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Achtung, hier kommt ein Swing-Pirat: Robbie Williams fegt über das Showdeck – egal, ob der Hafen Helsinki, Lissabon oder Berlin heißt.
© dpa

Robbie Williams in der O2 World: Konfetti aus allen Kanonen

Amüsierdampfer, ahoi: Robbie Williams swingt zwei Abende in der Berliner O2-World. Große Hoffnungen, kleine Enttäuschungen, opulentes Showbiz.

So, liebe Kinder, gebt fein acht, Onkel Robbie hat euch was mitgebracht. Große Hoffnungen, kleine Enttäuschungen, opulentes Showbiz und vor allem: alte Schinken in Aspik. Einen wie das Sinatra-Cover „High Hopes“, ein putziges Kinderlied aus den Fünfzigern, von Robbie Williams im Kreise einer blank polierten Schar quäkender Jungen und Mädchen vorgetragen. „Is this your first time on stage with an international superstar like me?“, fragt er die lieben Kleinen so selbstironisch wie rhetorisch. Am Mittwochabend in der O2-World Berlin so wie an allen Abenden seiner „Swing Both Ways“-Tour, egal ob in Helsinki, Hamburg oder Lissabon. Gäbe es einen Geigerzähler für schamlos inszenierte Niedlichkeit – er schlüge den Maximalwert an.

Welchen auch sonst, dies hier ist Robbie Williams: Mit 16 bei Take That schon der Kreischfaktor-Mann, der – außerhalb der USA – einflussreichste Popkünstler der Neunziger, der 1,6-Millionen-Tickets-an-einem-Tag-Verkäufer. Na gut, ist schon wieder neun Jahre her, aber nicht nur für einen, sondern für zwei Konzertabende mit gut 25 000 Besuchern reicht es bei ihm in Berlin noch spielend.

„Guten Abend, Damen und Herren, sisters and brothers, allow me to reintroduce myself“, brüllt der Superstar nach einer stummen, nur aus genialen Gockelposen bestehenden Eröffnungsrunde über den ins Publikum führenden Bühnensteg. „My name is Robert Peter Williams and for the next two hours your ass is mine!“ Da ist der Onkel noch kein Onkel, sondern ein Pirat, der das Publikum im Handstreich für seinen brachial losrumpelnden Amüsierdampfer gewinnt. Der lila Rüschenvorhang hat den Blick auf einen pompösen dreistöckigen Bühnenaufbau offenbart, der wahlweise ein Ballhaus und einen Schiffsbug darstellt. Auf die mit rattenscharfen Bläsern gesegnete Bigband, auf Tänzer und Sängerinnen. Und auf einen Hingucker, der wie das Talmi-Symbol dieser Swingrevue im Blackpool-Style rüberkommt: seinen mit schwarzen Glitzersteinchen überzogenen Mikroständer!

Der Sex des Charmeurs mit Gassenjungenfrechheit

Der Meister aus Britannien, selbstredend in Frack und Lackschuhen, singt „Shine My Shoes“ vom aktuellen Album, den Jazzstandard „Puttin’ On The Ritz“, das Dean-Martin-Cover „Ain’t That A Kick In The Head“ und das schön dreckig arrangierte Cab-Calloway-Cover „Minnie The Moocher“ – gekonnt, stimmgewaltig. In Pidgin-Deutsch scherzt er mit den von der ersten Sekunde an hingegebenen Fans. Fragt subtil „Alles fit im Sritt?“ und noch subtiler „The Weather outside ist scheise – but inside we have the power of showbiz!“, was alle mitskandieren sollen und wollen. Jawoll, in dieser mitreißenden ersten Showhälfte ist sie mit ihm, die Macht des Entertainers, der Sex des Charmeurs mit Gassenjungenfrechheit.

Daran ändert auch der anfänglich lärmige, Bässe verrumpelnde und Höhen verzerrende Sound nichts. Auch nicht das von Myriaden von Hilfscroonern zerbeulte Repertoire wie „That’s Amore“, zu dem Williams – Hilfe! – auf offener Bühne eine gewisse, aus dem Publikum heraus gepickte Shirley aus „Bodsdamm“ ehelicht. Ja, mehr noch: In dem auf „Swing Both Ways“, dem lauen letztjährigen Nachfolgemodell seines tollen 2001er-Swingalbums „Swing When You’re Winning“ veröffentlichen Song „Swing Supreme“ vereinen sich der einstige Popstar und der jetzige Swing-Onkel ganz prächtig. Ebenso in dem mit Konfetti-Kanonen den ersten Showakt beschließenden Titelsong des aktuellen Albums. Der tänzelnden Nummer verleiht Robbie Williams in Ermangelung von Duettpartner Rufus Wainwright im Tupfenfrack mit Federboa den darin textlich angespielten „Gay“-Touch.

Doch dann ist nach einer Stunde erstmal 20 Minuten lang Pause. Ein Showstopper, von dem sich der Abend nicht mehr erholt. Nicht nur, weil der zweite Akt mit 40 Minuten arg verknappt wirkt, sondern weil auch ein im Alter von 40 Jahren durch Ehe und Vaterschaft von Drogen-, Alkohol-, Pillen- und Sexexzessen geläuterter Popstar mehr als einen Namen und eine Geschichte braucht, um aufregend zu bleiben. Nämlich Mut zum künstlerischen Risiko, zu musikalischen Farben, zu Tempowechseln. Erst jetzt, nach 22 Uhr, schweigt die Voll-auf-die- Zwölf-Bigband, erklingt mit „I Will Talk And Hollywood Will Listen“ die erste nur vom Piano begleitete Ballade, der aber lediglich eine weitere folgt. Ein Potpourri aus der Partyjukebox wie die Kombi „Hit The Road Jack“, „Reet Petite“ und „Shout“ hat ein begnadeter Sänger wie Robbie Williams so nötig wie einen Kropf. Doch die Eigenkomposition „Go Gentle“, ein Liebeslied an seine kleine Tochter Rose Theodora, enttäuscht: Das ist kein Pop, das ist Schlager. Obwohl Williams’ Hit-Songschreiber Guy Chambers, der beim Konzert als Pianist und Priester agiert, mit daran gebastelt hat.

Beim Williams-Klassiker „Angels“ hat das 1997 noch deutlich besser funktioniert. Bei diesem vorletzten Song des Abends stellt sich dann endlich wieder das richtige Robbie-Feeling ein. Ein Takt reicht und alle singen textsicher mit. Dieses Lied lebt, soviel ist sicher. Das zuvor erklungende Sinatra-Cover „New York, New York“ ist dagegen töter als tot. Jubel im Saal, auf der Bühne eine Feuerwerks-Projektion, Funkenregen und nochmal Konfetti. Das Showboot legt ab, der in eine goldbetresste Uniform gewandete Käpt’n Swing geht. Good Night, Robbie, komm’ bald wieder. Und lass’ den ollen Onkel zuhause.

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