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Kraft durch Glauben in der Pariser Ausstellung "Color of Line": Archibald J. Motley, „Zungen (Heilige Sänger)“, 1919
© Valerie Gerrard Browne/Bridgeman Images

Ausstellung in Paris: Geboren aus der Gewalt

Täglicher Rassismus: Das Pariser Museum Quai Branly zeigt mit der Ausstellung "The Color Line" die Geschichte der afroamerikanischen Kultur.

Es ist eine der wichtigsten Ausstellungen in der mit gut zehn Jahren noch jungen Geschichte des Musée du Quai Branly, des Ethnologischen Museums in Paris – und nebenbei Vorbildes des Berliner Humboldt- Forums. „The Color Line“, so ihr Titel, behandelt das Thema „Die afroamerikanischen Künstler und die Rassentrennung“. Knapp 600 Objekte hat Gastkurator Daniel Soutif zusammengetragen, der vor Jahren schon mit einer Ausstellung zum „Jahrhundert des Jazz“ hervortrat. Diesmal ist der Blickwinkel bedeutend weiter. Denn unausweichlich bildet der Rassismus in all seinen Verästelungen die Folie, vor der sich afroamerikanische Kunst und Kultur entfalten.

Es ist alles andere als eine glatte, schöne, gar erhebende Ausstellung. Die Gewalt des Rassismus dringt in jede künstlerische Äußerung ein. Kurator Soutif weicht stärker noch als in dem ganz unentbehrlichen, materialgesättigten Katalog von einer strikt chronologischen Anordnung ab und erlaubt Vor- und Rücksprünge, die die Aktualität, das Nichtvergehen des Rassismus blitzartig erhellen. Dem Besucher ist der Ausweg verlegt, historische Formen des Rassismus wie die Lynchmorde der Zwischenkriegszeit als historisch abzutun. Die Kunstwerke und Dokumente sprechen von einer Gegenwart, die sich nicht zur Vergangenheit bequemt.

„The Color Line“ ist der Titel eines berühmten Aufsatzes von Frederick Douglass aus dem Jahr 1881, der, als Sklave im Süden geboren, 1838 nach New York gelangte und dort zu einem Advokaten der Afroamerikaner wurde. W.E.B. Du Bois, der schwarze Historiker, der unter anderem in Berlin und Heidelberg studiert hatte und sich mit Max Weber bei dessen Amerikabesuch 1904 austauschte, nannte die „Color Line“ das „Kernproblem des 20. Jahrhunderts“.

Die künstlerischen Zeugnisse der Sklavenzeit sind naturgemäß spärlich.

Überall ist diese Farbgrenze gegenwärtig. Die Ausstellung verfolgt sie von der sichtbarsten Ausprägung in der Sklaverei der Südstaaten über deren Aufhebung mit und nach dem Bürgerkrieg und dem 13. Verfassungszusatz und ihre nur wenig subtilere Wiedereinführung durch die gesetzliche Rassentrennung in den Südstaaten ab 1877. Es folgen die kurzfristige Stillstellung im Ersten Weltkrieg und die Gewaltorgien der Lynchmorde in den Jahrzehnten danach, dann die erneute Zurückdrängung im Zweiten Weltkrieg. Schließlich erhebt sich die Bürgerrechtsbewegung, die 1964 den gesetzgeberischen Erfolg des Civil Rights Act erringt, während der alltägliche Rassismus stets virulent bleibt. Dem Gesetz voraus geht die hunderttausendfache Demonstration in Washington vom August 1963 mit der Beschwörung des Nationalhelden Lincoln und der legendären Rede von Martin Luther King, „I had a dream“.

Die künstlerischen Zeugnisse der Sklavenzeit sind naturgemäß spärlich. Kultur war Vorrecht der Weißen. Kunsthandwerkliche Objekte zeugen von dem Antrieb, dem kargen Leben dennoch Gestaltung und Schönheit abzuringen. Die Binnenmigration in den Norden der USA, die nach dem Bürgerkrieg einsetzt und den ökonomischen Niedergang des Südens beschleunigt, setzt Potenziale frei.

Jacob Lawrences Bild „Staub zu Staube“, 1938
Jacob Lawrences Bild „Staub zu Staube“, 1938
© Walter O. Evans Foundation/Ausstellung

Sie kommen ganz zur Entfaltung erst in der kulturellen Blüte, die unter dem Begriff der „Harlem Renaissance“ das frühe 20. Jahrhundert kennzeichnet. Die Musik des Jazz steht im Vordergrund, doch ebenso entsteht große Kunst in den Werken von Aaron Douglas, Archibald Motley, von Romare Bearden und Jacob Lawrence. Von den 60 Bildern der 1940/41 entstandenen „Migration Series“ von Lawrence, diesem Epos der Binnenwanderung in die Industriestädte des Nordens, ist keines in Paris zu sehen; sie gelten als nationale Ikonen und waren im vergangenen Jahr vollständig im New Yorker Museum of Modern Art versammelt.

Die Ausstellung überschreitet souverän die Gattungsgrenzen von High und Low, von Kunst und Nicht-Kunst. Sie macht deutlich, dass die Emanzipationsbewegung der Schwarzen keine innerkünstlerische Angelegenheit war und ist. Das Aufbegehren findet überall statt, neben der Musik insbesondere im Sport. Indem der Rassismus auf körperliche Merkmale zielt, voran die Hautfarbe, macht er „Körperpolitik“ zum Handlungsfeld.

Joe Louis, der schwarze Schwergewichts-Champion, ist eben nicht nur Boxer. Er ist eine kulturelle Ikone. Jack Johnson, der ihm mit seinem Sieg über einen weißen Gegner 1910 vorausgeht, muss nach Europa flüchten, um den Attentatsversuchen des 1915 neubegründeten Ku Klux Klan zu entgehen. Dass diese klandestine Vereinigung mit ihrer Propaganda des „White Supremacy“im Gefolge des Trump-Wahlsieges erneut auftritt, unterstreicht nur die bedrückende Aktualität der Pariser Ausstellung.

Ein eigenes Kapitel ist dem scharzen Hollywood gewidmet

Musik und Sport ziehen ausstellungstechnisch Plattenhüllen und Wochenmagazine nach sich, ihnen gesellen sich Fotografien und Karikaturen zu, Buchumschläge und Protestplakate. Ein eigenes Kapitel ist dem scharzen Hollywood gewidmet, der Filmindustrie ausschließlich für ein afroamerikanisches Publikum, die parallel zur Entstehung des Films beginnt und stets vorhanden war, doch in den weißen Medien keinen Niederschlag fand.

Die Fülle der Objekte wirkt umso überwältigender, als sie die Sinne frontal angehen. Blut ist nun einmal leuchtend rot – und leuchtet von zahlreichen Zeichnungen und Publikationen. Gewalt ist überall. Es gibt keine Ruhezonen fürs Auge. Erkennungszeichen von Ausstellung und Katalog ist die von David Hammons 1990 zur „African American Flag“ veränderte Fahne der Vereinigten Staaten, mit roten und schwarzen Streifen und schwarzen Sternen auf grünem Grund, ein optisches Pendant zu Jimi Hendrix’ berühmter Verzerrung der Nationalhymne „Star Spangled Banner“ in Woodstock 1969.

Man verlässt die Ausstellung, die etwas labyrinthisch das Untergeschoss des Gebäudes durchschlängelt, weniger befreit als bedrückt. Die Bilder bleiben haften. Das Musée du Quai Branly gibt mit „The Color Line“ eine politische Standortbestimmung ab, die sich ohne weiteres auf die prekäre Situation im eigenen Land, in den vernachlässigten banlieues der Großstädte übertragen lässt. In den Medien war zu lesen, dass kein Politiker von Rang sich bei der Eröffnung blicken ließ. Auch das ist eine Aussage. Das „Kernproblem“, von dem DuBois vor mehr als einem Jahrhundert sprach, ist ungelöst.
Paris, Musée du Quai Branly (Nähe Eiffelturm), bis 15. Januar. Katalog bei Flammarion, 49 €. – Infos: www.quaibranly.fr

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