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Der 1956 von Ferdinand Kramer erbaute Hörsaal des biologischen Camps der Uni Frankfurt.
© Norbert Miguletz/DAM

Der Architekt Ferdinand Kramer: Ein Gefühl von Freiheit

Die Nachkriegszeit wird abgerissen: Das Deutsche Architekturmuseum würdigt Ferdinand Kramer.

Was einmal der Stolz der Frankfurter Universität in den Jahren des Wiederaufbaus nach dem Krieg war, ist heute allenfalls noch eine beliebige Zweitnutzung. Zwölf Jahre lang leitete Ferdinand Kramer (1898–1985) das Hochbauamt der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in seiner Heimatstadt, von 1952 bis zur Pensionierung 1964.

In dieser Zeit entwarf Kramer nicht weniger als 23 Gebäude. Berufen hatte ihn Max Horkheimer, der damals Rektor war. Schon seine erste Baumaßnahme war ein Paukenschlag. In das alte Hauptgebäude, das den Bombenkrieg überstanden hatte, brach er anstelle des neobarocken Portals einen quer rechteckigen, in Stahlrahmen verglasten Eingang hinein. Diese Universität sollte niemanden mehr abweisen, sondern offen sein für Menschen und Gedanken.

Den sprichwörtlich gewordenen „Muff von tausend Jahren“, den Studenten 1968 auslüften mussten, hatte der am Weimarer Bauhaus und an der TU München ausgebildete Architekt längst mit seinen Bauten vertreiben wollen. Dabei war er ganz unideologisch. Er zielte aufs Praktische, auf jenes Einfache, das einfach gut ist. Wo die Wirtschaftswunderzeit in Gelsenkirchener Barock schwelgte, setzte er die funktionale Notwendigkeit seiner verglasten Treppentürme und sinnreich ineinandergefügten Hörsäle dagegen.

Vor 33 Jahren richtete das Bauhaus-Archiv eine erste Kramer-Retrospektive aus

Es ist nicht die erste Ausstellung zu seinem Werk, die ihm jetzt vom Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt gewidmet wird. Glatte 33 Jahre ist es her, dass das Bauhaus-Archiv eine erste Retrospektive ausgerichtet hat; damals kam der alte Herr, der spürbar jung geblieben war, zur Eröffnung nach Berlin. Dem schmalen Katalog von 1982 ist im Grunde nichts hinzuzufügen, es sei denn Trauriges: Denn der Abriss vieler seiner Frankfurter Bauten, denen schon zu Lebzeiten die Vandalisierung durch die Studenten vorausgegangen war, stand noch bevor. Es war seinerzeit nicht abzusehen, dass große Teile der Goethe-Universität in die mächtige Herrschaftsarchitektur der einstigen IG-Farben-Zentrale von Hans Poelzig übersiedeln und sich der Kramer’schen Bescheidenheitsbauten entledigen würden wie eines abgetragenen Kleidungsstücks.

Der Typograf Paul Renner, in dessen epochaler Schrift „Futura“ Kramer den Universitätsnamen über dem neuen Portal anbringen ließ, hatte 1927 über die Entwürfe des Architekten geschrieben, an ihnen ließe sich „das Stilgewissen unserer Zeit demonstrieren“. Es war die Zeit des Frankfurter Stadtbaurats Ernst May und der Zeitschrift „Das Neue Frankfurt“, die eben diesen Stil nach dem Ende aller Stile propagierten. Kramer hielt in späteren Jahren nicht dogmatisch an Gestaltungen der zwanziger Jahre fest, wohl aber an ihrem Geist, in dem er bis 1930 in den heutzutage winzig anmutenden Wohnungen der Zeilenbausiedlung Westhausen „im Minimum ein Maximum an Komfort“ geschaffen hatte, Komfort wohlgemerkt im Praktischen, wie er es mit dem patentierten „Kramer-Ofen“ demonstrierte.

Im US-Exil hatte der Architekt Adorno kennengelernt

„Horkheimers sehe ich ab + zu, ebenso Pollocks“, schrieb Kramer an den inzwischen ebenfalls zurückgekehrten Theodor Adorno Anfang 1953. Mit den von den Nazis verjagten Großen des Instituts für Sozialforschung, dem Soziologen Horkheimer und dem Ökonomen Friedrich Pollock ebenso wie dem Philosophen Adorno, hatte Kramer im amerikanischen Exil, das er selbst 1938 nach Berufsverbot hatte wählen müssen, engen Kontakt geschlossen. Zurück in Frankfurt hatte er manches Mal Anlass, sich über den ästhetischen Traditionalismus der Häupter der Kritischen Theorie zu amüsieren. So ließ Horkheimer auf Vorhaltungen seiner Ehefrau Maidon – „Max, da sieht man ja deine Schnürsenkel!“ – das von Kramer ohne jeden Zierrat gestaltete Rektoratszimmer repräsentativ herrichten. Repräsentation war allerdings genau das, wogegen Kramer zeitlebens anging.

Einige wenige Kramer-Bauten stehen unter Denkmalschutz

Der 1956 von Ferdinand Kramer erbaute Hörsaal des biologischen Camps der Uni Frankfurt.
Der 1956 von Ferdinand Kramer erbaute Hörsaal des biologischen Camps der Uni Frankfurt.
© Norbert Miguletz/DAM

Damit eckte er – nicht nur beim Portal des Hauptgebäudes – mehr als einmal bei den Gremien der Universität an. Da die Stadt Frankfurt den Plänen Kramers für einen cityfernen Campus nicht folgen mochte und sich auf den alten Standort beschränkte, zudem durch wechselnde Grundstücksarrondierungen die Einheit der Universitätsbauten aufsplitterte, blieb Kramers Arbeit als Baudirektor Stückwerk. Als Fremdkörper in ihrer eher behäbig-bürgerlichen Umgebung ragen erst recht heute die prägenden, auf reine Funktionalität reduzierten Bauten wie das zehngeschossige Philosophicum von 1961 empor. Die Mensa von 1963, mit zeittypischer „Milchbar“, erlebt als Flüchtlingsunterkunft gerade noch eine Gnadenfrist vor dem beschlossenen Abriss. Das Philosophicum, dessen fensterlose Hörsäle vielfach als geisttötend kritisiert wurden, erfährt derzeit einen zerstörenden Umbau zum Studentenwohnhaus. Als reiner Stahlskelettbau war das Bauwerk allerdings durchaus auf Demontage angelegt. Alexander Kluge, der Kramers Bauten als Student erlebt hatte, lobte hingegen 1958, hier entstehe „eine Universität aus einem geistigen Zusammenhang, und ich bin mir sicher, dass (...) das Gehäuse die nächsten hundert Jahre überdauern wird“.

Dies ist der Appell, den die Frankfurter Ausstellung an die eigene Stadt richtet. Einige wenige Kramer-Bauten stehen unter Denkmalschutz. Die Universität als Institution allerdings hat sich geistig von ihrem Nachkriegserbe verabschiedet. Kramer konstruierte mit Stahl, fachte die Wandfelder in einfarbigen Ziegeln aus, gab den Arbeitsräumen Fenster in Metallrahmen, zeigte Ein- und Durchgänge. Solche Schmucklosigkeit hat ihre Feinde. Im Katalog findet sich ein Interview mit dem erzkonservativen Frankfurter Schriftsteller Martin Mosebach, der den schon zu seinen Studententagen ungeliebten Bauten „ihre ganze trotzige Dürftigkeit“ vorhält: „Aus diesem Philosophicum weht mich der pure Nihilismus an.“

Die Stadt- und Universitätsbibliothek war 1964 der Höhepunkt von Kramers Karriere

Nun, es waren materiell arme Zeiten, in denen Kramer erstaunlich jung seine Laufbahn begann, und es waren ebenso arme Zeiten, in denen er sie vollendete. Mit der Stadt- und Universitätsbibliothek von 1964 an der Bockenheimer Landstraße erreichte sie ihren Höhepunkt. Wie die Amerika-Gedenkbibliothek in Berlin folgt sie dem amerikanischen Konzept mit sachgebietsmäßig geordneten Freihandmagazinen sowie Lesekammern, „Carrels“ genannt.

Seine Bauten, die in der Frankfurter Ausstellung in Zeichnungen, Modellen und Fotografien sehr schön zu begreifen sind, sollten nie anders oder mehr sein als nützlich. Aber darin steckt ein philosophischer Kern. Von seinen Räumen, hatte er zur Einweihung des Studentenwohnheims von 1960 gesagt, solle „unmerklich ein Gefühl von Freiheit“ ausgehen. Die 68er-Studenten nutzten die Freiheit zur Besetzung des Rektorats und überpinselten den Schriftzug über dem Haupteingang mit „Karl-Marx-Universität“. Da verließ Kramer verstört seine noch immer genutzte Dienstwohnung und zog sich ins Privatleben zurück. Die Ausstellung im DAM bedeutet nun schon den Nachruf auf sein Lebenswerk.

Frankfurt/Main, Deutsches Architekturmuseum, Schaumainkai 43, bis 1. Mai. Katalog bei Wasmuth, 32 €, Buchhandel 38 €.

Bernhard Schulz

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