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Wenn Märker zu viel grübeln. Musikkabarettist Marco Tschirpke moderiert diese Woche in der Scheinbar.
© Promo/Erik Neumann

Marco Tschirpke in der Scheinbar: Die Hupe bleibt im Schrank

Nicht zu glauben, dass die Schöneberger Scheinbar jetzt noch dreißig Jahre als Kaderschmiede für Komiker fungiert. Auch der Musikkabarettist Marco Tschirpke verdankt dem Laden viel und moderiert jetzt die Open Stage.

Dieses Gelächter, dieses Gedrängel, diese Schwärze, dieser Glitter. Auf dem Vorhang der vier mal drei Meter kleinen Bühnenhöhle. Und obendrüber, wo zu den mehrtägigen Jubiläumsfestspielen der weit über Berlins Grenzen hinaus berühmten Scheinbar (Monumentenstraße 9, Schöneberg) eine goldene Dreißig schwebt. Doll, dass es das Mutterschiff des neuen Varietés, die Kaderschmiede für Unterhaltungskünstler, die lebenslänglich kurz vor dem internationalen Durchbruch stehen und das Karrieresprungbrett für Kabarettisten wie Eckart von Hirschhausen oder Chansonniers wie Sebastian Krämer jetzt schon seit dem seligen 1984 gibt. Und dass die kleine, rabaukige, oft übervolle Amüsierbude mit ihrer Open Stage immer noch jedem, der vorgibt, eine vorführbare Kunst zu beherrschen, eine fröhliche Heimstatt bietet – bis er vom Publikum von der Bühne gehupt wird.

An einem Jubiläumsabend wie diesem bleibt die Hupe im Schrank. Da treten nur handverlesene geladene Künstler auf, verkündet Moderator Horst Blue, allesamt langjährige Freunde des Hauses. Wie Blue selber, der außer als Ansager auch als Schlagerparodie fungiert. Kaum sind der Jongleur und der Zauberer weg, übernimmt endlich ein seriöser Pianist die Bühne samt dem weißen Klavier: der Musikkabarettist Marco Tschirpke.

Harry Rowohlt liest Tschirpke-Gedichte als Hörbuch

Der 1975 in Rathenow geborene und an der Essener Folkwang-Schule in Musiktheorie und Piano ausgebildete Dichter und Sänger agiert in der kommenden Woche dann selber als Gastgeber der Open Stage (Mi–Sa 19.–22.11., jeweils 20 Uhr). Tschirpke tritt wie immer in Grau auf. Das ist die bevorzugte Bühnenfarbe des spröden Märkers unter den singenden Possenreißern. Eine, die seinem Habitus als Hacksianer entspricht. So wie die von ihm erfundenen „Lapsuslieder“, die mit 20 bis 80 Sekunden Dauer durchaus knackig zu nennen sind.

Kürzlich hat er ein Hörbuch herausgebracht, das in seiner melancholisch eingetrübten Heiterkeit gut zu diesigen Novembertagen passt – der Titel Schiffe tuten auf dem Meer, der Untertitel „Harry Rowohlt liest 69 Gedichte von Marco Tschirpke“ (KVV Konkret). Wie immer ist jedes der Poeme kürzer oder kurioser als das andere. Der lakonische Großrezitator Rowohlt hat sehr recht, wenn er sich mit dem Satz „Wem Heinz Erhardt zu naiv-kindlich, Robert Gernhardt zu unpolitisch und Goethe zu langohrig ist, der findet in Marco Tschirpke auch keine Alternative“ zitieren lässt.

Oder wie Tschirpke, der zu seiner als Hymne auf ein Pferd mutierten Verballhornung des Italopopsongs „Felicità“ sogar ein hüftsteifes Tänzchen wagt, in die losprustende Scheinbar spricht: „Wenn ich einen Nerv hätte treffen wollen, wäre ich Anästhesist geworden.“ Aua. Darauf einen Korn. Und auf die nächsten dreißig Jahre minimalinvasiver Hochkultur aus der Schöneberger Kuschelzone direkt gegenüber vom Friedhof!

Gunda Bartels

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