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Krawatte als Kostüm. Sebastian Krämer zu Hause an seinem Flügel.
© Doris Spiekermann-Klaas

Sebastian Krämer im Gespräch: „Stiller Star ist besser als Grauer Star“

Sebastian Krämer ist einer der besten Musikkabarettisten des Landes. Mit einem Konzert feiert er sein 20. Bühnenjubiläum. Ein Gespräch an seinem Flügel in Friedrichshain.

Glückwunsch zum 20. Bühnenjubiläum, Herr Krämer. Sie sind erst 38 – woher nahmen Sie denn mit 18 als Gymnasiast im ostwestfälischen Vlotho schon das Sendungsbewusstsein, vor Publikum zu gehören?

Das war anders herum: das Sendungsbewusstsein hat mich genommen. Ich habe schon immer gemacht, was ich auf der Bühne mache, da hat es keines Aha-Erlebnisses bedurft. Das hätte ich eher benötigt, um den Weg eines Steuerberaters einzuschlagen.

Welche Vorbilder haben Sie denn künstlerisch erschlossen?

Georg Kreisler und Christian Morgenstern, vielleicht auch Erich Kästner oder Kurt Kusenberg. Christof Stählin natürlich. Keineswegs nur Humoristen. Auch eine Band wie Die Ärzte – und gleichzeitig Franz Schubert. (Lacht.)

Jetzt nach 20 Jahren, vielen Preisen und zehn Soloalben gelten Sie als stiller Star der deutschen Kleinkunst...

… stiller Star ist sehr gut, besser als Grauer Star.

… ist es nicht an der Zeit, ein lauter Star, als Klavier spielender Sänger mit anspruchsvollen Texten eine Art zweiter Udo Jürgens zu werden?

Jederzeit, heute fangen wir an!

Haben Sie denn ein Lied auf Lager, das Sie als neuen Udo Jürgens ausweist?

Klar, ich habe einen Sommerhit geschrieben, so richtig mit Bacardi-Feeling, heiße Sache. Der ist dieses Jahr leider noch nicht so richtig durchgestartet, aber damit lande ich den Superhit 2015.

Sie sitzen gerade zufällig am Flügel, spielen Sie doch mal an.

(Krämer spielt ein lyrisches Intro und schmettert zu melodramatischem Tastensturz): ,Zum Lob der kühlen Sommernacht hab’ ich ein Fenster aufgemacht. / Doch Visavi im Innenhof jault Nachbars Lump’ sich dumm und doof. / Das Leid greift tief hinein in den Hund / Und reißt ein Lied aus seinem Schlund. / Bei dessen Klang  er selbst erst ermisst / Wie elend ein Verliebter ist.’(Auf ein Zwischenspiel folgt der Epilog): ,Uns lässt die Nacht heut keine Ruh / das Fenster lass’ ich offen stehen.’

Das ist kein Sommerhit, das ist ein Sommerdramolett …

Aber bei entsprechender Produktion merkt man vom Text gar nicht mehr viel. Text wird sowieso überbewertet.

… außerdem fehlt ein Mitsing-Refrain.

Das ist ja gerade, was mich von populären Sängern unterscheidet. Da weiß man schon, wie das Lied enden wird. Bei mir weiß man’s eben nicht.

Verbergen Sie in Ihrem Herzen etwa keinen Wunsch nach flächendeckender Popularität?

Es gibt Kollegen, die können an ihrer Sichtbarkeit und Popularität zielführend arbeiten. Ich kann nur an meinen Stücken arbeiten. Und ich tue gut daran, das unter den Gesichtspunkten zu tun, die mir wichtig sind. Damit ist immer die Hoffnung verbunden, dass das auch andere gut finden. Aber der Schuss kann natürlich auch nach hinten losgehen.

Zum Jubiläum erscheint ein Songbook „20 Lieder aus 20 Jahren“: Hoffen Sie, dass Nummern wie Ihr Lehrerzimmer-Hit „Deutschlehrer“ Unterrichtsstoff werden?

Das ist ja längst so. Der Song ist Bestandteil diverser Lehrmaterialien, zumindest der Text. Das Notenbuch mache ich hauptsächlich, weil mich immer wieder Leute nach Notenausgaben einzelner Stücke gefragt haben.

Gehören Sie zu denjenigen, die sich fürchterlich plagen müssen, um sich Lieder einfallen zu lassen oder fallen sie Ihnen zu?

Die Lieder nicht, aber die Ideen. Die Ideen sind ja gar nicht meine, die sind ihre eigenen, man muss sie nur annehmen. Die klopfen an die Tür wie Maria und Josef, und dann muss man ihnen eine Herberge geben.

Sie sind der Enkel des Philosophen Nicolai Hartmann, Sohn eines Studienrats, Schwiegersohn des Ex-Kultursenators und Museumsdirektors Christoph Stölzl, Schwager des Regisseurs Philipp Stölzl: Blickt die Familie auf Sie als abgebrochenen Philosophie- und Musikstudenten und praktizierenden Kleinkünstler herab?

Zum Glück zeigen sie mir das nicht so. (Lacht.) Meine Eltern können sich nicht beschweren, die sind ja selber schuld daran, was aus mir geworden ist. Meine Mutter hat mich schon lange vorm 18. Geburtstag zu meinen Konzerten gefahren.

Statt Politsatire zu betreiben, pflegen Sie als Texter lieber Alltagsphänomene – warum?

„Alltag“ lehne ich als Konzept ab: Das ist ein Unwort, eine Diffamierung, wenn nicht gar Propaganda, um Konsumsehnsüchte zu erzeugen: Dem Alltag will man immer entfliehen. Es gibt Alltägliches, das schon, aber keinen Alltag, nur das Leben. Mir geht es darum, Dinge zu zeigen, die sich an jedem Tag ereignen können und nicht um ganz spezielle, exklusive Situationen. Eine furchtbare Vorstellung, das Eigentliche und Wertvolle nur dort zu vermuten!

Sie schätzen klassische Musik – warum machen Sie keine?

Soll das eine Beleidigung sein?

Ach, Sie betrachten Ihre Lieder schon als moderne Klassiker?

Nein, das nicht gerade. Aber ich stehe kompositorisch nicht unter dem Zwang, mich von der klassischen Musik zu distanzieren.

Sie schreiben aber nicht gerade Rückert-Lieder.

Ja, aber doch nur, weil es gerade die schon gibt! Sonst wäre ich sofort dabei.

In der Kabarettisten-Kaste gibt es kaum Krawattenmänner. Sie sind erklärter Knotenträger: warum?

Na, eben um mich von der Kabarettisten-Kaste zu distanzieren. Das ist außerdem Kleidung, in der mich wohl und zugleich kostümiert fühle. Meine Krawatte ist ja auf besondere Weise gebunden - dies wiederum distanziert mich von der Banker-Kaste, für so einen möchte ich nun auch wieder nicht gehalten werden.

Welchen Knoten verwenden Sie denn?

Den Krämer-Knoten.

Natürlich. Und der schlägt sich wie?

Das ist ein Betriebsgeheimnis.

Warum bezeichnen Sie sich inzwischen lieber als Chansonnier denn als Kabarettist oder Poetry Slammer?

Poetry Slam war nur eine Episode, es ist außerdem kein künstlerischer Typus, sondern eine Veranstaltungsform. Und Kabarettisten sind destruktive Gestalten, die verunglimpfen, geißeln, durch den Kakau ziehen - alles Dinge, die bei mir zwar auch vorkommen, aber über die ich mich nicht definiere. Ich möchte nicht nur andern auf die Finger klopfen, auf ein mediales Geschehen reagieren, sondern wertschöpfend in Erscheinung treten. Andererseits sind die Bühnen, auf denen ich zu sehen bin, eben Kabarettbühnen, weil es im deutschen Kulturbetrieb weder Chanson-Bühnen noch -Sendeplätze gibt. Da ist das Kabarett ein Obdach, für das ich dankbar bin.

Sie neigen stilistisch gerne zu einer gewissen Gestelztheit, wie man am jüngsten Albumtitel „Tüpfelhyänen - Die Entmachtung des Üblichen“ ablesen kann: sind Sie ein humoristischer Snob?

Es ist ein Merkmal von Snobs, dass Sie niemals zugeben, einer zu sein, deswegen hat es wenig Sinn, mich das zu fragen. Den Titel finde ich aber gar nicht gestelzt, es ist ein kämpferischer Aufruf, entlegene Möglichkeiten in den eigenen Handlungsrahmen einzubeziehen, Eigenverantwortung zu zeigen, so gesehen fast schon ein politisches Programm. Ich benenne ja auf der Bühne gerne meinen kategorischen Imperativ: Handle stets so, dass du zugleich dulden könntest, für dieselbe Handlung nicht bezahlt zu werden, sondern noch zahlen zu müssen, um sie ausführen zu dürfen. Oder einfacher gesagt - tu was du für richtig hältst!

Das Gespräch führte Gunda Bartels. Das Konzert „20 Lieder aus 20 Jahren“ ist am Donnerstag, dem 6.11., um 20 Uhr im Heimathafen Neukölln

Zur Person:

Sebastian Krämer, 38, wurde in Bad Oeynhausen geboren. Seit 1996 lebt er in Berlin. Er ist künstlerischer Leiter des Zebrano-Theaters in Friedrichshain, wo er jeden Monat den Club „Genie und Wahnsinn“ moderiert und bei der Lesebühne „Dienstagspropheten“ auftritt. Der Pianist, Dichter und Liedermacher hat alles gewonnen, was Kleinkünstler in Deutschland gewinnen können: den Bundeswettbewerb Gesang, den Deutschen Kleinkunstpreis, den Deutschen Kabarettpreis und zweimal die deutschen Poetry-Slam-Meisterschaften. Er spielt 100 bis 150 Konzerte pro Jahr und hat zehn Soloalben veröffentlicht. Zuletzt 2013 „Tüpfelhyänen – Die Entmachtung des Üblichen“. Zum Bühnenjubiläum erscheint das Songbook „20 Lieder aus 20 Jahren“.

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