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Posthumes Album von Amy Winehouse: Tränen trocknen

Im Juli starb Amy Winehouse. Jetzt erscheint ihr Album „Lioness: Hidden Treasures“. Darauf: bekannte Coverversionen und einige unbekannte Songs.

Der Pop lässt seinen Toten keine Ruhe. Sie müssen ewig weiter singen, dazu sind Elvis, Jimi Hendrix, John Lennon und Tupac Shakur verdammt. Auf letzte folgen allerletzte Alben, die Plattenlabel graben aus, was die Archive hergeben, und wenn alle Previously-Unreleased- und Best-of- Platten verkauft sind, dann werden Gesangsfragmente mit posthumer Begleitung unterlegt. Bei Amy Winehouse liegt der Fall anders. Die erste große Pop-Tote des neuen Jahrhunderts galt bereits zu Lebzeiten als Unvollendete. Zwei Alben mit insgesamt 24 Stücken, größer war ihr Werk nicht. Zwar wurde immer wieder berichtet, dass auf ihr 2006 erschienenes Meisterwerk „Back To Black“ und nach insgesamt mehr als 15 Millionen verkauften Platten „bald“, „demnächst“ oder „in Kürze“ ein neues Album folgen werde, doch die Hoffnung darauf ging den meisten Fans irgendwann verloren.

Statt im Feuilleton tauchte Winehouse nur noch in der Klatschspalten auf, sie machte mit abgebrochenen Drogentherapien, Auseinandersetzungen mit ihrem Exgatten und missglückten Auftritten Schlagzeilen. Unterdessen zogen weniger exzentrische Nachfolgerinnen wie Adele, Duffy oder Rumer mit einem von ihr inspirierten Neo-Soul in den Charts an der Taxifahrertochter aus Nordlondon vorbei.

So lässt sich die berühmte Zeile „No, no, no“ aus ihrem Hit „Rehab“ nicht nur als Weigerung, in eine Entzugsklinik zu gehen, sondern auch als Absage an die Musikindustrie verstehen. Am Freitag kommt, ein knappes halbes Jahr nach dem Tod der Sängerin und pünktlich zum Weihnachtsgeschäft, doch noch ein neues Album heraus. Es heißt „Lioness: Hidden Treasures“, und der Hinweis auf die „verborgenen Schätze“ lässt ahnen, dass es sich statt um das lang erwartete finale Studiowerk eher um einen Steinbruch von musikalischen Ideen handelt, Demos, Kooperationen und Zweitversionen. Einiges davon klingt trotzdem großartig.

Welch eine Stimme, denkt man, wenn Winehouse in dem mit Questlove von The Roots entstandenen Song „Halftime“ ihr Organ spreizt, stoppt und zerstückelt, Gesangsgirlanden um Funkrhythmen wickelt. „Rhythm floods my heart / The melody it feeds my soul / The tune tears me apart“, singt sie. Eine von der Musik überwältigte Soul-Sucherin, eine Zerrissene. Was für eine Band, denkt man, wenn in „Will You Still Love Me Tomorrow“, dem von Carole King geschriebenen Klassiker, gestochen scharfe Bläsersätze zu Amys Falsettgesang einsetzen, der Sixties-Bass pumpt und Kastagnetten klappern.

Den Teenagerdramen vom Verlieben und Verlassenwerden aus der Jukebox- Ära noch einmal neues Leben einzuhauchen, dafür war die Frau mit der Bienenkorbfrisur eine Idealbesetzung. Sie hatte mit Mark Ronson, der „Back To Black“ mit hauptsächlich von Winehouse selbst stammenden Stücken produzierte, und den New Yorker Dap-Kings als Begleitband allerdings auch genau die richtigen Partner. Zwei Titel von „Back To Black“ tauchen auf „Lioness“ noch einmal auf, „Wake Up Alone“ und „Tears Dry“ sowie der ebenfalls von Ronson bearbeitete Hit „Valerie“, die letzten beiden in schönen, deutlich balladenhafteren Versionen.

Ihr erstes Album „Frank“ hatte Winehouse 2003 nach Sinatra benannt. Damals war sie auf der Suche nach ihrem Weg zwischen Jazz und Pop, entsprechend unspektakulär wirkte das Ergebnis. Als Jazzsängerin hätte sie es allenfalls zu gehobenem Durchschnitt gebracht, das zeigt sich auf „Lioness“ in einem Cover von „Girl From Ipanema“, wo sie zu einer zerfasernden Bossa-Begleitung aus Akustikgitarre und hallenden Synthesizern sogar scattet.

Ihr letztes Stück nahm Amy Winehouse im März 2011auf, „Body and Soul“ als Duett mit dem Crooner-Veteranen Tony Bennett. Ein Aufeinandertreffen, das im gediegen-altmodischen Arrangement mit Streichern und Piano keine Funken sprühen lässt. Am besten war die „Löwin“ immer dann, wenn sie mit souverän beiläufigem Gesang auf Halbdistanz zu ihren Songs ging. „You Know I’m No Good“, versicherte sie. Das war stark untertrieben.

Christian Schröder

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