Koloniale Kunstgeschichte: Ihr Name ist Laura
Schwarze Menschen, weiße Maler: Das Pariser Musée d’Orsay untersucht, wie französische Künstler bis ins 19. Jahrhundert People of Color inszenierten.
Im Jahr 1848, als ganz Europa in Aufruhr geriet, wurde in Frankreich en passant die Sklaverei abgeschafft. Es war bereits das zweite Verbot; das erste, 1794 im Verlauf der Französischen Revolution ausgesprochen, wurde acht Jahre später von Napoleon kassiert. Der Erste Konsul und bald darauf Kaiser suchte den Kompromiss mit den alten Kräften. Er brauchte die Ökonomie, die eben auch im damaligen Frankreich zu einem erklecklichen Teil auf dem Handel mit und der Ausbeutung von Sklaven beruhte.
1848 ist auch das Stichdatum für die Sammlung des Musée d’Orsay. Das riesige Haus, einst abgespalten vom Louvre, ist für die Epoche von 1848 bis 1914 zuständig, während die Kunstwerke der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts im Louvre verblieben. Jetzt bilden Werke aus beiden Sammlungen zwar die Grundlage für eine ambitionierte Übersicht zur Darstellung schwarzer Menschen in der französischen Kunst. Doch sie reichen längst nicht aus, um das Thema angemessen darzustellen. Der Titel „Das schwarze Modell. Von Géricault bis Matisse“ ist doppeldeutig: „Le modèle noir“ kann das „Modell“ des Künstlers bedeuten wie auch das „Vorbild“.
Ansturm vom ersten Tag an
Die Ausstellung ist vom ersten Tag an umlagert. Für den Außenstehenden ist schwer zu entscheiden, ob es sich um den üblichen Ansturm in einem Museum handelt, das im Jahr drei Millionen Besucher zählt, oder ob nochmals eine Steigerung vorliegt. Zu beobachten ist jedoch der ungewöhnlich hohe Anteil der people of color. Es ist ihre Geschichte, die hier verhandelt wird. Wie auch in der Ausstellung „The Black Image Corporation“, eingerichtet vom Künstler Theaster Gates, die am 25. April im Berliner Gropius-Bau eröffnet. Da geht es um Fotografien der Johnson Publishing Company und die Bilder afroamerikanischer Identität.
Die Ikonografie schwarzer Menschen in der abendländischen Malerei reicht bis in deren Anfänge zurück. Nördlich der Alpen bürgerte es sich ein, einen der Heiligen Drei Könige als „Mohren“ darzustellen. In der Renaissance gibt es zahlreiche Darstellungen schwarzer Bediensteter bei Hofe. Die Pariser Museen mit ihrem unerschöpflichen Bestand hätten ohne Weiteres eine Übersicht bewerkstelligen können, die mehrere Jahrhunderte der Kunst überspannt.
Die Drei Könige kamen aus dem Morgenland
Es fällt auf, wie viele – auch zentrale – Werke der Ausstellung aus entlegenen Museen oder Privatsammlungen hinzugezogen werden mussten. Sie beginnt jetzt mit eben jener ersten Aufhebung der Sklaverei 1794. Die französischen Kolonien in der Karibik wurden dem Mutterland gleichgestellt. Jean-Baptiste Belley kam als Deputierter von Saint-Domingue nach Paris, der Maler Anne-Louis Girodet stellte ihn 1797 knapp lebensgroß als stolzes Mitglied des Konvents dar, gelehnt an die Büste eines Philosophen. Das Gemälde machte Sensation. Nicht minder das Porträt – als Halbakt – einer Frau aus den Kolonien, bis vor Kurzem als „La négresse“ geläufig. Ihre Identität konnte das Kuratorenteam wenigstens zum Teil ermitteln: Ihr Name lautet Madeleine.
Einen Namen geben, den eigenen Namen zurückgeben: Das war ein Ziel des Forschungsvorhabens. Beispielsweise ließen sich in den Verzeichnissen der Kunstakademie die Namen und Anwesenheiten der Modelle festhalten. Da gab es einen Joseph, 1793 in Santo Domingo geboren und als junger Mann nach Paris gekommen, wo er eines von drei festbesoldeten Modellen wurde. Der bedeutendste Maler, der Joseph – sogar mit Namen – festhielt, war der Romantiker Théodore Géricault. Sein politisches Protestbild „Das Floß der Medusa“ von 1819 - es kann seiner Größe wegen den Louvre nicht verlassen - zeigt Josephs Rücken. Bis in die 1860er Jahre hinein gab Joseph das modèle noir zahlreicher Maler ab.
Auspeitschung als Bildthema
Die Sklaverei in den Kolonien bestand fort, im Mutterland begleitet von gelegentlichen Protesten im Namen der Menschenrechte. Besondere Aufmerksamkeit erregte 1843 das Gemälde „Die Strafe der vier Pflöcke in den Kolonien“ des Ingres-Schülers Marcel Antoine Verdier. Er stellte mit dem Hyperrealismus seines Lehrers die auf der Leinwand ganz unblutige Auspeitschung eines Sklaven dar, der Mitglieder der Pflanzerfamilien mit freundlichem Interesse beiwohnen. Man wollte den Sträfling schließlich weiterhin ausbeuten.
Und doch ist die Ausstellung gediegen und gedämpft: Die ganze Wahrheit über die Kolonien, etwa über den berüchtigten Code noir, dieses Schreckensregister von Strafen für jedes noch so geringe Vergehen, erfährt man hier nicht. Sie ist in Museen der Sklavenhandelshäfen wie Bordeaux und vor allem Nantes aufgehoben. Das wirft die Frage auf, welche Funktion eine Ausstellung wie „Le modèle noir“ haben soll. Ersatz für historische Aufarbeitung kann sie nicht sein. Und doch muss das Orsay-Museum viel Lesestoff bereitstellen, damit der Besucher die Bilder und Skulpturen deuten kann.
Um die Jahrhundertmitte entsteht "die" Moderne
Man hat den Eindruck, das Kuratorenteam um Cécile Debray und Isolde Pludermacher war froh, kulturhistorisch bekanntes Gelände zu erreichen. Das ist um die Mitte des 19. Jahrhunderts und in der Epoche des Zweiten Kaiserreichs der Fall. Ab etwa 1850 bildete sich die künstlerische Moderne. Alexandre Dumas d. J., obgleich Schriftsteller, kommt ausgiebig zur Darstellung. Als Sohn eines Mulatten, wie man Kinder aus gemischten Beziehungen nannte, dunkelhäutig und kraushaarig, passte er ins Bild, das man sich vom Autor des skandalträchtigen Romans „Die Kameliendame“ machte. Es war die große Zeit der Karikatur, deren Meister Honoré Daumier die Zeichnung eines Bourgeois im Morgenmantel schuf, der seinem schwarzen Diener in den Hintern tritt und ruft: „Ich hatte Dir doch verboten, mich Herr zu nennen... lerne endlich, dass alle Menschen Brüder sind ... Du Tier!“
Édouard Manet hatte eine dunkelhäutige Geliebte, die er des Öfteren zum Modell nahm. Diese Laura figuriert als zweite Person auf dem Skandalbild der „Olympia“, einer Prostituierten, wie sie unter der Bezeichnung Maitresse im damaligen Paris allgegenwärtig war. Das Gemälde konnte Manet beim Salon von 1865 zeigen, wo es einen ungeheuren Aufruhr verursachte – wegen der fehlenden Idealisierung der herausfordernd blickenden nackten Olympia, nicht weil die zweite Person, die Bedienstete mit Blumenbouquet zu ihrer Rechten, eben jene Laura ist. In der Ausstellung ganz in der Nähe findet sich das biedermeierliche Gruppenbild „Der Kinderkuss“ von Jacques-Eugène Feyen (1865), bei dem eine schwarze Kinderfrau das mütterliche Glück rahmen darf: Da ist die Hierarchie im Lot. Übrigens hatte auch der berühmte Fotograf Nadar schwarze Modelle, so „Maria von den Antillen“, die er in verschiedenen Posen, auch als Halbakt, ablichtete, mit stets ins Schwermütige reichendem Gesichtsausdruck.
Varieté, Boxer, Tänzerinnen
Nach der Jahrhundertwende 1900 verflacht die Kunst. Sie verliert das Interesse an nicht-weißen Menschen. Unverständlich, dass ausgerechnet Paul Gauguin fehlt, der in Tahiti einem bereits damals verlorenen Paradies nachjagte und seine Zivilisationsmüdigkeit mit jungen Südsee-Mädchen betäubte. Bei ihm ist das Dilemma des aufgeklärten Weißen mit Händen zu greifen, der indigene Gesellschaften sucht, um in ihnen seine eigenen Projektionen zu finden.
Der Nicht-Weiße kehrt in die Metropole Paris nach 1900 nur noch als Varieté-Nummer zurück, als Boxer, Jazzer oder Tanzstar wie Josephine Baker. Da wird die Ausstellung flach. Um etliches genauer hat diese Aspekte das Musée du Quai Branly, das Ethnologische Museum, 2011/12 in seiner bitterbösen Ausstellung „Der Menschenzoo“ herausgearbeitet. Später folgte dort die nicht minder treffsichere Ausstellung „The Color Line“ zur Geschichte der Schwarzen in den USA. Damit war ein Maßstab aufgerichtet, vor dem nur die erste Hälfte der jetzigen Schau bestehen kann.
Eine heile Welt stürzt ein
Kein Zweifel, sie war überfällig, und es ist richtig, die Bilder und Skulpturen allesamt zu zeigen, auch wenn es mit der Kontextualisierung hapert. Immerhin, diese Ausstellung erschüttert die geschönte, heile Welt gerade auch der Moderne. Von jetzt an wird die Kunstgeschichte anders zu erzählen sein – in Paris und anderswo.
Paris, Musée d'Orsay, bis 21. Juli. Opulenter Katalog, 45 €. www.musee-orsay.fr