Kultur: Der letzte Crooner
Tony Bennett im Berliner Admiralspalast.
Am rührendsten ist er, wenn er leise wird. Wenn er den Druck rausnimmt, das Dauerlächeln dimmt, die Brüchigkeit seiner Greisenstimme zulässt, das Mikro mit beiden Händen wie den allerletzten Strohhalm umklammert. Hinter sich die Bühnenschwärze, neben sich im Scheinwerferkegel nur den stoischen Gitarristen mit der Jim-Jarmusch-Film-Mimik. Ein paar Intro-Akkorde und Tony Bennett singt zart „Some day when I’m awfully low / When the world is cold / I feel a glow just thinking of you / And the way you look tonight.“ Mehr braucht es nicht, und jeder Widerwille gegen die von einer Kamarilla seelenloser Barpianisten totgedudelten Standards vergeht. Dafür erstehen glanzvolle Welten vor dem geistigen Auge. Fred Astaire und Ginger Rogers, für deren Musical „Swing Time“ Jerome Kern und Dorothy Fields 1936 den Song schrieben, Frank Sinatra, der ihn zum Hit machte, John Coltranes Version – das ganze gute alte Amerika der Crooner und Jazzer, dessen letzter Überlebender dieser Mann ist.
Am Freitag wird Tony Bennett 86 Jahre alt. Der Auftritt am Mittwoch ist sein einziges Konzert in Deutschland auf einer ausgedehnten Europatour. Der Superstar, der 1962 den ersten und 2011 den letzten seiner 17 Grammys gewann, der 2011 mit seinem Album „Duets II“ auf Platz eins der Billboard Charts landete, der 50 Millionen Tonträger verkauft und mit Judy Garland und Lady Gaga gesungen hat – er wird auf der ganzen Welt verehrt. In der gut gewählten rotgoldenen Eleganz des Berliner Admiralspalastes vor 1500 Leuten, darunter viele englische Muttersprachler, einheimische Musikprominenz und Unter-Fünfzigjährige, denen altmodisches Entertainment, wie Bennett es kompromisslos pflegt, offensichtlich etwas zu sagen hat. Zuerst kommt im Vorprogramm seine hingebungsvolle Tochter Antonia auf die schlichte, von schwarzen Stoffbahnen eingerahmte Bühne. Schick anzusehen und gut bei Durchschnittsstimme liefert sie einen 20 Minuten langen Block Great American Songbook in Aspik – routiniert abgespulte Nummern wie Johnny Mercers „Too Marvelous For Words“ oder „Embraceable You“ von George und Ira Gershwin.
Dann der ersehnte Moment. Das Saallicht flammt auf, die Legende erscheint und räumt die erste von vielen stehenden Ovationen ab. Tony Bennett trägt elfenbeinernes Dinnerjacket zu dunkler Hose und steigt mit „Watch What Happens“ in die 70 Showminuten ein. Trotz seines Strahlens sind ihm die mehr als 60 Jahresringe im Gesangsgeschäft deutlich anzuhören. Er muss Anlauf nehmen, um sein volles Volumen zu erreichen. Und plötzlich ist es dann wie von alleine da. Was er früher an Charakter dem sonoren Bariton von Frank Sinatra nachstand, hat er mit seiner aufgerauten Altersstimme jetzt nachgeholt. „They All Laughed“, „Maybe This Time“, „I Got Rhythm“ – ein Evergreen folgt dem nächsten. Häufig zu kurz, geradezu medleyhaft angespielt, was den Abend viel Tiefe kostet.
Tony Bennett singt nur alte Songs, „weil er die neuen nicht mag“, wie er auf der Bühne unter zustimmendem Jubel seiner Fans bekennt. Er erzählt Anekdötchen von Bob Hope, der dem italienischstämmigen New Yorker Selfmademan aus kleinen Verhältnissen einst seinen Künstlernamen verpasste, von Charlie Chaplin, der ihm einen Dankesbrief schrieb. Er applaudiert dem Publikum. Er tritt bei den Soli seines hervorragenden Quartetts aus heißkalten Jazzhunden (Lee Musiker, Piano, Gray Sargent, Gitarre, Marshall Woods, Kontrabass und Harold Jones – Count Basies Lieblingsschlagzeuger, wie Tony Bennett ihn vorstellt) höflich zur Seite. Er spult sein Gestenrepertoire aus salutierenden Grüßen, erhobenen Daumen und aufmunternden Klapsen für die Luft und das Leben ab. Ein alter Sänger, der staunen macht, weil er so gerne glücklich sein will. Gunda Bartels
Gunda Bartels
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