Grips-Theater: Die Mutmacherbande
Philipp Harpain heißt der neue künstlerische Leiter des Grips-Theaters. Der Tagesspiegel sprach mit Harpain, bisher Grips-Theaterpädagoge, und Gründervater Volker Ludwig über die Zukunft des Kinder- und Jugendtheaters.
Am Dienstag wurde es bekannt gegeben: Philipp Harpain, seit 2002 Theaterpädagoge am Grips-Theater, wird neuer künstlerischer Leiter des Kinder- und Jugendtheaters am Berliner Hansaplatz. Am Dienstag gab Theatergründer und Geschäftsführer Volker Ludwig, 77, bekannt, dass der 48-Jährige 2016 Stefan Fischer-Fels nachfolgt. Der hatte seinen Vertrag vorzeitig beendet und geht 2016/2017 zum Schauspiel Düsseldorf, um dort die Kinder- und Jugendtheatersparte zu leiten. Zwischen "Linie 1"-Erfinder Ludwig und Fischer-Fels hatte es Konflikte um die Ausrichtung des Hauses gegeben.
Harpain hatte in Neustrelitz, Bremen und im Berliner Theater an der Parkaue gearbeitet, bevor Fischer-Fels – damals noch Dramaturg – ihn ans Grips holte. Sie kannten sich von einer Koproduktion und tourten mit dem Stück „Lulatsch will aber“ durch die Schulen. Am Grips baute Harpain die Theaterpädagogik auf und organisierte u.a. Kinderkongresse. Im Gespräch skizzieren Harpain und Volker Ludwig die Zukunft des Hauses.
Herr Ludwig, dass es mit Stefan FischerFels, dem seit 2011/2012 tätigen künstlerischen Leiter des Grips-Theaters, zum Bruch gekommen ist, hat Ihnen auch Kritik eingebracht. Der Gründervater klammert, so der Eindruck.
VOLKER LUDWIG: Das Klischee begleitet mich natürlich: Der alte Sack, der nicht loslassen kann. Aber das stimmt nicht. Ich würde gerne loslassen und in der Uckermark meine Stücke schreiben. Nur ist das eben nicht so einfach. Das Grips hat eine ganz bestimmte DNA, dazu gehört, sich die Probleme seines Publikums zu eigen zu machen und sie in wirkungsvolle, komödiantische Stücke zu übersetzen.
Und das geschieht nicht mehr?
LUDWIG: Mit dem gegenwärtigen Spielplan habe ich so meine Probleme. Der könnte an vielen anderen Häusern genauso laufen. Deswegen wollte ich der Bitte von Stefan Fischer-Fels, ihn über 2018 hinaus zu verlängern, nicht nachkommen. Stefan wünschte sich aber Sicherheit, was ich gut verstehen kann. Also geht er als Leiter zurück ans Junge Schauspiel Düsseldorf, wo er bereits acht Jahre lang sehr erfolgreich gearbeitet hat. Seiner Bitte, unseren Vertrag vorzeitig aufzulösen, bin ich nachgekommen.
Herr Harpain, Glückwunsch zum neuen Posten. Sie sind als Theaterpädagoge seit 12 Jahren am Haus. Was macht denn für Sie die Grips-DNA aus?
PHILIPP HARPAIN: Wir machen Theater für unser Publikum, und das sind im Kern die Kinder. Dabei ist besonders wichtig, dass das Grips gesammelt hinter einem Spielplan und seinen Aussagen steht. Was wieder gestärkt werden muss, sind die demokratischen Prozesse am Haus, die Mitbestimmung insgesamt. Das Grips war im Grunde mal eine freie Gruppe, und die funktionieren über den kollektiven Gedanken. Dahin müssen wir zurückfinden.
Herr Ludwig, weshalb sind Sie sicher, jetzt den Richtigen gefunden zu haben?
LUDWIG: Im Moment ist das Theater gespalten, da braucht es jemanden, der um die spezifischen Probleme des Grips weiß. Das ist der Fall. Zum anderen verkörpert Philipp für mich das politische Gewissen des Hauses. Er hat vor zehn Jahren eine umfassende Kampagne zum Bleiberecht gestartet, wir haben zusammen das Stück „Hier geblieben!“ auf den Weg gebracht, das sich gegen die Abschiebung eines bosnischen Mädchens aus Neukölln richtete. Für ihn wie für mich ist das Grips ein Theater, das Stellung beziehen und sich einmischen muss.
HARPAIN: Aber natürlich wird unser Theater nicht nur aus Kampagnen bestehen. Ich werde die Kinder und Jugendlichen auch direkt befragen, was sie sehen wollen. Es geht darum, soziale Wirklichkeit auf der Bühne abzubilden. Theater ist für mich ein Organismus, der sich in die Stadt und darüber hinaus vernetzt.
Im Moment steht das Grips glänzend da, 2014 hatte das Haus eine Auslastung von 83 Prozent und 84 000 zahlende Besucher.
LUDWIG: Da muss man aber genau hinschauen. Die bestverkauften Stücke sind jene, die schon lange auf dem Spielplan stehen. Mir wird oft vorgeworfen, ich sei nicht innovativ. Aber es hat sich noch nie ein Kind nach der Vorstellung beschwert: „Mist, das war wieder nicht innovativ“.
Und deswegen sollte man die Grips-Ästhetik auf alle Zeiten konservieren?
LUDWIG: Unfug. Ich will ja gerade vermeiden, dass aus dem Grips ein VolkerLudwig-Museum wird. Aber dann müssen eben andere Stücke entstehen, die die Kraft haben, meine zu ersetzen. Und das sehe ich leider nicht.
HARPAIN: Zum Teil haben wir die. „Supergute Tage“ zum Beispiel.
LUDWIG: Klar ist das ein gutes Mainstream-Stück. Aber das kann an jedem Theater der Welt laufen.
Armut, Krieg, Flüchtlinge, das sind Themen fürs Grips-Theater, sagt Harpain
Das Grips ist schon durch seine Präambel zur Tradition verpflichtet. Darin ist unter anderem „Mutmachtheater“ festgeschrieben. Engt das nicht ein?
LUDWIG: Im Gegenteil, die Präambel ist doch unendlich weit gefasst!
HARPAIN: Ich finde, die Präambel beschreibt ein Profil. Nicht mehr und nicht weniger. Damit ist das Grips weltbekannt geworden. Natürlich beschäftige ich mich auch mit künstlerischen Formen, die in Richtung Performance gehen. Die Sehgewohnheiten von Kindern ändern sich durch neue Medien, die Geschwindigkeit ist eine andere. Darauf müssen wir als Theater reagieren – oder bewusst etwas dagegensetzen.
LUDWIG: Hauptsache, es wird nicht über die Köpfe der Kinder hinweg erzählt.
HARPAIN: Ich schätze als Theaterpädagoge auch das Experiment, Projekte wie einen Live-Krimi, bei dem die Schauspieler lediglich noch das Material für die ermittelnden Kinder bereitstellen. Wir werden Wege finden, politische Inhalte zu transportieren und soziale Realitäten zu spiegeln. Und die werden heutig sein.
Also wird der von Stefan Fischer-Fels eingeschlagene Weg, das Grips etwa durch Rechercheprojekte zu öffnen, weiter verfolgt?
HARPAIN: Recherche war immer ein wichtiger Bestandteil der Grips-Arbeit. Als leitender Theaterpädagoge bilde ich die Schnittstelle zwischen Publikum und Theater. Ich vermittle Inhalte an die Zuschauer, gleichzeitig bringe ich deren Erfahrungen mit: Was wollen sie sehen und hören? Das ist Recherche im besten Sinne. Die braucht natürlich ihre Zeit.
Welche Autoren finden Sie spannend?
HARPAIN: Dazu möchte ich jetzt noch nichts sagen. Ein Spielplan und alles Weitere wird im Juni nächsten Jahres veröffentlicht.
LUDWIG: Unter den Autoren und Regisseuren, die wir lieben und schätzen ist niemand, der gesagt hätte: mit mir fortan nicht mehr. Das Grips als Ganzes steht.
Welche Themen brennen in der Stadt?
HARPAIN: Armut. Der Zugang zu Bildung, auch für Flüchtlinge. Krieg ist gerade ein großes Thema. Weil es so viele kriegerische Auseinandersetzungen in der Welt gibt, nehmen die Gespräche darüber auch unter Kindern und Jugendlichen zu. Es herrscht Verunsicherung.
LUDWIG: Überhaupt: Zukunftsängste im weitesten Sinne.
HARPAIN: Und es gibt Fragen, die alle Kinder und Jugendlichen zeitlos beschäftigen: Was soll aus mir werden? Wie komme ich mit Freunden und Familie klar, mit meinem Umfeld? Oder, für jeden Jugendlichen neu: die Entdeckung der eigenen Sexualität. All das muss man verdammt ernst nehmen.
LUDWIG: Wir haben etwas zu erzählen. Die Mittel, die Stile sind absolut frei, sie können so fantasievoll sein, wie sie wollen.
In Berlin blickt man gern in die Zukunft, meist bis ins Jahr 2030. Halten wir es etwas bescheidener: Wie soll das Grips im Jahr 2020 aussehen?
LUDWIG: Würde mich auch interessieren. 2019 feiern wir erst mal 50-jähriges Bestehen.
HARPAIN: Mir ist es wichtig, auf dem Weg dahin die Offenheit zu behalten und Impulse von außen aufzunehmen. Theater will gesehen werden. Von den Kindern und Jugendlichen, auch von den Menschen am Rand der Gesellschaft. Was auch immer dann aktuell politisch los sein wird – wir werden eine Meinung dazu haben und sie auch kundtun.
– Das Gespräch führte Patrick Wildermann.
Patrick Wildermann
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