20 Jahre Galerie Neurotitan in Berlin: Jubiläumsfeier im gallischen Dorf
Die Galerie Neurotitan in Berlin-Mitte ist eine Comic-Institution. Jetzt gibt’s eine Ausstellung zum 20-Jährigen - noch bis zum 9. Januar.
Immer wenn Jim Avignon den Hackeschen Markt und die Rosenthaler Straße hinter sich lässt und durch die Hofeinfahrt tritt, fühlt er sich wie in einer anderen Welt. „Als ob man im gallischen Dorf angekommen ist“, sagt der Pop-Art-Künstler. Rundherum scheint die Welt den Luxusläden zu gehören. Doch hier drinnen, hinter den mit Street-Art und Installationen verzierten Mauern der einstigen Fabrik, wähnt man sich in einem von unbeugsamen Künstlern bevölkerten Dorf, das nicht aufhört, dem Mainstream Widerstand zu leisten.
Und das der Independent-Comic- Szene seit bald 20 Jahren eine künstlerische Heimat bietet. So lange gibt es das Haus Schwarzenberg inzwischen, betrieben von einem gemeinnützigen Verein. Kürzlich wurde dessen Vertrag mit dem Eigentümer, der Wohnungsbaugesellschaft Mitte, um weitere zehn Jahre verlängert. Es ist ein Hort der Alternativkultur, zu dem neben Ateliers, Bars, einem Kino und einer Gedenkstätte vor allem die Galerie Neurotitan gehört, die sich mit dem angegliederten Laden als Plattform für „Kunst- und Kulturmarketing abseits des kommerziellen Kunstmarktes“ versteht. Und als Bühne für die Comic-Avantgarde, was jetzt mit einer Jubiläumsausstellung gefeiert wird.
Es begann mit einer „Freakshow“
„Der ganze Ort hat etwas Laborhaftes“, sagt Jim Avignon. „Freakshow“ hieß die Ausstellung, die der inzwischen international bekannte Künstler hier vor knapp 20 Jahren hatte, zusammen mit Atak (Hans-Georg Barber), der inzwischen als Professor für Kommunikationsdesign an der Kunsthochschule Halle lehrt. Dessen Gemälde voller Comic-Zitate hängen jetzt wieder neben älteren Arbeiten Avignons aus den Neunzigern und einer neuen interaktiven Installation, mit der Besucher spielerisch herausfinden können, wer sie wirklich sind. Oder so ähnlich.
„Hier habe ich meine ersten Comics hingeschleppt, um sie anzubieten, hier habe ich meine ersten Siebdrucke verkauft“, erinnert sich Tim Dinter, der inzwischen auch für den Tagesspiegel zeichnet. Der morbid-verwunschen wirkende Innenhof mit den Metallmonstern der Künstlergruppe Dead Chickens, coole und oft schon lange nicht mehr existierende Läden, Galerien und Bars drumherum und der über und über mit Graffiti bedeckte Treppenaufgang gaben das richtige Ambiente. „Das war eine Spielwiese, wild und experimentell“, sagt Dinter. Ein wenig ist es das auch heute noch.
Neben Dinters Arbeiten gibt es in der von Kulturmanagerin und Schwarzenberg-Vereinssprecherin Maike Danz (38) und Leona Fritsche (25) kuratierten Jubiläumsausstellung auch Zeichnungen von Ulli Lust („Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens“) zu sehen, von Barbara Yelin („Irmina“), Jens Harder („Alpha“) und Tagesspiegel-Zeichner Mawil.
Farbige Fäden, die sich quer durch die 300 Quadratmeter großen Galerieräume ziehen, verdeutlichen das Berliner Netzwerk, das sich in den vergangenen 20 Jahren gebildet hat: Sie führen zu Comicverlagen wie Reprodukt und Avant, Zeichnergruppen wie Monogatari und Spring, Szenetreffpunkten wie der Comicbibliothek Renate und Veranstaltungsreihen wie der Friendly Capitalism Lounge von Jim Avignon und Fehmi Baumbach, die als eine der Keimzellen des Neurotitan-Programms gilt.
Ausstellung: Best of Comic, Illustration und Characterdesign, Neurotitan, bis 9. 1., Rosenthaler Straße 39, Berlin-Mitte, Mo–Sa 12–20 Uhr
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