Wegbereiterin für den Autorencomic: Jutta Harms gestorben
Sie hat in vielen Funktionen zum Erfolg des unabhängigen Autorencomics in Deutschland beigetragen. Jetzt ist Jutta Harms mit 57 Jahren gestorben.
Wer in der deutschen Comicszene schon etwas länger unterwegs ist, hatte mit ihr in den unterschiedlichsten Funktionen zu tun: Sie war Pressesprecherin, Übersetzerin, Verlegerin, Netzwerkerin, Wegbereiterin vielversprechender Nachwuchskünstlerinnen und Künstler, Laudatorin, Kuratorin und noch einiges mehr.
Und sie war neben einer fachlichen Autorität auch ein außergewöhnlich zugewandter, herzlicher Mensch mit einem sensiblen Gespür für ihre Umwelt. Zudem hatte sie einen feinen, trockenen Humor, mit dem sie weniger erfreuliche Erscheinungen der Comicszene auf erfrischende Weise kommentierte.
„Sie hat diesen Kampf gewonnen!“
Jetzt ist Jutta Harms, die vor einigen Jahren schwer erkrankt war, mit nur 57 Jahren gestorben. Das teilte ihr früherer Kollege beim Reprodukt-Verlag, Christian Maiwald, am Donnerstagabend per Twitter und Facebook mit.
Der Reprodukt-Verlag, bei dem Jutta Harms den größten Teil ihres Berufslebens verbracht hat, teilte am Donnerstagabend Maiwalds Tweet und schrieb dazu: „Wir haben noch keine Worte. Wir trauern um Jutta.“ Am Freitagmorgen veröffentlichte Verleger Dirk Rehm dann einen persönlichen Nachruf auf der Reprodukt-Seite.
„Jutta war eine lustvolle Netzwerkerin, die nicht nur hierzulande viele enge Kontakte zu Zeichner*innen und Journalist*innen gepflegt, sondern darüber hinaus vor allem im europäischen Sprachraum den Austausch gesucht hat“, schreibt Rehm darin. „Ihre Begeisterung – für das Comicfestival in Helsinki, das Fumetto in der Schweiz, Angoulême im winterlichen Frankreich – war ansteckend. Menschen kennen- und lieben zu lernen, das war für sie Antrieb für einen leidenschaftlichen Kampf für die Comics.
Und sie hat diesen Kampf gewonnen! Nicht nur sind Comics nun in der Mitte der Gesellschaft angekommen, sondern sie haben Leser*innen gefunden, die sie zu Beginn unserer Arbeit kaum mit der Kneifzange angefasst hätten. Der aktuelle Erfolg feministischer Comics ist nicht zu denken ohne die Comics von Julie Doucet, Debbie Drechsler oder Anke Feuchtenberger, die Jutta vor mehr als zwanzig Jahren übersetzt oder redaktionell betreut hat.“
Hausbesetzerin und Anwaltsgehilfin
Nach Berlin kam Jutta Harms einst in den neunziger Jahren aus Hamburg, wie 2006 in einem größeren Porträt-Artikel in der „taz“ über sie zu lesen war. „Sie ist eine Tausendsassa“, lautete einer der Sätze in dem Porträt von Jörg Sundermeier damals. Harms war, so konnte man dort lesen, vor ihrem Engagement für den Comic unter anderem Hausbesetzerin und Anwaltsgehilfin.
Neben ihrem Job in einem Rechtsanwaltsbüro engagierte sie sich dann zunehmend im und für den 1991 von Dirk Rehm gegründeten Reprodukt-Verlag – und kurze Zeit später wechselte sie ganz in die Comicszene. Und das zu einer Zeit, als diese noch weitgehend von Männern dominiert war.
Viele Jahre vertrat und unterstützte sie den Reprodukt-Verlag, der ein Vorreiter in Sachen anspruchsvolle Autorencomics erst aus dem Ausland und dann zunehmend aus Deutschland wurde: Als Pressesprecherin, Übersetzerin, Co-Verlegerin, vorübergehend auch mal als Verlagschefin, als Dirk Rehm andere Projekte verfolgte.
Von Haus Schwarzenberg bis graphic-novel.info
Daneben engagierte sie sich als Öffentlichkeitsarbeiterin auch für andere Verlage mit ähnlich ambitioniertem Anspruch wie die Edition Moderne und arbeitete im Vorstand des Vereins Haus Schwarzenberg, der in Berlin-Mitte eine der letzten Bastionen der Alternativkultur betreibt, in der es Raum für unabhängige Illustrationskunst, Pop Art und Comics jenseits des Mainstreams gibt: Die Galerie Neurotitan, in der Jutta Harms immer wieder auch Comicausstellungen kuratierte oder ihnen den Weg ebnete.
Daneben arbeitete Jutta Harms aber auch an vielen anderen Stellen, die für die Comicszene hierzulande wichtig sind und waren. Sie war unter anderem an vielen Ausstellungen und Präsentationen auf dem Internationalen Comic-Salon Erlangen beteiligt, teilweise auch zusammen mit dem Autor dieser Zeilen.
Hin und wieder schrieb sie auch mal Zeitungsartikel über Comics. Darunter in der „taz“ diese Würdigung der Mumins-Schöpferin Tove Jansson, die sie sehr schätzte. Und in der „Berliner Zeitung“ lobte sie das Comicfestival von Angoulême, welches das größte seiner Art in Europa ist, als Vorbild für Deutschland.
„Es gibt noch viel zu tun!“
Und sie gehörte zu den Erstunterzeichner/innen des Comic-Manifests, mit dem 2013 eine Gruppe von Künstler/innen, Verleger/innen, Kulturschaffenden und anderen Interessierten unter anderem eine stärkere öffentliche Unterstützung und Würdigung der Kunstform Comic forderte. „Wir fordern, dass der Comic dieselbe Anerkennung erfährt wie die Literatur und bildende Kunst“, hieß es darin. Das war der Ausgangspunkt zahlreicher Initiativen, die später vor allem vom Deutschen Comicverein getragen wurden und unter anderem zur Einrichtung des Berliner Comicstipendiums führten, dem kürzlich in Hamburg ein ähnliches Förderprogramm folgte.
Diese Initiative wurde damals in der Comicszene allerdings kontrovers diskutiert, manche Akteure lehnten mit Bezug auf die Underground- und Independent-Wurzeln des Comics vor allem den Ruf nach mehr staatliche Unterstützung vehement ab. Das ließ Jutta Harms nicht unberührt, wie auch in ihrem Artikel aus Angoulême zu erkennen war. „Von der Comicszene selbst wurde die Berliner Initiative vor allem mit wenig konstruktiver Häme überzogen“, schrieb sie da. „Dabei gibt es noch viel zu tun! Die Franzosen machen es uns jedes Jahr wieder vor, mit dem Festival in Angoulême, das bei allen Querelen ein großes, buntes und heiß geliebtes Volksfest ist.“
Und sie war bis zum Schluss verantwortlich für die Website graphic-novel.info, auf der es neben Hinweisen auf Veröffentlichungen und Veranstaltungen von Reprodukt und anderen Verlagen auch immer wieder von ihr verfasste Nachrichten aus der Szene zu lesen gab, wobei der Fokus auf Kunst- und Autorencomics lag.
„Was sind für dich Merkmale eines guten Comics?“, wurde Jutta Harms mal in einem Interview gefragt. Ihre Antwort: „Die Erzählung muss stimmig sein, auf grafischer und textlicher Ebene. Wenn die Geschichte toll ist und die Zeichnungen sind’s nicht oder umgekehrt, ist es schon vorbei. Das können aber ganz unterschiedliche Stile und Geschichten sein, die mir gefallen.“
Besonders gut gefielen ihr vom Alltag inspirierte Arbeiten wie die Reihe „The Artist“ von Anna Haifisch, für die sie 2016 anlässlich der Verleihung des e.o.plauen-Förderpreises auch die Laudatio hielt. Diese Strips seien „witzig überzeichnet, ein bisschen selbstironisch und gleichzeitig sehr liebevoll – für mich ein ganz toller Comic.“
„Für die Leser eine Freude, für den Buchhandel ein großes Glück“
Wegen einer schweren Erkrankung hatte sich Jutta Harms in den vergangenen Jahren etwas aus der Öffentlichkeit zurückgezogen, aber wer viel in der Comicszene unterwegs ist, lief ihr immer mal wieder über den Weg. So im Frühling dieses Jahres beim Indie-Comicfestival „The Millionaires Club“, das seit einigen Jahren parallel zur dortigen Buchmesse stattfindet. Hier konnte man wieder angeregt mit ihr plaudern, sich Tipps für tolle Comic-Entdeckungen holen und mit ihr gemeinsam die Schönheit einiger auf dem Festival zu sehender Siebdrucke bewundern.
Im Herbst des vergangenen Jahres nahm Jutta Harms dann auch noch einen öffentlichen Termin wahr, der ihr als stete Werberin für die Anerkennung der Kunstform Comic besonders gefallen haben dürfte: Reprodukt wurde bei der Verleihung des Berliner Verlagspreise mit einem Förderpreis ausgezeichnet. „Für die Leser sind die Bücher eine Freude, für den Buchhandel ein großes Glück“, sagte die Buchhändlerin und Laudatorin Christiane Fritsch-Weith zur Begründung und lobte das innovative und überzeugende Programm des Verlages.
Dass diese Kunstform, die es in Deutschland lange schwer gehabt hat, in den vergangenen Jahren langsam die ihr gebührende Anerkennung bekommen hat, ist zu wichtigen Teilen auch Jutta Harms zu verdanken.
Hinweis: In einer früheren Fassung dieses Artikels war zu lesen, Jutta Harms sei mit 56 Jahren gestorben. Sie wurde aber 57 Jahre alt.
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