"Every Thing Will Be Fine": In aller Seelenruhe
Wim Wenders zeigt sein sehr feierliches Vergebungsdrama „Every Thing Will Be Fine“ in 3-D. Ein Alterswerk, aber auch ein Nebenwerk: Seine jüngste Dokumentation ist für den Oscar nominiert.
Der Schriftsteller hat sich zwecks Inspiration in eine Hütte auf dem zugefrorenen Hudson zurückgezogen, aber zu Papier gebracht hat er zuletzt kaum etwas. „Und?“, fragen ihn die Eisfischer, die nicht fern von seinem Fenster biwakieren. „Zwei Seiten.“ Drauf einer der Eisfischer. „Wir zwei Barsche. Gestern 24.“ Nach einem Schweigen fasst der Eisfischer den kommunikativen Sachverhalt wie folgt ztusammen: „Du schreibst nicht, und die Fische beißen nicht.“
Dieser Eingangsdialog gibt für die kommenden zwei Filmstunden etwas vor, das mit Tempo nur unzulänglich beschrieben ist. Auch lässt sich nicht behaupten, dass Wim Wenders sein Publikum überfordert, in diesem recht zarten Drama nach einem Drehbuch des Norwegers Bjørn Olaf Johannessen. Gleiches gilt für die Schauspieler. Überwiegend würdevoll zurückhaltend bewegen sie sich durchs Bild, haben wenig Text, und wenn niemand was sagt, brandet zum Ausgleich Musik auf. Nach der Berlinale-Halbzeit, wenn sich gewisse Aufmerksamkeitsdefizite einstellen, ist so was strukturell angenehm.
Charlotte Gainsbourg auf Traurigkeit festgelegt
Die Geschichte ist fast zu schnell erzählt: Tomas (James Franco), eingangs erwähnter Romanautor, gerät als Autofahrer in einen Unfall: Zwei Kinder rodeln ihm vor die Motorhaube, das jüngere stirbt. Tomas hat zwar keinerlei juristische Folgen zu gewärtigen, auch macht ihm Kate (Charlotte Gainsbourg), die Mutter des getöteten Kindes, keine Vorwürfe. Tomas aber martert sich mit Schuldgefühlen, und seine Beziehung zu Sara (Rachel McAdams) zerbricht. Zehn Jahre später, Tomas lebt mit der Lektorin Ann (Marie-Josée Croze) und deren Tochter Mina (Julia Sarah Stone) zusammen, bringt Christopher (Robert Naylor), Kates inzwischen pubertierender Sohn, Unruhe in diese Patchworkfamilie.
Diese Konfrontation, zumal mit dem Verdacht, der Schriftsteller habe das anderweitige Drama nur für sein Werk ausgeschlachtet, wäre durchaus ein Stoff fürs Kino. Aber der Konflikt lässt lange auf sich warten und wird dann auch noch, der Filmtitel ist Programm, in aller Seelenruhe beigelegt. James Franco kommt folglich mit minimaler mimischer Variationsmühe ebenso zum Ziel wie Charlotte Gainsbourg, die ungeachtet durchaus nicht immer identischer Interaktionsherausforderungen auf die elegische Traurigkeit festgelegt bleibt. Nur die beiden Jugendlichen bringen, spät genug, Leben in die Bude.
Ehrenbär für Wim Wenders
Ein Alterswerk, ein Nebenwerk auch des hochgeschätzten Wim Wenders, der in seinem 70. Lebensjahr schönsten Lorbeer erntet: Die Berlinale widmet ihm eine Hommage und schenkt ihm am Donnerstag einen Ehrenbären, und in anderthalb Wochen mischt er mit seiner fulminanten Dokumentation „Salz der Erde“ in Los Angeles bei den Oscars mit. „Every Thing Will Be Fine“ aber, bei der Pressevorführung am Dienstag nachmittag mit frostigem Schweigen aufgenommen, bringt es im Festivalbetrieb trotz beeindruckenden Staraufgebots nur zur Fußnote. Zumal Matthias Glasner vor drei Jahren mit „Gnade“ einen ungleich packenderen Film ähnlichen Schuld-und-Vergebungsthemas in den Wettbewerb schickte.
Leider lässt sich auch über die Verwendung von 3-D, womit Wenders in „Pina“ so wirkungsvoll spielte, wenig Erfreuliches sagen. Tatsächlich eignet sich das technische Verfahren für diese Art Film – wenige Schauspieler bewegen sich wenig vor wenig bewegten Interieurs oder Exterieurs – überhaupt nicht. Vielmehr wirken die Akteure im Bildvordergrund wie Schnittmusterbogenfiguren vor papierenen Panoramen. Manchmal sieht das, aber das wäre jetzt fast zu temperamentvoll ausgedrückt, richtig lustig aus.
11. Februar, 13 Uhr (Zoo Palast), 13.2., 21.30 Uhr (Haus der Berliner Festspiele)
Jan Schulz-Ojala