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Durch die Wüste. Szene aus Pina Bauschs „Ahnen“, die im Mai im Wuppertaler Opernhaus neu aufgenommen werden.
© Jochen Viehoff

Pina Bauschs Tanztheater: Weben und schweben

Das weltberühmte Wuppertaler Tanztheater sucht nach neuen Wegen – bald fünf Jahre nach Pina Bauschs Tod.

In der „Lichtburg“, einem ehemaligen Kino in Wuppertal-Barmen, hat Pina Bausch immer geprobt. Von der Straße ist dieser Kultort nicht zu erkennen – gleich nebenan ist eine Fastfood-Kette. Der nostalgische Saal mit ist voller Erinnerungsstücke – und zugleich ein Ort lebendiger Kunst. Gleich beginnt die Probe zur Wiederaufnahme von Glucks „Iphigenie auf Tauris“, einer der allerersten Choreografien von Pina Bausch aus dem Jahr 1973. Barbara Kaufmann, die die Probe leitet, bespricht sich noch kurz mit Rainer Behr. Das war schon zu Pina Bauschs Lebzeiten so: Tänzer, die an den Premieren beteiligt waren, betreuen auch die Wiederaufnahmen.

Fast alle im Ensemble haben noch mit der Prinzipalin zusammengearbeitet, die im Juni 2009 mit 68 Jahren plötzlich an Krebs starb. Mit ihrem Körper und ihrem Wissen halten sie ihr legendäres Erbe lebendig. Auch ein paar neue Gesichter sind dabei, der Australier Paul White und der Brite Scott Jennings sind seit November 2012 dabei und haben sich bestens integriert. Man spürt den engen Zusammenhalt. Das Tanztheater Wuppertal ist immer noch eine große Familie – auch wenn Pina fehlt.

Als sie vor 40 Jahren das Wuppertaler Ballett übernahm und in Tanztheater Wuppertal umbenannte, standen die Zeichen auf Revolution. Pina Bausch verband Tanz und Theater, Bewegung und Sprache. Sie hat die Welt des Tanzes verändert. Sie entwickelte eine offene Arbeitsform, die auf die Persönlichkeit der Tänzer ausgerichtet war. Anfangs wurden bei den Premieren noch wütend Türen geknallt. Pina Bausch wurde angefeindet, doch später geliebt, überschwänglich geliebt. Und weltweit gefeiert.

Dass das Wuppertaler Tanztheater in dieser Spielzeit sein 40-jähriges Bestehen mit großem Programm feiert, ist nicht selbstverständlich. Denn als Pina Bausch starb, hatte sie kein Testament hinterlassen. Andere Compagnien lösen sich nach dem Tod ihres Gründers auf. Das Tanztheater Wuppertal aber lebt weiter.

„Wir sind aufgestellt wie zu Pinas Lebzeiten“, sagt Dirk Hesse, der Geschäftsführer. „Wir haben nach wie vor die gleiche Anzahl von Tänzern und Mitarbeitern. Leider haben wir Pina nicht mehr bei uns. Trotzdem sind wir heilfroh, dass wir diese 40. Spielzeit so feiern dürfen.“

Zeit zum Trauern blieb dem Ensemble nicht. Als die Tänzer von Pina Bauschs Tod erfuhren, gastierten sie gerade in Wroclaw und traten am selben Abend mit „Nefes“ auf. Sie wollten tanzen. Für Pina. Seitdem hat das Tanztheater Wuppertal Hunderte von Aufführungen absolviert. Beim olympischen Kulturprogramm in London 2012 war es allein mit zehn Stücken vertreten. „Es ist so, dass ungebrochen die Anfragen reinkommen“, sagt Dirk Hesse. „Wir könnten auch mehr Vorstellungen spielen, wenn das Jahr mehr Wochen hätte. Aber mit 90 Vorstellungen von 13 oder 14 verschiedenen Produktionen pro Jahr sind wir ganz gut ausgelastet.“

Finanziell steht das Wuppertaler Tanztheater auf soliden Füßen. In der vergangenen Spielzeit erwirtschaftete das Ensemble Eigeneinnahmen in Höhe von 41 Prozent, eine Traumquote. Zudem erhält es öffentliche Förderung vom Land NRW und von der Stadt Wuppertal, die das Tanztheater mit 2,5 Millionen Euro unterstützt. Die hochverschuldete Stadt steht fest zu ihrer Compagnie. „Auch in den größten Schwierigkeiten des Haushalts hat nie jemand das Tanztheater in Frage gestellt“, betont Oberbürgermeister Peter Jung. „Ich glaube, das macht auch die besondere Verbindung von Pina zu Wuppertal aus: Sie hat der Stadt viel gegeben, aber die Stadt war auch bereit, hier ein ganz besonderes Zeichen zu setzen.“

Es wird weiterhin auf hohem Niveau getanzt in Wuppertal – im Mai stehen „Café Müller“, „Das Frühlingsopfer“, „Ahnen“ und „Viktor“ auf dem Programm. Doch vor der Frage, wie eine Zukunft ohne die einmalige Choreografin aussehen könnte, hat man sich bislang gedrückt. Nun will man sich einem Erneuerungsprozess stellen. Und hier kommt Stefan Hilterhaus ins Spiel. Der künstlerische Leiter von PACT Zollverein in Essen war ein Weggefährte von Pina Bausch und hat mit ihr zwei Tanzfestivals konzipiert. Hilterhaus wurde als externer Berater vom Land Nordrhein-Westfalen und der Stadt Wuppertal beauftragt, eine Potentialanalyse vorzunehmen. In dieser Woche stellt er seine „Perspektivstudie“ der Tanztheater Gmbh und dem Ensemble vor. Dann nimmt die Diskussion über das zukünftige Profil des Tanztheaters hoffentlich Fahrt auf. Denn die Neuerungen sollen schon in der Spielzeit 2015/16 greifen. „Ein fertiges Konzept vorzulegen, fände ich vermessen“, sagt Hiltershaus. „Zunächst geht es darum, die Aufgaben, Kompetenzen und Fragen zu sortieren und auch die Befindlichkeiten herauszufinden. Es ist ja ein ein sehr emotionales Geflecht.“

Nun sehen manche die Gefahr, dass das Wuppertaler Tanztheater zum Pina-Bausch-Museum erstarrt. Hilterhaus möchte dazu anregen, über einen anderen Begriff von Überlieferung nachzudenken: „Das ist ja eine neue Aufgabe, performative Werke zu tradieren. Und man hält doch an einem sehr konservativen Begriff von Original fest.“ Unbestritten sei jedenfalls, dass sich das Tanztheater Wuppertal öffnen müsse für andere Choreografen, für andere künstlerische Positionen, erklärt Hilterhaus.

Derzeit sorgen Pläne für Aufsehen, das geschlossene Wuppertaler Schauspielhaus zu einem internationalen „Tanzzentrum Pina Bausch“ auszubauen. Das Konzept hat ebenfalls Hilterhaus erstellt. Danach sollen hier nicht nur das Tanztheater Wuppertal und die Pina-Bausch-Stiftung angesiedelt werden, sondern auch ein Produktionszentrum für internationale, spartenübergreifende Aufführungen. Auch das Bürgerforum „Wupperbogen“ soll das Schauspielhaus nutzen können. Allerdings würde die Sanierung des Schauspielhauses Millionen Euro verschlingen. Das finanziell klamme Wuppertal könnte das allein nicht stemmen.

So ruhen die Hoffnungen auf dem Bund. Immerhin wird das Tanzzentrum im Koalitionsvertrag von CDU und SPD erwähnt – als einer der „national bedeutsamen Kulturorte“, deren Förderung vorrangig geprüft werden soll.

Sandra Luzina

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