"Amy": Doku über Amy Winehouse: I said no, no, no
Intim und traurig: Vier Jahre nach dem Tod von Amy Winehouse zeichnet der Dokumentarfilm "Amy" von Asif Kapadia das Leben der großen Sängerin nach.
Amy Winehouse ist ziemlich nervös an diesem Tag im März 2011, an dem die letzte Studioaufnahme ihres Lebens entstehen wird. Sie soll mit Tony Bennett den Standard „Body & Soul“ singen. Der amerikanische Jazzsänger zählt zu ihren Idolen, noch nie hat sie mit jemandem gesungen, den sie so verehrt. Es läuft gar nicht gut. Ihre Phrasierungen wirken unsicher und tastend. „Ich verschwende Ihre Zeit“, sagt die Sängerin und es sieht fast so aus, als wolle sie gehen. Doch ihr charmanter 84-jähriger Duettpartner redet ihr ruhig und aufmunternd zu. Es funktioniert, sie fängt sich, singt besser.
Wie die Stimmen der beiden in der letzten Zeile perfekt zusammenschwingen, gehört zu den bewegendsten Momenten des Dokumentarfilms „Amy“, der nach seiner Cannes-Premiere und dem Start in England nächste Woche auch in die deutschen Kinos kommt. Regisseur Asif Kapadia verwendete für die Duett-Szene Teile eines bereits seit Jahren im Netz kursierenden Videomitschnitts von der Session in den Londoner Abbey Road Studios. Dass die Aufnahme erneut eine so starke Wirkung entfacht, liegt am Kontext der vorausgegangenen „Amy“-Filmstunde, die größtenteils von den Drogen- und Alkoholproblemen der Sängerin handelt. Das alles ist wie ausgelöscht, als das immense Talent der jungen Frau noch einmal aufblitzt.
Winehouse trifft an diesem Tag – sie wirkt gesund und kraftvoll – noch einmal ihre erste große musikalische Liebe: den Jazz. Wie damals als sie Sarah Vaughan, Frank Sinatra und Tony Bennett hörte und im National Youth Jazz Orchester sang. Sie brennt wieder dafür, träumt davon, mit dem Roots-Schlagzeuger Questlove, dem Gitarristen und Sänger Raphael Saadiq und ihrem Freund Mos Def eine Jazz-Supergroup zu gründen. Sofort wünscht man sich, zu hören, welche Musik diesen vier brillanten Köpfen zusammen eingefallen wäre. Doch schon wird Winehouse im Film in eine ganz andere Richtung gezerrt – sie soll wieder auf Tour gehen. Es widerstrebt ihr so sehr, dass sie sich besinnungslos betrinkt, um nicht fahren zu müssen. Sie wird trotzdem in ein Flugzeug verfrachtet, der berüchtigte letzte Auftritt in Belgrad folgt.
Der Film ist ein gigantisches Video-Puzzle
Es ist sehr suggestiv wie Asif Kapadia diesen Jazzträume-versus-Tourverpflichtungen-Konflikt im letzten Viertel seiner Dokumentation aufbaut. Immer wieder hat „Amy“ diesen Effekt, dass dem Publikum etwas nahegelegt wird, ohne dass es ihm allzu explizit aufgedrängt wird. Diese Subtilität rührt größtenteils daher, dass Kapadia wie schon bei seiner preisgekrönten Dokumentation „Senna“ über den 1994 tödlich verunglückten Rennfahrer Ayrton Senna fast ausschließlich Bildmaterial aus dem Leben seiner Hauptfigur zeigt. Es gibt weder einen Voice-Over-Kommentar noch die üblichen Weggefährten-Interviews in Studios oder auf heimischen Sofas. Stattdessen sind die von Kapadia befragten Freundinnen, Musiker, Familienmitglieder, Manager und Ärzte lediglich zu hören, dazu sind Bilder aus ihrer Vergangenheit zu sehen.
„Amy“ ist ein gigantisches Video-Puzzle, für das Kapadia und sein Team rund 100 Interviews führten und 1500 Stunden Bildmaterial sichteten. Die Qualität vieler im Film verwendeter Privataufnahmen ist mäßig bis schlecht, doch Intimität und Exklusivität sind dem Regisseur, der genau wie Winehouse in Nord-London aufgewachsen ist, wichtiger als gute Ausleuchtung oder ruhige Kameraführung. Großes Kino ist die von einem unglaublichen Montage-Aufwand geprägte Dokumentation deshalb nicht, zur heutigen Dauerknipser-Digitalkultur passt der Ansatz dafür umso besser. Wackel-Clips gehören zum Alltag und dass jeder Handykamera-Schnipsel im Netz landen kann, weiß vom Grundschulkind bis zum Promi inzwischen jeder. Weil die Unschuld von Privataufnahmen seit den Super 8-Zeiten kontinuierlich ab- und ihre Präsenz in den Medien zugenommen hat, ist ihre verstärkte Verwendung in Dokumentarfilmen nur logisch. Geht man so konsequent wie Asif Kapadia vor, nivelliert sich dabei auch der Schlüsselloch-Effekt. Dieser war etwa bei der Kurt Cobain-Dokumentation „Montage Of Heck“ deutlich größer. Darin wurden nur einige Home-Videos von Courtney Love verwendet, die kaum eine neue Erkenntnis produzierten, dafür aber die Cobain-Deutungshoheit der Witwe umso eindrucksvoller demonstrierten.
Das wertvollste Material für „Amy“ steuerte ihr erster Manager Nick Shymansky bei. Kapadia bezeichnet ihn als eine Art Schlüsselfigur für den Film. Ohne sein Vertrauen und seine Aufnahmen aus Amy Winehouses Anfangszeit hätte er seinen Film vielleicht gar nicht drehen können. Shymansky ist 19 als er die 16-jährige Musikerin kennenlernt. Nachdem er sie überzeugt hat, ihn als Manager zu engagieren, begleitet er sie zu Auftritten, filmt sie unterwegs, backstage und auf der Bühne. Zu sehen ist eine witzige, aufgeweckte junge Frau, die noch ohne Tattoos, Beehive und das aufwändige Augen-Make-Up auftritt. Sie begleitet sich selbst auf der Gitarre und verfügt bereits über diese unverkennbare, kraftvolle Stimme.
Das Debüt verkauft sich eine Million Mal
Als Winehouse 20 Jahre alt ist, erscheint ihr Debütalbum „Frank“, das sie in ihrer Heimat berühmt macht, sich eine Millionen Mal verkauft und mit dem Mercury Prize ausgezeichnet wird. Sie zieht nach Camden, eine neue Zeit beginnt, in der sie viel ausgeht, trinkt und sich ihren neuen Sixties-Look zulegt. Vor allem aber lernt sie Blake Fielder-Civil kennen. Er ist ein Aufreißer und Feierbiest. Die beiden haben eine Affäre, die er irgendwann beendet. Verzweiflung, Alkoholexzess, Zusammenbruch – ein Muster, das Winehouse nicht das letzte Mal durchläuft. Nick Shymansky drängt sie, eine Entziehungskur zu machen, sie weigert sich. Es ist genau so, wie sie später in der Eröffnungszeile ihres Hits „Rehab“ singen sollte: „They tried to make me go to rehab/ But I said no, no, no!“ Statt auf ihren Freund und Manager, den sie in der Folge auswechselt, hört sie auf ihren ebenfalls im Song verewigten Vater. Der glaubt, sie brauche keine Kur.
Der Taxifahrer Mitch Winehouse hatte sich von Amys Mutter Janis getrennt, als seine Tochter neun Jahre alt war. Er habe das Gefühl gehabt, sie sei schnell darüber hinweggekommen, sagt er im Film. „Er war nie da, wenn es wichtig war“, sagt sie. Dass ihr bereits mit 13 Antidepressiva verschrieben wurden, spricht auch nicht gerade für eine glückliche Kindheit. Asif Kapadia geht auf diesen Lebensabschnitt nur knapp ein. So erfährt man kaum etwas über ihre musikalischen Anfänge, ihr älterer Bruder wird überhaupt nicht erwähnt. Einige erhellende Schlaglichter liefert allerdings Mutter Janis, die sich unter anderem erinnert, wie Amy ihr als Teenagerin von ihrer neuen Diät erzählt: alles essen und sich dann erbrechen. Dass ihre Mutter, die Apothekerin ist, diese glasklare Bulimie-Beschreibung ignorieren konnte, erscheint unfassbar. Die Sängerin sollte bis zu ihrem Tod im Juli 2011 mit der Essstörung kämpfen.
Wahnssinnspirale aus Ruhm, Drogen, Klatsch
Nach der Rehab-Verweigerung geht Winehouse in die USA und nimmt zusammen mit Mark Ronson ihr Neo-Soul-Meisterwerk „Back In Black“ auf. Auch hier hätte man gern etwas mehr über die Hintergründe und die Studioarbeit erfahren. Schließlich handelt es sich um eine der einflussreichsten Platten der nuller Jahre, einen modernen Klassiker, der Winehouse weltweit bekannt machte. Immerhin hat er eine sehr schöne Sequenz von der Gesangsaufnahme des Titelsongs integriert.
Die Musik tritt in der zweiten Hälfte des Films immer weiter zurück, denn nun beginnt die Wahnsinnsspirale aus Ruhm, Drogen und Klatschskandalen. Jetzt wo das Geld fließt, treten Blake Fielder-Civil und Mitch Winehouse wieder auf den Plan. Dass beide nicht gut für die Sängerin sind, sie ihnen aber auf fatale Weise verfallen ist, wird überdeutlich in „Amy“. Fiedler-Civil, mit dem sie zwei Jahre verheiratet ist, gibt zu, dass er sie mit harten Drogen bekannt gemacht hat.
Und ihr Vater kommt in einer der gruseligsten Szenen des Films mit einem Fernsehteam auf eine Insel, auf der seine Tochter Erholung und Ruhe vor den Paparazzi-Horden sucht. Kapadia benutzt extrem viel von genau diesem Blitzlichtgeflacker-Material, um zu illustrieren, wie unerträglich die Situation für Winehouse war. Dass ausgerechnet ihr Vater, der sich in britischen Medien lächerlicherweise über „Amy“ beschwert hat, ihre Privatsphäre derart verletzt, ist ein schrecklicher Verrat. „Why have you done this to me?“, ruft sie ihm entgegen. Hätte sie ihn bloß fortgejagt und einen Song darüber geschrieben.
Nadine Lange
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