Personalwechsel bei der SPD: Genossen ohne Gnade
Andrea Nahles' Abgang hat erneut deutlich gemacht, wie unbarmherzig die SPD mit ihrem Spitzenpersonal umgeht. Woher kommt diese Zerstörungslust?
Sieben auf einen Streich. Seit dem 22. November 2005 ist Angela Merkel Bundeskanzlerin. Die SPD brachte es in dieser Zeit auf sieben Parteivorsitzende. Nun sucht sie einen achten. Die "taz" titelte am Montag: "Scheißjob zu vergeben".
Die Rotation im Hamsterrad der Genossen begann mit Matthias Platzeck, sechs Monate blieb er im Amt. Franz Müntefering hatte ihm bescheinigt, "Kreisklasse" zu sein. Psychisch und physisch zermürbt gab Platzeck auf. Es folgte von 2006 bis 2008 der Pfälzer Kurt Beck, der intern als Tölpelhans verspottet wurde, Stichwort: Schwielowsee. Dann kam, kommissarisch für zwei Monate, Frank-Walter Steinmeier. Er fuhr als Kanzlerkandidat ein Jahr später bei der Bundestagswahl 2009 für seine Partei mit 23,3 Prozent ihr bis dahin schlechtestes Ergebnis ein.
Auf Steinmeier folgte Franz Müntefering, der den SPD-Vorsitz einst als "schönstes Amt neben dem Papst" bezeichnete. Müntefering war gleich zweimal SPD-Chef. Im Jahr 2005 hatte er das Handtuch geschmissen, weil Andrea Nahles gegen seinen engen Vertrauten Kajo Wasserhövel um das Amt des Generalsekretärs kandidiert und die Wahl gewonnen hatte. Nahles wurde damals "Münte-Meuchlerin" genannt.
Am längsten hielt es, von 2009 bis 2017, Sigmar Gabriel an der Spitze der Partei aus. Seitdem gibt er Außenminister Heiko Maas von diesem unerbetene Ratschläge, wie deutsche Außenpolitik auszusehen habe. Auf Gabriel folgte Martin Schulz, der es in nur einem Jahr von null auf hundert und zurück auf null geschafft hatte.
Und schließlich Nahles, die als "Trümmerfrau" die Partei nach dem Wahldebakel von 2017 wieder aufbauen sollte. Nach 14 Monaten hat nun auch sie hingeschmissen, ist vom Partei- und Fraktionsvorsitz zurückgetreten und legt ihr Bundestagsmandat nieder. Deutlicher lässt sich nicht dokumentieren, wie tief die Kränkungen sitzen müssen. Wer sogar auf sein Mandat verzichtet, vollzieht einen radikalen Bruch, der nur noch durch eins getoppt werden kann - den Parteiaustritt.
Es verblüfft die Intensität, es erstaunt die Skrupellosigkeit
Politik ist brutal, jedenfalls kann sie es sein. Brutus bringt Cäsar um, Macbeth wird zum Königsmörder. Und ob bei William Shakespeare oder in "House of Cards, bei "Designated Survivor" oder in "Marseille": Intrigen und Machtrankünen faszinieren das Publikum seit jeher. Insofern: Nichts Neues unter der matten SPD-Sonne.
Dennoch verblüfft die Intensität, mit der sich die Genossen in kurzen Abständen zerfleischen, erstaunt die Skrupellosigkeit, mit der ehemalige Amtsinhaber ihr eigenes Ding durchziehen. Gerhard Schröder robbt sich als Bundeskanzler erst an Wladimir Putin heran, um dann nach der Wahlniederlage einen gut dotierten Job beim halbstaatlichen Russenkonzern Rosneft zu übernehmen. "Das ist mein Leben, nicht eures", sagt er dazu. Außerdem wirbt er, wen wundert's, trotz Krim und Ukraine für innige Beziehungen zum Putin-Regime.
Zum Dank dafür demontieren die Genossen Schöders Haupt-Erbe, die Reformen der Agenda 2010. Nach und nach und Stück für Stück distanzieren sie sich von der einzigen innenpolitischen Leistung ihres ehemaligen Kanzlers. Deutschland hat die niedrigste Arbeitslosigkeit seit Jahrzehnten, die Steuereinnahmen sprudeln, doch weil die Sozialdemokraten den Begriff "Hartz IV" haben toxisch werden lassen, klopft sich allein die Union dafür auf die Brust.
Oskar Lafontaine hatte das wohl geahnt, als er sich mit Schröder überwarf und seine Partei verriet, um eine Konkurrenzpartei zu gründen. Legendär, weil ebenso niederträchtig, ist Lafontaines Kommentar zu den von Bundeskanzler Helmut Schmidt gepriesenen "Sekundärtugenden" Pflichtgefühl, Berechenbarkeit und Machbarkeit. Damit könne man "auch ein KZ betreiben", höhnte der Saarländer.
Sind andere Parteien weniger schäbig?
Die SPD ist mit 156 Jahren die älteste deutsche Partei. Sie hat vor hundert Jahren für die Weimarer Demokratie gekämpft, viele ihrer Mitglieder wurden von den Nazis verfolgt und ermordet. Anstand, Respekt, Zusammenhalt: Müssten das nicht ursozialdemokratische Tugenden sein? Stattdessen liegen Heckenschützen auf der Lauer. Verachtung, Missgunst und Selbstüberhöhung dominieren.
Sind andere Parteien weniger schäbig? Wie Angela Merkel und Wolfgang Schäuble Helmut Kohl abservierten, war auch nicht gerade fein. Und dass die CSU jahrelang den Ungarn Viktor Orban hofierte, dessen Fidesz-Partei antisemitische Parolen verbreitet, war widerlich. Aber was die Enthauptung ihres Spitzenpersonals anbelangt, kennen viele Genossen weder Gnade noch Barmherzigkeit. Ihre Zerstörungs- und Verletzungslust trägt durchaus masochistische Züge.
Am 7. Mai 1973 trat Willy Brandt zurück, nachdem sein Parteireferent Günter Guillaume als Stasi-Spitzel enttarnt worden war. Zwei Jahre zuvor hatte die SPD mit 45,8 Prozent der Stimmen das beste Ergebnis ihrer Geschichte erzielt. Doch die Autoritätsdemontage Brandts setzte da bereits ein.
Selbstentleibung der Partei
Im Dezember 1973 wird Brandt auf dem "Spiegel"-Titel als verwittertes Monument dargestellt. In der dazugehörigen Geschichte werden Pläne sozialdemokratischer Widersacher Brandts kolportiert, den Kanzler zu stürzen. Kurz zuvor hatte Günter Grass gemeint, Brandt sei lustlos, seine Koalition im "Schlafmützentrott", und sie verströme eine "lähmende Selbstgefälligkeit". Herbert Wehner, Brandts prominentester Kritiker, schimpfte bei einem Besuch in Moskau, der Kanzler sei "entrückt", "abgeschlafft" und bade "gern lau". Schon vor der Guillaume-Affäre, wird Brandt sich später erinnern, sei die Luft, die er atmete, dünn geworden.
Ähnlich illoyal verhielten sich Sozialdemokraten, allen voran Herbert Wehner und Horst Ehmke, gegenüber Helmut Schmidt in der Nachrüstungsdebatte. Dem im Dezember 1979 von der Nato gefassten Doppelbeschluss - falls Verhandlungen mit Moskau ergebnislos bleiben, werden wegen der sowjetischen Raketenrüstung amerikanische Mittelstreckenwaffen in Europa stationiert - stimmte der Berliner Parteitag noch im selben Jahr zu. Kurze Zeit später aber formierte sich die Gegnerschaft. Im Mai 1981 forderten 10 000 SPD-Anhänger im "Vorwärts" die "Rücknahme des Nato-Beschlusses". Ein tiefer Riss ging durch die SPD. Am 1. Oktober 1982 wurde Schmidt über ein konstruktives Misstrauensvotum gestürzt.
Brandt, Schmidt, Schröder. Die Nachkriegsgeschichte der SPD lässt sich als Selbstentleibung der Partei erzählen. Ausgedehnt wurde dieser Prozess später auch auf die Vorsitzenden. Von Platzeck über Beck zu Schulz und Nahles. Manchmal ist in diesen Tagen zu hören, Personalwechsel lösten nicht die Probleme der SPD. Vielleicht verursachen sie sie sogar.