Hilfe vom Senat benötigt: Grips-Theater steht vor der Pleite
Hochberühmt und unterfinanziert: Das Grips Theater steht unverschuldet vor der Pleite. Dabei fehlen nur 150 000 Euro zu seiner Rettung. Jetzt muss der Berliner Senat handeln.
Richtig hingeschaut hat man nicht, aber mächtig pauschalisiert, als in den vergangenen Wochen über einen angeblichen Infarkt der Kultur diskutiert wurde. Von Übersättigung und fetten Staatskunstapparaten war viel die Rede, dabei erwies sich die Debatte vor allem als bemerkenswert realitätsfern.
Tatsächlich operiert manch staatlich subventioniertes Theater am unteren Rand – an Auftrag und Leistung gemessen. Das Grips Theater, weltweit geschätzt für seine Kinder-, Jugend- und Erwachsenenstücke, ist prekär finanziert. Sein Gründer, Autor und Geschäftsführer Volker Ludwig hat Klassiker wie die „Linie 1“ oder „Ab heute heißt du Sara“ geschaffen, ist mit seinem Ensemble um den Globus getourt, hat Preise und Ehre gesammelt. Daheim, am Hansaplatz, rang er zäh und wenig spektakulär um die Existenz dieser Berliner Institution, die einen ganz eigenen Stil und Generationen von Kindern und Eltern geprägt hat.
Jetzt aber ist die Grenze erreicht. Das Grips Theater steht trotz anhaltender Erfolge vor der Pleite. Volker Ludwig ruft den Regierenden Bürgermeister und Kultursenator Klaus Wowereit um Hilfe an. Er schreibt: „Dieser Brief ist mein allerletzter Versuch, einen auch für die Berliner Kultur desaströsen Eklat abzuwenden. Das Grips Theater ist in den letzten acht Jahren trotz gleichbleibender Höchstleistungen dermaßen ausgeblutet, dass eine Insolvenz unvermeidlich ist, wenn nicht binnen vier Wochen endlich etwas Greifbares geschieht. Zwar bin ich schon ganz schief vom vielen Schulterklopfen, ertrinke fast in einem Meer von Verehrung, Liebe und Verständnis, auch vonseiten der Kulturverwaltung, doch was hilft mir das, wenn sie nicht handelt?“
Die Lage ist unverschuldet – es sei denn, man wollte der Theaterleitung vorwerfen, dass sie jahrelang die kleinen finanziellen Spritzen hingenommen hat, mit denen das Grips Theater am Leben gehalten wurde, ohne dass sich die bedrohliche Situation grundsätzlich geändert hätte. Ludwig spricht von einer „strukturellen Unterfinanzierung“ seines kleinen Hauses, das mit anderen Bühnen nicht verglichen werden kann. Denn Theater für Kinder und Jugendliche bringen kaum Einnahmen. Die Ticketpreise sind zu gering. Auch mit Gastspielreisen ist im Kinder- und Jugendtheater nichts zu verdienen. Lange bevor die Idee der kulturellen Bildung schick wurde, hat das Grips Theater sich darum gekümmert. Wenn es nun aus Geldnot auf Schulvorstellungen und Neuproduktionen verzichten müsste und nur noch abends spielt, hätte das Theater seine Geschichte, seinen Sinn verloren.
In nackten Zahlen: Der Senat unterstützt das Grips Theater mit rund 2,7 Millionen Euro im Jahr. Eine dauerhafte Erhöhung dieses Betrags um lächerliche 150 000 Euro bringt die Rettung. Bisher jedoch hat man Volker Ludwig und seinen Mitarbeitern, die seit Jahren keine Tariferhöhung bekommen haben, mit 50 000 Euro lediglich ein Drittel der benötigten Summe in Aussicht gestellt. Das sei ausreichend, damit müsse das Grips wirtschaften, erklärt der Sprecher der Kulturverwaltung, die anderen Bühnen selbstverständlich die Tariferhöhung bezahlt. Den Jahreswechsel hat das Theater nur mit einem Bankkredit und aufgeschobenen Gehalts- und Honorarzahlungen überstanden, während die Kosten für Miete, Verwaltung, Ausstattung gestiegen sind. Es ist die klassische Selbstausbeutung der siebziger und achtziger Jahre, die das Grips Theater bis heute zu praktizieren gezwungen ist.
"Unsere Sparmöglichkeiten sind restlos ausgereizt"
Im Jahr 2008 wurde Volker Ludwig mit dem Deutschen Theaterpreis, dem „Faust“, für sein Lebenswerk geehrt. Damals jubelte Klaus Wowereit: „Mit Ludwigs Stück ,Linie 1’ und den legendären Wilmersdorfer Witwen ist auch ein Stück Berlin rund um die Welt gegangen. Ohne Ludwigs Arbeit und sein Engagement hätte aber auch das Kinder- und Jugendtheater nicht den hohen Stellenwert, den es im deutschen Theaterleben heute besitzt.“ Ivan Nagel, der am Ostermontag verstorbene große Theaterdenker, hat über Volker Ludwig gesagt. „Er ist ein Lehrer, wie man von einem nur je geträumt hat, ein großer Lehrer. Er sagt nur das, was er erfahren hat, und er sagt es so genau, dass seine Sprache davon schön wird.“
Volker Ludwig – im Juni wird er 75 – macht die bittere Erfahrung, dass man sich von schönen Worten nichts kaufen kann. Sein Verzweiflungsbrief an Wowereit datiert vom 8. März, eine Antwort hat er nicht bekommen. „Es macht unendlich müde, 43 Jahre lang sisyphusgleich um die Existenz eines Theaters zu kämpfen, mit dem sich die Zuwendungsgeber ebenso lange gern schmücken“, sagt Ludwig.
Im Jahr 1969, verdammt lang ist das her, wurde das Grips in Berlin aus der Taufe gehoben. Das erste Stück hieß „Stokkerlok und Millipilli“ und stammte von Rainer Hachfeld. Stefan Fischer-Fels war damals fünf Jahre jung – heute ist er der Künstlerische Leiter des Grips Theaters. Das ist eine von vielen Besonderheiten, die das Haus Ludwig auszeichnen. Der Patriarch hat einen Nachfolger gefunden und zugelassen. Von den wenigsten Graubärten lässt sich das sagen, zumal im Selbstverständnis der alten Theaterlinken wie Peter Stein und Claus Peymann. In diesen Kreisen dankt man nicht freiwillig ab.
Fischer-Fels war bereits in den Neunzigern Dramaturg am Grips Theater und leitete vor seiner Rückkehr nach Berlin das Junge Schauspielhaus Düsseldorf. Er verfolgt einen Kurs der behutsamen Veränderung, der klugen Kontinuität. Es ist seine erste Spielzeit, er sucht nach neuen Autoren, neuen Stücken, neuen Wegen – während eine ignorante, leichtsinnige Kulturpolitik hier alles aufs Spiel setzt. Es ist ja in all den fabelhaften Grips-Jahrzehnten am Ende immer gut gegangen, irgendwie. Volker Ludwig hat noch jedes Mal eine Lösung gefunden ...
Doch diesmal sagt der Grips-Vater, der nach wie vor die geschäftliche Verantwortung trägt: „Unsere Sparmöglichkeiten sind längst restlos ausgereizt. Die Kulturverwaltung haben wir über unsere Notsituation nie im Unklaren gelassen.“ Am 4. Mai tagt der Hauptausschuss im Abgeordnetenhaus. Die Rettung des Grips Theaters, dieses einmaligen Berliner Ensembles, muss oben stehen. Es geht um viel. Es geht um 150 000 Euro. Es droht die erste dicke Kulturpleite der Ära Wowereit.
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