Mit Wonder Woman in die Totenwelt: Friede, Freude, Eingeweide
Comiczeichner Bela Sobottke genießt die Postapokalypse mit einer Comic-Heldin, die man so noch nicht gesehen hat.
Gibt es eigentlich zur Zeit einen erhöhten Bedarf an apokalyptischen und postapokalyptischen Fiktionen? Ich habe zum Beispiel kürzlich George A. Romeros Pandemie-Klassiker "Dawn of the Dead" gesehen. Und obwohl ich diesen Film bestimmt schon zwei Dutzend mal betrachtet habe, empfand ich ihn diesmal, mitten in der Corona-Pandemie, anders: Der soziale Subtext wirkte aktueller und grimmiger.
Ich ging gestärkt aus dem Heimkinoabend hervor: Schließlich konsumieren wir fiktiven Horror, um den realen Horror besser verarbeiten zu können. Hat noch jemand Bedarf an Katharsis? Dann folgt mir in die Tote Welt!
Irgendwann in der Zukunft ist unsere Erde zu einem wüsten Ort geworden. Mutierte Monster dezimieren die letzten überlebenden Menschen. Mitten hinein platzt Wonder Woman, nach jahrzehntelangem Tiefschlaf in einer Kryostase-Kapsel.
Kaum erwacht, besteht Ihre erste Amtshandlung zu Beginn von "Wonder Woman: Dead Earth" darin, ein fieses Riesenbiest auszuweiden und ein kleines Häuflein Menschen zu retten.
Natürlich fühlt sich unsere dienstälteste (seit 1941) und empathischste Superheldin nun verpflichtet, den Rest der Menschheit in eine bessere Zukunft zu führen. Obwohl die Menschen, die den Planeten sehenden Auges in die Katastrophe führten, und auch Wonder Woman zunächst versklaven und dann umbringen wollen, das eigentlich nicht verdient haben.
Die sonst makellose Heldin erscheint hier brachial und zerknittert
Wonder Woman wird hier von Zeichner Daniel Warren Johnson komplett auf links und durch den Wolf gedreht. Noch nie haben wir die üblicherweise erhaben, strahlend und makellos gezeichnete Heldin so brachial und zerknittert erlebt.
Die auf vier Alben angelegten Erzählung "Wonder Woman: Dead Earth", von der nun das erste Album auf deutsch erschienen ist (Panini, 48 Seiten, 13,- €), wird in den USA beim Verlagsriesen DC unter dem Imprint "Black Label" veröffentlicht, das alles versammelt, was nicht für Kinder ist: Horror-Comics und eigenwillige, außerhalb der ermüdenden Kontinuität stehende Interpretationen von Superhelden.
Kleiner Exkurs: Der Name "Black Label" für Comics der ungewöhnlichen und / oder härteren Gangart ist so genial wie naheliegend. Ich selbst habe 1996 mit meinem damaligen Mitstreiter Baris ein handgetackertes Heft namens "Black Label No.1 " herausgebracht, das wir auf Partys verkauften, und das eine Comic-Dynastie begründen sollte, über die initiale Ausgabe aber nicht hinaus kam.
Der amerikanische Verlag Chaos! Comics schnappte sich kurz vor seinem Konkurs 2002 die Bezeichnung "Black Label" und brachte noch ein paar Comics unter diesem Imprint heraus.
Zwerchfell, einer der ältesten Independent-Verlage Deutschlands, veröffentlichte dann Anfang der 2010er Jahre eine kleine, aber feine Reihe namens "Black Label".
Ob dieses dreisten Namens-Diebstahls zog ich damals in Erwägung, meine Knochenbrecher beim House of Zwerch vorbeizuschicken. Ich sah dann aber davon ab, denn mit den Zwerchfell-Bossen Dinter und Tauber legt man sich besser nicht an. Zuletzt hat nun also DC den Terminus "Black Label" annektiert. Ich habe inzwischen losgelassen, und gönne meinem Kind sein Eigenleben.
Vertrauen, Vertrauensverlust und Vergebung
Wie üblich bei guten Endzeitgeschichten wird auch in "Wonder Woman: Dead Earth" anhand grotesk übersteigerter Exzesse vor aktuellen Fehlentwicklungen gewarnt. Diese Exzesse bereitet Daniel Warren Johnson so überzeugend auf, dass es ein wahres Vergnügen ist, ihnen zu folgen.
Die kinetischen Actionszenen sind am Manga geschult, während der Zeichenstil noch etwas ruppiger als in seinen Vorgängercomics ausfällt. Besonders auffällig sind die meisterlichen Seitenkompositionen: Jeder Einsatz eines seitenfüllenden Splashpanels ist mit Bedacht gewählt, jeder Ausbruch aus dem Bildrahmen hat einen aufrüttelnden Effekt. Da nutzt einer die ganze Klaviatur seines Handwerks.
Im Kern geht es bei "Wonder Woman: Dead Earth" wie schon in Johnsons Indie-Comic "Extremity" (erschienen bei Cross Cult aber leider inzwischen aus dem Programm genommen) um Vertrauen, Vertrauensverlust und Vergebung. Bei aller Brutalität wohnt dem Comic eine friedfertige Wärme inne, die zu Herzen geht. Perfekter Stoff, um den oben beschriebenen Bedarf an Katharsis zu stillen.
Unser Autor Bela Sobottke ist Grafiker und Comiczeichner und lebt in Berlin. Frühere Tagesspiegel-Artikel von ihm finden sich unter anderem hier, hier und hier. Er ist auf deftige Genre-Comics spezialisiert wie das im Juli erscheinende Album "Die Legende von Kronos Rocco".
Bela Sobottke
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