25 Jahre Reprodukt: „Comics bleiben ein schwieriges Geschäft“
Der Reprodukt-Verlag ist in 25 Jahren zu einer Institution in Sachen Autorencomics geworden. Im Interview gibt Verleger Dirk Rehm Einblicke in eine spezielle Branche.
Es begann 1991 als Lieberhaberprojekt eines Studenten der Visuellen Kommunikation mit der Übertragung von US-Underground-Comics ins Deutsche. 25 Jahre später ist der von Dirk Rehm gegründete Verlag Reprodukt eine international renommierte Institution für Autorencomics. Der heute 52-jährige Berliner, der sich auch als Letterer einen Namen gemacht hat, hat nicht nur die Arbeiten vieler ausländischer Künstler einem deutschsprachigen Publikum zugänglich gemacht, sondern bietet vor allem deutschen Comicautoren wie Mawil und Barbara Yelin (die beide auch für den Tagesspiegel zeichnen) eine verlegerische Heimat. Das Jubiläum wird ab Anfang März mit einem umfangreichen Programm gefeiert (siehe Informationen am Ende dieses Textes). Im Interview zieht der Verlagschef Bilanz.
Wieso eigentlich „Reprodukt“?
Dirk Rehm: Die gedruckte Comic-Seite als Reproduktion der Zeichnung... naheliegend. Ich mag und mochte den Klang des Wortes.
Wie hat sich die deutschsprachige Comiclandschaft seit der Verlagsgründung vor 25 Jahren geändert?
Sie ist heutzutage viel größer – und gleichzeitig scheint sie mir kleiner geworden zu sein. Was mir vor 25 Jahren als das große Unbekannte erschien, wirkt mittlerweile sehr überschaubar. Man kennt sich untereinander, was die Verlagskollegen und auch viele Zeichner angeht, regelmäßige Treffen auf den deutschen und internationalen Messen haben zu einem sehr freundlichen und herzlichen Miteinander geführt. Was den Comicmarkt betrifft, kann ich nur wiederholen, was schon vielerorts gesagt wurde: Wir haben derzeit ein in allen Bereichen – ob Manga oder Superhelden-Comics, frankobelgische Albenproduktionen, Graphic Novels, Sammler-und Werkausgaben oder Comics von deutschen Zeichnern – ein so großes und vielfältiges Angebot wie nie zuvor.
Anfangs war Reprodukt ein Pionier, inzwischen versuchen sich viele Verlage auf dem Gebiet der anspruchsvollen, langen Comicerzählung – ist die Konkurrenz gut fürs Geschäft?
Die Tatsache etwa, dass Suhrkamp vor einigen Jahren damit begonnen hat, Comics zu veröffentlichen, hat hierzulande sicher zur gesellschaftlichen Aufwertung des Comics beigetragen. Und die Verlagspolitik von Suhrkamp, in der Hauptsache Projekte von deutschen Zeichnern zu veröffentlichen, stärkt natürlich die deutsche Comicszene ganz ungemein, auch wenn man sich mit der Konzentration auf Literaturadaptionen programmatisch ein bisschen sehr einschränkt. Ärgerlicher sind für uns die großen Literaturverlage, die sich eher aus Imagegründen einen Comic leisten wollen und uns bei den Lizenzgebern mit ihren größeren Budgets problemlos überbieten können. So fallen für uns gerade in jüngster Zeit immer häufiger zum Bestehen des Verlages lebensnotwendige – weil gut verkäufliche – Lizenztitel weg.
Laut Amazon führt mit „Kiste“ ein Kindercomic die aktuelle Reprodukt-Bestseller-Liste – ein Zeichen, dass genug junge Comicleser nachwachsen?
„Kiste“ findet mehr und mehr junge Leser! Ein erfreuliches, wenn auch leider seltenes Beispiel für einen Comic, der im zweiten Jahr mehr verkauft als im Jahr seiner Veröffentlichung und im dritten Jahr noch mal mehr als im zweiten Jahr. Wie auch im Programm für erwachsene Leser besteht die Schwierigkeit für unser Kindercomicprogramm darin, eine mögliche Leserschaft zu erreichen. „Kiste“ wurde von der Leipziger Buchmesse und der Stiftung Lesen mit dem Leipziger Lesekompass 2015 ausgezeichnet. Seitdem gibt es ein großes Interesse von Bibliotheken an der Serie. Generell scheint es zu unseren Kindercomics mehr und mehr positive Mundpropaganda zu geben.
Welches ist Ihr 25-Jahre-Bestseller?
Von der Geschwindigkeit her, in der die Bücher über den Ladentisch gingen, ist das mit Sicherheit Mawils „Kinderland“. Das Buch ist im Mai 2014 erschienen und bis Ende 2014 hatten wir fast 10.000 Exemplare verkauft. Weitere fortdauernde Bestseller sind die Reiseaufzeichnungen von Guy Delisle, speziell „Pjöngjang“ und „Aufzeichnungen aus Jerusalem“ und der erste „Mumins“-Band von Tove Jansson.
Was verkaufte sich gar nicht gut?
Zum Beispiel experimentelle Comics, die hierzulande immer noch nur ein relativ kleines Publikum interessieren: Großartige Werke wie Killoffers „676 Erscheinungen von Killoffer“ oder Tommi Musturis „Unterwegs mit Samuel“...
Kann man vom Comicverlegen leben?
Nein, das kann ich derzeit nicht. Gehälter an die Verlagsmitarbeiter werden natürlich regelmäßig gezahlt, aber wir haben 2015 Verlust gemacht. 2014 hingegen haben wir dank „Kinderland“. und „Irmina“ einen Gewinn erwirtschaftet: Beide Bücher haben sich im ersten Jahr ihres Erscheinens 10.000 bzw. 6.000 mal verkauft, aber das ist eher die Ausnahme. Wenn wir von einem Buch in einem Jahr 3.000 Stück verkaufen, ist das normalerweise ein gutes Ergebnis. Das Publikum für Comics in Deutschland ist überschaubar, allem Medieninteresse zum Trotz. Die Auflagen können nicht mit den Auflagen in der Belletristik mithalten und die Produktion von Comics ist sehr teuer und zeitaufwändig gegenüber dem Aufwand, den es erfordert, einen Roman zu setzen. Insofern sind in der Regel auch die Gewinnmargen gegenüber der Belletristik gering – Comics bleiben in Deutschland ein schwieriges Geschäft, zumindest solche, wie sie der avant-verlag, Edition Moderne oder wir veröffentlichen.
Wer entscheidet bei Reprodukt nach welchen Kriterien, was ins Programm kommt?
Die Verlagsmitarbeiter entscheiden gemeinsam in mehreren Sitzungen darüber, welche Titel ins Programm genommen werden. Dazu diskutieren wir im Kreis von acht bis zehn Personen über für und wider von Titeln oder Autoren. Dabei berücksichtigen wir Faktoren wie Autorenpflege, Verkäuflichkeit eines Titels oder die Ausgewogenheit des Programms. Beim Erstling eines neuen Autors ist es wichtig, dass mindestens einer der Kollegen mit voller Überzeugung hinter dem Projekt steht. Das heißt, er oder sie ist bereit, das Buch nicht nur auf dem Weg zur Fertigstellung zu unterstützen, sondern Werbung für „sein“ Projekt und „seinen“ Autor zu betreiben, wo immer es möglich ist. Das beinhaltet unter anderem Hilfestellung bei Förderanträgen, Hinweise in den sozialen Medien, Begleitung bei Buchpräsentationen, Signierstunden, Ausstellungen und vieles mehr.
Sind Graphic Novels die besseren Comics?
Ich schätze, es ist befriedigender, eine abgeschlossene Geschichte in einem Band zu lesen, als einen Teil einer Serie, bei dem man dann mehr oder weniger lange auf die Fortsetzung warten muss. „Graphic Novel“ ist kein Qualitätsmerkmal, bezeichnet auch kein Genre, sondern ist schlicht ein Begriff aus dem Marketing.
Welche Comics, die bislang in Ihrem Programm fehlen, würden Sie gerne noch veröffentlichen?
Das darf ich natürlich nicht verraten, weil ich sonst womöglich die Konkurrenz darauf aufmerksam mache... Aber es gibt sehr, sehr viele Comics, die ich gern in unserem Programm sehen würde, wenn ich die Möglichkeit dazu hätte.
Was lesen Sie selbst nach Feierabend?
An Comics fast nur noch, was so gar nicht in unser Programm passen würde. Aktuell „Injection“ von Warren Ellis und Declan Shalvey (Image) oder „Blueberry – Intégrales“ von Jean-Michel Charlier & Jean Giraud (Dargaud), das „Spirou“-Magazin, ansonsten eher Romane, zuletzt „The Man from the High Castle“ von Philip K. Dick.
Fehlt Ihnen das Zeichnen und Schreiben eigener Comics?
Nein, überhaupt nicht.
Verlagsgründer Chris Oliveiros vom nordamerikanischen Verlag Drawn & Quarterly, der manche Parallele zu Reprodukt aufweist, hat sich nach 25 Jahren wieder aus dem Verlagsgeschäft zurückgezogen und einen selbst geschriebenen und gezeichneten Comic veröffentlicht – eine Perspektive auch für den Reprodukt-Gründer?
Soweit ich es verstanden habe, hat sich Chris nur von der verwaltungstechnischen Arbeit zurückgezogen, an programmatischen Entscheidungen hat er trotzdem Anteil. Das ist natürlich eine reizvolle Perspektive, nicht mehr Vollzeit arbeiten zu müssen und trotzdem einen Verlag zu leiten. Damit hätte ich kein Problem, eine Karriere als Comiczeichner hingegen würde ich nicht mehr starten wollen.
Jubiläumsfest mit internationalen Gästen
Zum Jubiläum gibt es eine Comic-Ausstellung in der Bibliothek am Luisenbad in Berlin-Wedding (7.3.–29. 4., Travemünder Str. 2). Dort spricht am 11.3. um 18 Uhr US-Comicstar Craig Thompson über sein aktuelles Buch „Weltraumkrümel“. Tags drauf signiert er ab 16 Uhr bei „Comics & Graphics“, Prenzlauer Allee 46. Am 7. April präsentiert der Belgier Olivier Schrauwen in der Bibliothek sein neues Buch „Arsène Schrauwen“. Und am 18. Juni gibt es eine große Geburtstagsfeier am Reprodukt-Sitz in Wedding auf dem Gelände von ExRotaprint, Gottschedstraße 4.
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