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Mit Armreifen gegen Pistolen. Wonder Woman, gezeichnet von Alex Ross.
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Comic-Superheldin: Stolz und Vorurteil

Wonder Woman ist eine Ikone. Aber warum? Und für wen? Antworten gibt dieser Blick in die Comicgeschichte, den wir aus aktuellem Anlass neu veröffentlichen.

Sie braucht keine PR-Berater und keinen Aufpasser. Sie braucht keinen Therapeuten und niemanden, der mit ihr Shoppen geht: Als Heldin und als Marke, als Frau und feministisches Symbol spielt Diana, Prinzessin der „Paradiesinsel“ Themyscira, seit 1941 eine Rolle, bis heute unsinnig selten. Sie weiß um ihre Stärke. Sie weiß um ihre Form. Sie ist ein Sinnbild für selbstbestimmte Frauen, für Kraft, Integrität, Verständigung, Verstand. Sie ist ein Sinnbild für gelebtes Potenzial.

Praktisch heißt das: Kein Mensch liest ihren Comic. Doch jedes Mal, wenn sich die monatlichen Abenteuer der Amazone neu ausrichten, halten Feministinnen und Redakteure den Atem an: Trifft diese Heldin noch einen Nerv? Spiegelt sie große Themen? Was bedeuten Dianas Erfolge (und, immer häufiger: ihre horrenden Misserfolge) für unser Frauenbild? Braucht die Welt eine Wonder Woman?

Das Problem ist ihr Slip

Im Sommer 2010, zum 600. „Wonder Woman“-Heft, trug Diana statt ihrem bekannten blauen Tanga eine enge, schimmernd schwarze Hose. Die New York Times schrieb ein großes Feature über diesen Kostümwechsel, das Internet 'explodierte' mit Glossen und Kritik. In Deutschland urteilte die 'Welt', Diana hätte einen „neuen Körper“ bekommen und sei damit „mehr Outfit und weniger Frau“ geworden: Nichts, das dieser Figur in den 25 Jahren davor widerfuhr, hat größere Reaktionen ausgelöst als ein Paar langer Hosen.

Premiere. In den "Sensation Comics" betrat Wonder Woman 1942 erstmals die Welt der Männer.
Premiere. In den "Sensation Comics" betrat Wonder Woman 1942 erstmals die Welt der Männer.
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Die Prinzessin, unsterblich, weise und stark, braucht einen PR-Berater, schimpfen ihre Nicht-Leser, sie braucht einen Aufpasser, einen Therapeuten und jemanden, der endlich mit ihr Shoppen geht! Denn früher (Wann?) hat Wonder Woman noch „etwas bedeutet“ (Was? Wem?), dann aber war ihr Stern beinahe versunken: Im DC-Verlag zählt Diana neben Superman und Batman zu den „großen Drei“, doch die Comic-Verkaufszahlen sprachen dagegen: Im täglichen Verkauf war Wonder Woman lange ein Relikt wie Garfield oder Popeye. Ein Charakter, den jeder kennt, aber der kaum jemanden interessiert.

„Batman und Robin“ und „Green Lantern“, die Top-Titel bei DC, setzen mehr als 100.000 Hefte um. Batman spielt eine Titelrolle in mehr als zehn verschiedenen monatlichen Reihen, Superman immerhin noch in drei bis fünf. Prinzessin Diana hat nur eine einzige Serie und findet selten mehr als 30.000 Leser. Auch ein „Wonder-Woman“-Trickfilm auf DVD (Rezension unter diesem Link) verkaufte sich 2009 so schlecht, dass Regisseur Bruce Timm nicht nur mögliche Fortsetzungen ausschloss, sondern auch eine geplante „Batgirl“-Verfilmung strich: Weibliche Hauptfiguren sind ein Thema für Blogger und das Feuilleton. Doch kein einziger Comic über eine Frau ist ein Massenerfolg. Die einzige Heldin in den Top 50 ist TV-Figur Buffy – auf Platz 27.

Das Problem sind ihre Fehltritte

„Mal ehrlich: Niemand kümmert sich wirklich um Wonder Woman“, schreibt Alicia Ashby in einer klugen, aber endlos frustrierten Analyse: „Es gab Phasen, in denen sie den Leuten mal irgendwie wichtig war. Aber es ist Wunschdenken, sie auf eine Stufe mit Batman und Superman zu stellen, nur, weil sie genauso alt ist.“ Ashby sieht überall erzählerische Schwächen: „Im besten Fall interessieren sich zwar Leute dafür, was Wonder Woman sein könnte – aber durch verlegerische Fehlplanung, bizarr schlechte Autoren und fehlenden Fokus einfach nicht ist.“

Das stimmt. Nach guten „Wonder Woman“-Abenteuern muss man lange suchen, und besonders die 192seitige Einführung „Wonder Woman: The Greatest Stories ever told“ nimmt jede Lust auf mehr. Dianas Geschichten sind, von ihren ersten Abenteuern 1941 bis in die Nullerjahre, oft so geist- und freudlos, dass man sich fragt: Wenn dieser uninspirierte Schund die Perlen sind – wie tief sind dann erst ihre Tiefpunkte?

Ohne Kostüm und ohne Superkräfte. Wonder Woman Ende der Sechziger.
Ohne Kostüm und ohne Superkräfte. Wonder Woman Ende der Sechziger.
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Warum trägt eine unsterbliche, fast unverwundbare altgriechische Amazone ein Metallbustier in Form des US-Bundesadlers, eine Tiara (wie eine Schönheitskönigin) und ein Höschen mit den Sternen der amerikanischen Flagge? Ist sie ein Vorbild für Frauen, ein Pin-up für Männer, eine große Schwester für Kinder? Oder einfach nur Superman mit langem Haar und Brüsten? Wo wohnt sie? Hat sie keinen Freund? Wo bleiben interessante Feinde wie der Joker und Lex Luthor? Und wofür kämpft sie – für Frauenrechte? Für Amerika? Für die humorlosen Amazonen auf ihrer magischen Insel?

Bis 2006 arbeitete „Buffy“-Schöpfer Joss Whedon am Drehbuch für einen „Wonder-Woman“-Kinofilm. Starlets wie Megan Fox und Beyoncé buhlten um die Hauptrolle. Doch jahrelang stockt das Projekt: Hollywood traute der Figur bis vor kurzem keine besondere Zugkraft zu.

Das Problem ist ihr Erfinder

Diana wurde von William Moulton Marston erfunden, einem Harvard-Psychologen und pädagogischen Berater von mehreren DC-Vorgänger-Verlagen. Marston war Erfinder des Polygraphen/Lügendetektors, propagierte Pazifismus und schuf mit „Wonder Woman“ seinen ersten und einzigen Comic: Er wollte für Kinder ein neues, lustvolles Rollenbild entwerfen.

„Unsere weiblichen Leitbilder haben so wenig Schwung, Stärke und Macht, dass nicht einmal Mädchen gerne Mädchen sind. Sie wollen nicht so sanft, unterwürfig und friedfertig sein, wie eine gute Frau zu sein hat. [...] Offensichtlich brauchen wir eine Figur mit all der Stärke Supermans und all der Anziehungskraft einer guten, schönen Frau.“ Marstons erster Namensvorschlag war „Suprema“ - eine Heldin für Mädchen und Jungen. „Ich möchte eine attraktive Frau zeigen, stärker als die Leser. Eine Frau, der sie sich unterwerfen und deren stolze, willige Sklaven sie sein wollen.“

Feministische Heldin. Gloria Steinems "Ms." widmete der Figur 1972 eine Titelgeschichte.
Feministische Heldin. Gloria Steinems "Ms." widmete der Figur 1972 eine Titelgeschichte.
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Marston selbst hatte zwei Kinder mit seiner berufstätigen Frau Elizabeth, aber im Haushalt lebte auch Olive Byrne, eine ehemalige Studentin: Sie hütete die Kinder, hatte mit beiden Partnern Sex und blieb, als Marston 1947 an Krebs starb, noch 40 Jahre lang die Lebensgefährtin seiner Witwe.

Simone de Beauvoir, Jean-Paul Sartre und ihre wechselnden Partner. Virginia Woolf, ihr Ehemann Leonard und die Geliebte Vita Sackville-West: Die Ehe der Marstons fand im selben Jahrzehnt statt und verhandelte dieselben Fragen um Feminismus und persönliche Freiheit. In diesen Lebensläufen steckt der Stoff für einen großen Roman, eine Verfilmung und eine Handvoll Oscar-Nominierungen. Nur eine Sache gab Marstons Leben nicht her: besonders gute Comics. Seine „Wonder Woman“ spielt in der künstlerischen C-Liga.

Das Problem ist ihr Mythos

Eine untersetzte Frau, auf jeden Bild dieselbe dümmliche, naive Überraschung im drallen Puppengesicht, fliegt als Botschafterin der Amazonen in einem unsichtbaren Flugzeug (!) durch die „Männerwelt“ und macht sich Feindinnen wie die laszive Riesin Giganta, die laszive Raubtierfrau Cheetah und die laszive antike Hexe Circe.

Pistolenkugeln prallen an Wonder Womans magischen Armschienen ab, und am Gürtel trägt sie ihren eigenen Lügendetektor, ein magisches „Lasso of Truth“, das jeden Gegner zwingt, die Wahrheit zu sagen – sobald er gut verknotet und gefesselt ist: Bondage und erotische Rollenspiele, glaubte Marston, halfen Männern wie Frauen, Geschlechtergrenzen zu überwinden und sich friedvoll zu unterwerfen. Darum bekommen in den Comics nicht nur Diana und ihre Amazonenschwestern ständig den Hintern versohlt – auch Dianas Schwarm, der Kampfpilot Steve Trevor.

Feine Details, aber im Stil der 80er Jahre. George Perez ist bis heute der beliebteste Wonder-Woman-Zeichner
Feine Details, aber im Stil der 80er Jahre. George Perez ist bis heute der beliebteste Wonder-Woman-Zeichner
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Als großer, blonder Soldat entspricht Trevor äußerlich dem Idealbild der 1940er, doch als Figur ist er passiv und unterwürfig, entschieden langweiliger als beispielsweise Lois Lane, Supermans große Liebe. Auch ein jugendlicher Sidekick, das pummelige College-Mädchen Etta Candy (ihre Eltern: Mr. Hard Candy und Mrs. Sugar Candy) hielt dem Zahn der Zeit schlecht stand.

Anfang der 1950er, nach einer großen Jugendschutzdebatte, wurden fast alle Horror-, Crime- und Heldencomics eingestellt. Ausgerechnet Wonder Woman hielt sich, als einziger DC-Held neben Batman und Superman. Vermutlich liegt das (auch) daran, dass die Rechte an der Figur an Marstons Erben zurück gefallen wären, sobald DC weniger als vier „Wonder Woman“-Hefte pro Jahr veröffentlichte. Mal monatlich, mal zweimonatlich dümpelte der infantile Comic über Jahre vor sich hin. Bis die Feministin Gloria Steinem ein Machtwort sprach.

Das Problem sind die Siebziger

1969, am Höhepunkt der Gegenkultur, waren Wonder Womans Verkaufszahlen so schlecht, dass Steve Trevor getötet wurde, Dianas Amazonen-Schwestern in eine andere Dimension umzogen (um „ihre Magie zu erneuern“) und Diana selbst unter ihrem bürgerlichen Alias „Diana Prince“ ganz ohne Superkräfte auszukommen lernte. Sie trug Catsuits, Overalls und schicke Kostüme, lernte Kung-Fu und erlebte Abenteuer wie Emma Peel aus „Mit Schirm, Charme und Melone“. Die Geschichten hatten wenig Tiefgang, aber einen gefälligen Flower-Power-Stil und wurden 2008, sehr selten für 40 Jahre alte Comics, in vier farbigen Sammelbänden neu aufgelegt.

1972 gründete Gloria Steinem das feministische Monatsmagazin „Ms“: „Wonder Woman for President“ forderte das Cover der ersten Ausgabe, und im Innenteil (und einer separat verlegten „Wonder Woman“-Anthologie, in der Steinem ihre persönlichen Lieblings-Abenteuer nachdrucken durfte) bat sie DC, Diana ihre Superkräfte zurück zu geben. Die Presse griff das Thema auf, der Verlag gehorchte, und die Siebziger wurden zu Wonder Womans bisher erfolgreichster Dekade.

1975 startete auf ABC eine „Wonder Woman“-Fernsehserie, billig und gut gelaunt, im Stil der grellbunten „Batman“-Serie (1966 bis 69) und Frauen-Action-Serien wie „Drei Engel für Charlie“ und „Die Sieben-Millionen-Dollar-Frau“ (beide ab 1976). Dianas TV-Auftritte machten sie zu einer Ikone für Grundschüler (bunt! laut! gewitzt!) und Schwule (tapfer! ehrlich! glamourös!), doch ihr Erfolg erschwerte lange eine ernsthafte Neuverfilmung.

Superman hatte in den 70ern und 80ern naive Kinofilme, in den 90ern einen epischen Comic-Tod und vier Staffeln lang Geschlechterkampf und Flirts in „Lois & Clark“ und jetzt, seit 2001, geschlagene zehn Staffeln „Smallville“. Batman hatte ab 1989 vier große Kinofilme, mehrere immens erfolgreiche Trickserien und seit 2005 Christopher Nolans intelligente „Dark Knight“-Trilogie. Nur Wonder Woman bleibt das Mädchen aus den 70ern.

Zwei gute Seiten hat dieser Erfolg trotzdem: Zum einen ist Diana in den USA noch immer als familienfreundliche Heldin bekannt, mit ähnlichem Vermarktungspotenzial wie Disneys Prinzessinnen. Zum anderen wird Serienstar Lynda Carter noch immer stark mit ihrer Rolle identifiziert: Die ehemalige Schönheitskönigin hat eine kluge, herzliche und überraschend würdevolle Art und gibt Wonder Woman bis heute ein menschliches Gesicht und eine mediale Stimme. Zur Feier der 600. Ausgabe schrieb sie: „Sie ist das 'geheime Selbst' jeder Frau – die schöne, furchtlose, unnachgiebige, mächtige Seite, die in uns allen steckt: Sie ist das Gegenteil eines Opfers. Die alleinerziehende Mutter mit mehreren Jobs, die übersehene Heldin, die engagierte Schwester, die loyale Tochter, die liebende Ehefrau. Sie ist der Inbegriff der befreiten Frau: Eine Frau, die von keiner ihrer gesellschaftlichen Rollen beherrscht und unterdrückt wird.“

Das Problem sind die Achtziger

Lesenswert und komplex werden Dianas Comic-Abenteuer trotzdem erst ab 1987: George Perez, Zeichner und Autor, ist einer der wenigen Künstler, der mit Vergnügen und großem persönlichem Einsatz an „Wonder Woman“ schrieb (und nicht von der DC-Redaktion in diese Reihe „strafversetzt“ wurde). Perez hat mehrere Stärken: Er recherchiert gut, gestaltet detailreiche Körper, Kostüme und Kulissen, er mag große Ensembles und komplexe Beziehungen und schafft damit Prinzessin Diana eine angemessen große Bühne. Dazu hat er sichtlichen Spaß: Auf dieses Papier, sieht man auf jeder Seite, floss Perez' Herzblut.

Heute sind die ersten beiden Jahrgänge von Perez' in vier Sammelbänden erhältlich, und trotz vieler 80er-Klischees ist dieser Neuanfang noch heute der offizielle Auftakt der modernen „Wonder Woman“-Chronologie sowie ein Startpunkt, auf den auch alle folgende Autoren oft Bezug nehmen: Vor 3000 Jahren wurden die Amazonen von Herkules und seinen Männern gejagt und geschändet. Mit Hilfe der olympischen Göttinnen zogen sie sich auf die mystische Insel Themyscira zurück. Dort gibt es kein Alter, keinen Tod, keine Krankheiten und keine Männer – aber damit auch keine Kinder. Erst im 20. Jahrhundert gewähren die Olympier Königin Hippolyta eine besondere Gunst und machen ein Baby aus Ton lebendig, das Hippolyta am Strand formte: So ist Diana das erste Kind der Amazonen-Insel.

Politik, PR, Diplomatie. Greg Rucka zeigt Diana als realistische Botschafterin.
Politik, PR, Diplomatie. Greg Rucka zeigt Diana als realistische Botschafterin.
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Dianas Lasso, Tiara und Armschienen bleiben, doch anders als zuvor aber kann sie jetzt selbstständig fliegen, ist annähernd so stark wie Superman (und eine entschieden bessere Strategin), und auch ihr Outfit wird etwas vernünftiger erklärt: Im zweiten Weltkrieg stürzte die Kampfpilotin Diana Trevor auf der Insel ab und starb, im Dienst der Amazonen, einen Heldentod. Name und Kleidung Dianas sind ein Tribut an die Uniform und Landesflagge dieser toten Pilotin.

In der neuen Chronologie sind auch Diana Travors Sohn Steve und Etta Candy deutlich gealtert: Steve wird zum väterlichen Freund Dianas und Etta eine Air Force-Soldatin, die sich in ihn verliebt. Diana selbst dagegen ist erst Anfang 20 und zum ersten Mal außerhalb ihrer Frauenwelt: In Boston findet sie erste Vertraute in der Kunsthistorikerin Julia Kapitatelis und ihrer 13jährigen Tochter Vanessa. Wichtige Feinde sind ernstere, psychologische Versionen von Circe und Cheetah sowie der Kriegsgott Ares und „Superman“-Diktator Darkseid.

Oft wird „Wonder Woman“ dafür kritisiert, Elemente aus (zu) vielen Genres zu angeln, doch tatsächlich funktioniert Dianas Welt bis heute am Besten, wenn die Konflikte und Brüche zwischen allen Teilen möglichst weit klaffen: Pressekonferenzen und antike Rituale, Flugzeugträger und geflügelte Pferde, Monster im Einkaufszentrum und SWAT-Teams im Amphitheater. Die mediale Öffentlichkeit, durch die sich Diana als Diplomatin bewegt, ist nüchterner als Batmans Gotham und politisierter als Supermans Metropolis: Diana wohnt in realen Städten wie Boston, New York und Washington, und einige ihrer größten Schlachten schlug sie vor Fernsehkameras, den UN oder am Weltgerichtshof in Brüssel.

Das Problem ist ihre Fremdheit

Bis 1992 blieb Perez „Wonder Woman“-Autor, und obwohl die 90er für keinen Superhelden eine besonders lesenswerte Phase waren und die wenigen Sammelbände aus diesen Jahren vergriffen sind (und schlaffe Kritiken sammelten), darf man seitdem furchtlos zu einem „Wonder Woman“-Heft greifen und sicher sein, eine würdevolle, bedachte und intelligente Frau zu sehen, reflektierter als Superman, menschlicher als Batman, nie zugeknöpft oder asexuell – aber so tief in ihrer fremden Kultur und Religion verwurzelt, dass man sie lieber über Ethik und Menschenrecht befragt, als sie in die nächste Eckkneipe einzuladen, auf ein Bier.

In einem Genre mit internationalen Figuren, aber Autoren, die oft nur New York und die US-Provinz kennen und jungen Zeichnern, die fatal gern ohne Recherche einen Marktplatz in Budapest oder ein Dorf in Nepal „imaginieren“, ist Diana eine der allerwenigsten Personen, die spürbar aus einem anderen Kulturkreis stammen und diese Fremdheit auch in jede neue Begegnung tragen: J. Michael Straczynskis Weltraumoper „Babylon 5“ hatte eine tolle Diplomatin namens Delenn. Diana ist ihr ähnlich – aber kann zudem noch mit Äxten werfen, mit Tieren sprechen, eine Hydra besiegen und mit Göttern verhandeln.

Das volle Potenzial (und die neue politische Tiefe) hat bisher vor allem Autor Greg Rucka ausgenutzt: In 32 Heften zeigte er Diana zwischen den Menschen, die täglich mit ihr arbeiten und ihren Amazonenschwestern, die sich entscheiden müssen, wie sie die Welt nach Themyscira lassen, ohne, damit ihre alte Kultur zu verraten. Rucka baute um Diana herum einen dialoglastigen, aber hochspannenden Ethik-Thriller über die Unterschiede zwischen Wissen und Glauben, Beruf und Heimat, Publikem und Privatem. Am Ende einer langen Kettenreaktion, orchestriert wie ein griechisches Drama, bricht Wonder Woman einem Feind das Genick. Stellt sich den Kameras der Welt. Und gibt bekannt, sie würde es wieder tun.

Totschlag als Friedenspolitik: Die Vorgeschichte dieser Tat, die Verknüpfungen zu Superman und Batman und der epische Mehrteiler „Infinite Crisis“, der durch Dianas Handlung ins Rollen gerät, gehören zu den kompliziertesten DC-Geschichten der vergangenen zehn Jahre, und noch heute führen die Figuren (innerhalb der Comics!) harte Debatten über Dianas Überzeugung. Sie ist die Frau, die für Frieden tötet. Ein Widerspruch, der in aller Komplexität behandelt wird. Und der Diana, als Figur, noch mehr Profil verleiht.

Das Problem sind zehntausend Schnörkel

Was also kann noch schief gehen? Zwei Dinge. Greg Ruckas Vorgänger Phil Jimenez, Autor von 2000 bis 2003, ist ein großer Fan von George Perez und einer der weltgrößten „Wonder Woman“-Experten. Er zeichnet und schreibt in Perez' Stil – nur deutlich schlechter: überfüllte Seiten, Riesensprechblasen mit schwülstiger, pseudoklassischer Hochsprache, hundert Leute, tausend Sternchen, Säulen, Blumenvasen, zehntausend Schnörkel. Schon bei Perez hatten alle Frauen seltsame Dauerwellen und die Geschichten wirkten manchmal statisch und spröde. Jimenez aber zeichnet noch heute wie vor 25 Jahren: Diana, die Aerobic-Amazone, belehrt die Welt wie auf einem endlosen Elternabend.

Happy Birthday. Zur 600. Ausgabe zeichnet Phil Jimenez sein Idol in einer typischen Pose der Amazonen.
Happy Birthday. Zur 600. Ausgabe zeichnet Phil Jimenez sein Idol in einer typischen Pose der Amazonen.
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Aus schierer Liebe und Respekt vor der Heldin fallen Autoren in eine Angststarre: In Jimenez' Heften passiert nichts – aber davon viel zu viel. Warum nur ein Raumschiff zeichnen, wenn auf eine Seite 60 oder 70 passen? Wozu ein klarer Plot, so lange Etta, Steve, Julia und Vanessa, Prinzessin Hippolyta und ein Dutzend Amazonen hereinschneien können und davon schwärmen, wie fabelhaft Diana ist. Diese Bedeutsamkeit wird (nicht nur bei Jimenez) ständig behauptet, aber selten gezeigt.

In der berühmtesten Jimenez-Geschichte begleitet Lois Lane Diana durch einen typischen Tag: Sie tritt in einer Talkshow auf, hält eine Rede vor der UN, besucht das weiße Haus, doziert an einer Uni, spielt Basketball mit Straßenkindern, fliegt nach Afrika und tröstet Waisen, besucht Aids-Aktivisten, mit denen sie alle persönlich befreundet ist, gibt Selbstverteidigungskurse in einem indonesischen Frauenhaus und lädt Lois Lane danach noch zum Billardspielen ein – in die nächste Eckkneipe. Dort erzählt sie dann Witze, unfassbar schmutzig, unfassbar menschlich. Jedenfalls behauptet das Lois.

Phil Jimenez schreibt die Witze nicht auf: Er tut, was vielen Autoren mit starken Frauenfiguren misslingt – indem er dafür sorgt, dass Diana den Rest der Welt in jeder Hinsicht überragt: Als müsste eine Frau die weltbesten Witze erzählen, die weltschönsten Haare haben und täglich von 2000 Menschen beklatscht und bejubelt werden, um wertvoll zu sein.

Das Problem ist „Xena, die Kriegsprinzessin“

Von 2007 bis Mitte 2010 hatte „Wonder Woman“ ihre erste weibliche Autorin, die sehr beliebte Gail Simone. Simone macht mit Diana den umgekehrten Fehler. Bis Mitte der 90er arbeitete die pummelige Mutter als Friseurin, doch ihre feministische (und brillante) Heldinnen-Website „Women in Refrigerators“ machte sie bei großen Verlagen bekannt: In DC-Serien wie „Birds of Prey“, „Secret Six“ und „The All-New Atom“ erzählt Simone von Freundschaft und alltäglicher Hektik, von frechen Frauen, dussligen Kerlen, witzigen Misshandlungen und urkomischer Folter.

Gail Simone, das ist die Ingrid Noll des Heldencomics; Vertreterin eines platten, hemdsärmeligen Feminismus, für den man so lange dankbar sein muss, bis endlich mal ein klügerer kommt: Hier sind Frauen stark, weil sie Männer „aufs Kreuz legen“, Gegnern „mal richtig in den Arsch treten“, täglich von „Deppen“ angefeindet werden, aber nur die eigene (Selbst-)Kritik gelten lassen – und sich so selbstgerecht, vorlaut und dreist aufführen wie sechzehnjährige Jungs.

Schon optisch ist Diana nah an der Fernseh-Amazone „Xena“ (1995-2001). Bei Simone aber wird die Botschafterin auch charakterlich stärker zur Kriegsprinzessin: In farbenfrohem, naiv-erfrischendem Übermut kloppt sich Diana mit Riesengorillas, bösen Agenten und außerirdischen Kinderfressern. Simone liebt die Figur und gibt sich große Mühe, einen epischen, rasant eskalierenden Handlungsbogen zu bauen. Götter. Verschwörungen. Verschollene Verwandte. Doppelgänger. Riesenhaie. Alles drin! Nur die Substanz fehlt: Solche Tiefschläge und Tritte könnte auch ein dümmeres Heldenmädchen verteilen.

Diana in den Ruinen ihrer Heimat Themyscira. Die "Paradiesinsel" wird oft von Invasionen und Katastrophen heimgesucht.
Diana in den Ruinen ihrer Heimat Themyscira. Die "Paradiesinsel" wird oft von Invasionen und Katastrophen heimgesucht.
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Am Interessantesten? Dass sie sich (endlich!) einen Partner aussucht, den Geheimdienstmann Tom Tresser. 31 Hefte lang geht es in allen Varianten um Mutterschaft, Zeugung, Erbe, Ehe und Dianas eigene, mystische Geburt – nur nicht zwischen Tom und Diana. Die beiden haben kaum Zeit. Nicht nur, weil Diana von einer Keilerei zur nächsten wirbelt und dabei flotte Sprüche klopft – sondern auch, weil Tom kaum fassen kann, das eine Über-Frau ihn ernst nimmt. Der Leser kann das leider auch nicht, denn Normalo Tom geht zwischen Simones unsympathischen Übermenschen unter. Und selbst der Kinder-Trubel endet im Nichts.

Dass am Ende von Simones Geschichte kein „Wonder Baby“ steht, dürfte aber weniger der Autorin anzulasten sein als den Redakteuren bei DC: Vermutlich wurde, nachdem Simone schon alle Weichen gestellt hatte, doch noch ein Veto eingereicht. Die Enttäuschung ist sehr groß. Denn jetzt, am Ende von fünf Gail Simone-Sammelbänden ist niemandem etwas Wichtiges passiert.

Halt, doch! Etta Candy hat richtig abgespeckt und sich heimlich zur Super-Spionin ausbilden lassen. Warum? Weil starke Frauen solche Gesten brauchen, damit man ihre Stärke sieht! Wer bei Gail Simone nicht mindestens im Lendenschurz auf einem fliegenden Elefanten gegen UFOs kämpft, der ist ein Weichei, ein un-emanzipiertes Opfer. Und darum fragt auch Batwoman auf den allerletzten Seiten von Simones letztem Kapitel, ob Diana nicht noch Lust hat, in die nächsten Kneipe ein kaltes Bier zu trinken.

Bier?

Aber hallo hat sie Lust! Unsere Diana: Amazone wie du und ich! Das wäre ja auch was – wenn die sich für was Besseres hielte! Bei Gail Simone kochen alle Frauen mit Wasser. Nur haben sie halt Hitzeblick, um ihre Tütensuppen warm zu machen: Hauptsache bodenständig! Hauptsache volksnah und schlicht!

...und jetzt auch noch: Hosen!

Ab Ausgabe 600 hat „Wonder Woman“ einen neuen Autor: J. Michael Straczynski ist ein weitsichtiger, kunstvoller Erzähler, der vor 15 Jahren „Babylon 5“ und Botschafterin Delenn erfand. Für Marvel Comics schrieb er 2007 die „Spider-Man“-Geschichte „One More Day“: Dort ging Peter Parker, um seine greise Tante vor dem sicheren Tod zu retten, einen Pakt mit dem Teufel ein und ließ seine Ehe aus der Realität radieren. Der Vierteiler erzürnt die Leser bis heute, und auch Straczynski beschwerte sich über die unsinnigen Vorgaben der Redaktion: Um Spider-Man wieder frisch und jugendlicher zu machen, „löschte“ Marvel seine Ehe und viel Lebenserfahrung. Zum Jubiläum stand auch Diana an einem derart kritischen Punkt: Sie war plötzlich viel jünger, wuchs in den Slums einer unbekannten Großstadt auf und erfuhr von einem blinden Orakel, dass alle Amazonen tot sind und ein geheimnisvoller Mann die Realität änderte. „Odyssee“ heißt der Zwölfteiler, und Straczynski wollte darin zeigen, was Diana „ausmacht“.

Schwarze Hosen, Lederjacke, Gedächtnisverlust. J. Michael Straczynski zeigt Diana in der Gosse.
Schwarze Hosen, Lederjacke, Gedächtnisverlust. J. Michael Straczynski zeigt Diana in der Gosse.
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Am Ende steht eine Entwarnung: Konzeptuell hat die Amazone kein einziges echtes Problem: Sie ist beliebt. Sie ist bekannt. Und sie ist jedem, der sie auch nur flüchtig sieht, sofort verständlich. Wonder Woman hat prominente Fans und Verteidiger, und jedes Mal, wenn ein Autor ihre Integrität oder Kompetenz in Frage stellt (oder ihr auch nur ein Paar neuer Hosen anzieht), halten Menschen den Atem an – nicht nur die Feministinnen und Redakteure.

„Warum schreiben Sie so starke Frauenfiguren?“, wurde Joss Whedon, Autor von „Buffy“ und dem „Wonder Woman“-Drehbuch von 2006, ständig gefragt. „Weil Gleichberechtigung kein Konstrukt ist. Nichts, an dem wir arbeiten müssen. Sondern ein Fakt. Eine Voraussetzung. Gleichberechtigung ist wie Schwerkraft: Wir brauchen sie, um als Männer und Frauen auf dieser Erde zu stehen. Die Frauenfeindlichkeiten, die es in jeder Kultur gibt, sind kein natürlicher Part unseres Miteinanders. Sie sind ein Ungleichgewicht, das jedem Mann und jeder Frau etwas stiehlt. Wir brauchen Gleichberechtigung – echt jetzt!“

Es gibt nur eine Heldin, die eine solche Rede halten könnte. Und, wichtiger: Nur eine Heldin, die auch ohne diese Rede schon seit Jahrzehnten mit jeder Geste illustriert, was sich Whedon wünscht. Erwachsene Menschen mit Kraft, Integrität, Verstand. Gelebtes Potenzial.

...und Bier trinken kann die Frau auch noch! Stellt euch das vor!

Wonder-Woman-Veröffentlichungen bis 2010 im Überblick
Einsteigerfreundliche, abgeschlossene Geschichten:
Paul Dini, Alex Ross: DC Helden, 160 Seiten, Panini Comics 2007
Matt Wagner: Dreigestirn, 208 Seiten, Panini Comics 2004
Christopher Moeller: JLA: A Leage of One, 112 Seiten, DC Comics 2002 (deutsche Ausgabe vergriffen)
Greg Rucka, J.G. Jones: Wonder Woman / Batman: Hiketeia, 96 Seiten, Panini Comics 2003
Sammelbände zu George Perez' „Wonder Woman“, 1987 bis 1989 (englisch):
(1) Wonder Woman: Gods and Mortals, 192 Seiten, DC Comics 2004
(2) Wonder Woman: Challenge of the Gods, 176 Seiten, DC Comics 2004
(3) Wonder Woman: Beauty and the Beasts, 168 Seiten, DC Comics 2005
(4) Wonder Woman: Destiny Calling, 176 Seiten, DC Comics 2006
Sammelbände zu Phil Jimenez' „Wonder Woman“, 2000 und 2001 (englisch):
(5) Wonder Woman: Paradise Lost, 176 Seiten, DC Comics 2002
(6) Joe Kelly u.a.: Superman: Our Worlds at War, 482 Seiten, DC Comics 2006
(7) Wonder Woman: Paradise Found, 192 Seiten, DC Comics 2003
Sammelbände zu Greg Ruckas „Wonder Woman“, 2003 bis 2006 und „Infinite Crisis“ (englisch):
(8) Wonder Woman: Down to Earth, 160 Seiten, DC Comics 2004
(9) Wonder Woman: Bitter Rivals, 128 Seiten, DC Comics 2004
(10) Wonder Woman: Eyes of the Gorgon, 192 Seiten, DC Comics 2005
(11) Brad Meltzer: Identity Crisis, 288 Seiten, DC Comics 2005
(12) Wonder Woman: Land of the Dead, 128 Seiten, DC Comics 2006
(13) Batman: The OMAC Project, 256 Seiten, DC Comics 2005
(14) Superman: Sacrifice, 192 Seiten, DC Comics 2006
(15) Wonder Woman: Mission's End, 208 Seiten, DC Comics 2006
(16) Geoff Johns, Phil Jimenez, George Perez: Infinite Crisis, 264 Seiten, DC Comics 2006
Sammelbände zu „Wonder Woman“ ab 2006, deutsch:
(17) Alan Heinberg: 100% DC Band 1: Wonder Woman: Wer ist Wonder Woman?, 160 Seiten, Panini Comics 2008
(18) Will Pfeifer, Jodi Picoult: DC Premium, Band 54: Angriff der Amazonen 1, 164 Seiten, Panini Comics 2008
(19) Will Pfeifer, Jodi Picoult: DC Premium, Band 55: Angriff der Amazonen 2, 148 Seiten, Panini Comics 2008
(20) Gail Simone: 100% DC Band 20: Wonder Woman: Die dunkle Seite des Paradieses, 148 Seiten, Panini Comics 2009
(21) Gail Simone: 100% DC Band 23: Wonder Woman: Am Ende der Welt, 148 Seiten, Panini Comics 2010
(22) Gail Simone: 100% DC Band 27: Wonder Woman: Der Aufstieg des Olympiers, 192 Seiten, Panini Comics 2010
Die restlichen Gail-Simone-Bände, vorerst nur auf Englisch:
(23) Wonder Woman: Warkiller, 144 Seiten, DC Comics 2010
(24) Wonder Woman: Contagion, 128 Seiten, DC Comics 2010

Gute Einstiege: 1, 8, 17, 20
Nicht zu empfehlen: 5, 6, 7, 12, 18, 19
Nicht zu empfehlende Auftritte von Diana und den Amazonen (US-Ausgaben):
William Moulton Marston u.a.: Wonder Woman: The Greatest Stories ever told, 192 Seiten, DC Comics 2007
Stan Lee: Just Imagine: Stan Lee's Wonder Woman, 48 Seiten, DC Comics 2001
George Perez, Marv Wolfman, Phil Jimenez: The New Teen Titans: Who is Donna Troy?, 225 Seiten, DC Comics 2005
Joe Kelly: JLA Vol. 10: Golden Perfect, 128 Seiten, DC Comics 2003
Marc Andreyko: Manhunter Vol. 4: Unleashed, 176 Seiten, DC Comics 2008
Judd Winnick: Green Arrow & Black Canary: The Wedding Album, 176 Seiten, DC Comics 2008

Redaktioneller Hinweis: Der Artikel erschien erstmals 2010 auf www.tagesspiegel.de/comics, er wurde jetzt aus Anlass des Wonder-Woman-Films leicht aktualisiert.

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