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Die SPD-Fahne auf dem Willy-Brandt-Haus in Berlin.
© Paul Zinken/dpa

Nach dem Nahles-Rücktritt: Diese Woche entscheidet über die Zukunft der SPD

Die Sozialdemokratie stürzt ab. Wenn sie überleben will, muss sie aufhören, sich um sich selbst zu sorgen. Und anfangen, Probleme zu lösen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Es wird immer größer, das Thema. Immer größer, je kleiner die Partei wird. Diese ruhmreiche, mehr als anderthalb Jahrhunderte alte, in ihrer Geschichte staatstragende Partei Deutschlands: die SPD. Sie fällt und fällt und fällt – ins Bodenlose? Nach dem Rücktritt von Andrea Nahles bricht eine für sie richtungweisende Woche an, in der sich vieles, wenn nicht alles entscheiden kann.

Die SPD war einmal Volkspartei mit Ergebnissen über 40 Prozent im Bund und absoluten Mehrheiten in den Ländern. Heute ist sie in etlichen Ländern einstellig in der Wählergunst und bundesweit bei gerade einmal zwölf Prozent. Das Volk wendet sich ab, die Jungen vor allem, aber auch viele der anderen, von denen die Partei wohl dachte, sie blieben ewig: Arbeitnehmer. Progressive. Sozial Gesinnte. Der Rücktritt einer Person, und sei es die an der Spitze, ist noch kein Programm.

Nichts währt ewig in der Politik. Die Grünen, entstanden in der Kanzlerschaft Helmut Schmidts, gewachsen aus der Umwelt- und Friedensbewegung, liegen inzwischen an der Spitze; bei der Frage nach der politischen Kompetenz gleichauf mit der Union. Je 17 Prozent trauen den Grünen und CDU/CSU zu, mit den Problemen in Deutschland am besten fertigzuwerden. Und der SPD? Nur noch drei von 100 Wahlberechtigten.

Die SPD-Führung muss sich öffnen

Verdienste ums Gestern sind Geschichte. Die Sorgen ums Morgen grassieren, gerade dort, wo die SPD zu Hause ist. Sicherheit wollen die Menschen in der Mitte der Gesellschaft, soziale, innere, äußere. Finanzielle. Sie hören die Pläne der SPD, hören Reichensteuer, Rentensteuer, Kerosinsteuer, CO2-Steuer, und sind verstört. Wo doch schon der Facharbeiter, Single, bei einem Einkommen von 55 000 Euro jährlich den Spitzensteuersatz zahlt; und wo doch der Steuerzahler letztes Jahr insgesamt 776 Milliarden Euro an Bund, Länder und Gemeinden überwiesen hat.

Die Menschen wollen in einer Welt im Umbruch nicht verlieren, was sie sich hart erarbeitet haben. Die Antworten der SPD werden nicht gehört, nicht verstanden – aber der Streit ums Personal ist unüberhörbar. Er wird verstanden als das, was er ist: die Sorge um sich selbst, um Karriere, Einfluss, Amt. Wenn das nicht aufhört …

Dabei ist es unbestreitbar, dass die SPD-Führung mit mehr Menschen als sich selbst zusammenarbeiten muss. Sie muss sich öffnen, um denen, die sie erreichen will, einen modern-demokratischen, parlamentarisch legitimierten alternativen Gesellschaftsentwurf vorlegen zu können. Sie muss attraktiv sein, damit sich Quereinsteiger und Junge in ihr engagieren wollen – weil sie es können. Derzeit wollen es wenige. Weil sie es nicht können.

Die Fünfprozenthürde kommt in Sicht

Einer der großen Alten der SPD, Hennig Scherf, rät, einen Ort zu schaffen, an dem sich Nichtmitglieder zu Wort melden und auch durchsetzen können. Das ist doch eine gute Idee; so werden sie immerhin zu Nochnichtmitgliedern. Wenn die Parteiführung auf sie hört. Und aufhört, das „große Gespräch der Gesellschaft“, zu dem ihr Willy Brandt in seiner Kanzlerschaft schon vor 50 Jahren riet, vor allem mit sich zu führen. Die Partei wurde unter Brandt mit 45,8 Prozent gewählt.

Heute fällt und fällt sie. Dabei hätte die SPD eine Aufgabe: 55 Prozent im Volk trauen keiner Partei zu, die Probleme zu lösen. Den Beweis, dass sie es kann, muss ihre neue Führung antreten. Diese Woche. Wenn die Fünfprozenthürde in Sicht kommt, ist es zu spät.

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