaebel auf. Der Crooner aus Köln klingt wie der illegitime Sohn von Frank Sinatra und Michael Bublé. Er bringt das Kunststück fertig, die Eigenkompositionen auf seinem geschmackvoll arrangierten, temporeichen Album „A Swinging Christmas“ (Tomofon Records) so klingen so lassen, als stammten sie direkt aus den Fünfzigern oder Sechzigern. So wird aus dem putzigen Kinderschlager „Frosty The Snowman“ (1955) und der hübschen, melancholischen Ballade „After The Year Is Done“ (2015) alles eine Schokosauce. Bei harmoniesüchtigen Weihnachtsalben besteht die eigene Handschrift darin, bloß ja keine eigene zu haben.
Zum Glück gibt es in Köln auch beherzte Traditionalisten wie Erdmöbel. Seit 2007 veröffentlicht die Band um Sänger Markus Berges jährlich einen Weihnachtssong. Im letzten Jahr erschienen sie gesammelt unter dem Titel „Geschenk“ (Jippie/Rough Trade). Und weil’s so schön war, kommt „Geschenk“ nun noch mal mit einer Zugabe von drei neuen Liedern raus. „Nonstop Christmas“ beginnt mit Chorgesang, einem unverzichtbaren Bestandteil der Festmusik, und besticht mit Dada-Versen: „Ich bin zu allem bereit / jeder Kiefer ihr Lichtkleid“/ Nordnordmannmannmanntannetanne, die himmelblaue Babywanne / Wann schnipste je James Last ganz sacht letzte Weihnacht?“
Als Duettpartner haben sich Erdmöbel den Schauspieler Ulrich Matthes aus Berlin geholt. Der muss dann doch ganz allein singen und macht das mehr als passabel, wie sich auch auf Youtube besichtigen lässt. „Melodica“ ist eine Miniaturdramödie, wie sie sich am Heiligabend bei der Bescherung abspielt. Stichwort: enttäuschendes Weihnachtsgeschenk mit Folgen. Textauszug: „Es heißt Melodica / bitte nicht Papa / tu mir den Gefallen / Mama hast du mich lieb / auf keinen Fall geschieht / dass ich weine vor allen“. So witzig und so berührend kann ein profanes Weihnachtslied sein. Von den sakralen wie Paul Gerhardts „Ich steh’ an deiner Krippen hier“ oder Philipp Nicolais „Wie schön leuchtet der Morgenstern“ gar nicht zu reden. Die sind so, wie Weihnachten sein soll: einfach nur schön.
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