Comic-Bestenliste: Die besten Comics 2014 - Martin Jurgeits Favoriten
Welches sind die besten Comics des zu Ende gehenden Jahres? Das wollen wir von unseren Lesern und von Comic-Kritikern wissen. Heute: Martin Jurgeit, Chefredakteur der Fachzeitschrift "Comix" und Autor für den "Buchreport".
Derzeit fragen wir unsere Leserinnen und Leser, welches für sie die besten Comics der vergangenen zwölf Monate waren. Parallel dazu ist wie bereits in den vergangenen Jahren wieder eine Fachjury gefragt worden. Sie besteht aus Anne Delseit (AnimaniA, Comix), Lutz Göllner (zitty), Volker Hamann (Reddition), Matthias Hofmann (Alfonz), Martin Jurgeit (Comix, Buchreport), Stefan Pannor (Blogger, Spiegel Online), Frauke Pfeiffer (Comicgate), Andreas Platthaus (FAZ) und Lars von Törne (Tagesspiegel).
Jedes Jurymitglied ist aufgefordert, unter den im vergangenen Jahr auf Deutsch erschienen Titeln seine fünf Favoriten zu nennen, mit Punkten zu bewerten und die Auswahl kurz zu begründen. Daraus ergibt sich eine Shortlist, über die die Jury in Kürze endgültig abstimmt.
Hier dokumentieren wir die Favoriten von Martin Jurgeit, Chefredakteur der Fachzeitschrift "Comix" und Autor für den "Buchreport".
Platz 5:
"PIL" von Mari Yamazaki
Carlsen
Die japanische Manga-Zeichnerin Mari Yamazaki erzählt vom Leben in Japan in den 1980er Jahren, als die britische Punk-Welle in den fernen Osten schwappte. Ihre beiden Protagonisten, die vom Punk faszinierte Nanami und ihr Opa, der früher in England lebte, bilden eine sehr ungewöhnliche, konfliktbeladene Hausgemeinschaft. Yamazakis anschauliche und realistische Schilderungen lassen in den Boom-Jahren Japans schon neue soziale Konflikte aufscheinen. Damit stellt sich die Künstlerin mit diesem Werk auch in die Tradition der Gekiga.
Platz 4:
"Irmina" von Barbara Yelin
Reprodukt
Mit ihren Entscheidungen lenkt die junge Irmina ihr Leben unweigerlich in Bahnen, die sie so eigentlich nicht gewollt hat. Dass dieses Leben der verpassten Chancen vor dem Hintergrund der Nazi-Zeit abläuft, verleiht ihm zusätzliche Dramatik. Inspiriert wurde Barbara Yelin zu dieser Graphic Novel von den Erlebnissen ihrer Großmutter. Die unerfüllte Liebesgeschichte zwischen einer Deutschen und einem aus der Karibik stammenden Schwarzen, die sich 1934 in London treffen, ist überraschend und packt den Leser sofort. Dabei ist Irmina keine große Heldin, sondern sie arrangiert sich schließlich mit dem Leben im Nationalsozialismus und handelt dabei (schrecklich) normal. Ebenso wie auch wir womöglich gehandelt hätten?
Platz 3:
"Little Nemo – Gesamtausgabe" von Winsor McCay
Taschen
Der größte Comic des Jahres – und das ist zunächst einmal ganz wortwörtlich gemeint. Denn selbst ohne den Schuber und den Hardcover-Einband zählen die puren Druckseiten dieses von Alexander Braun herausgegebenen Bandes stolze 34 mal 44 Zentimeter. In diesem Riesenformat entfaltet sich Winsor McCays "Little Nemo" in einer kaum vorstellbaren Opulenz. Und was genauso bemerkenswert ist: Hier erscheint "Little Nemo" tatsächlich zum ersten Mal wirklich komplett von der ersten bis zur letzten Seite. Die Suche nach den späten Folgen von Mitte der 1920er Jahre war absolute Pionierarbeit! Denn zwischenzeitlich war "Little Nemo" tatsächlich schon einmal fast vergessen und wurde nur noch in wenigen Zeitungen abgedruckt. Gut, dass die Serie jetzt mit diesem Prachtband für immer der Nachwelt in ihrer ganzen Laufzeit erhalten bleibt und von jedem gelesen werden kann.
Hier lesen Sie, welches die Top-Favoriten von Martin Jurgeit sind
Platz 2:
"Comixzeichner in Berlin" von Tomas Bunk
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Schon einmal, im Sommer 2008, hat Tomas Bunk in der FAZ einen autobiografischen Comic veröffentlicht, in dem er erzählte, wie er nach New York ging und sich dort als Comic-Zeichner etablieren konnte. Anfang dieses Jahres folgte jetzt gewissermaßen die Vorgeschichte, die seine Zeit (nicht nur) in (West-)Berlin schildert. Das ist spannende deutsche Comic-Historie und ein großartiges "Familientreffen" mit Bunks Kollegen, darunter Hansi Kiefersauer, Volker Reiche, Bernd Pfarr, Gerhard Seyfried und viele mehr. Und das zeigt vor allem auch wie experimentierfreudig und vielseitig der Comic-Strip in der FAZ immer war. Da wird in den nächsten Jahren schmerzlich fehlen.
Platz 1:
"Kinderland" von Mawil
Reprodukt
Oft können künstlerische Werke, auf die man jahrelang warten musste, zwangsläufig nur enttäuschen, so sehr werden sie unweigerlich mit Erwartungen überfrachtet. Bei "Kinderland" von Mawil ist das ganz anders. Hier entpuppt sich der elendig lange Entstehungsprozess tatsächlich als notwendige Reifezeit, die ein Meisterwerk ermöglichte. Ein Werk, das dabei – nicht nur zeichnerisch – eine berauschende Leichtigkeit beibehält. Das hebt "Kinderland" von anderen Comics ab, die sich mit der Wendezeit beschäftigen. Mawil schildert eigentlich nur sein Alltagsleben als Kind in der DDR. Doch dabei bekommen wir viel mehr ein Gefühl für die ostdeutschen Verhältnisse im Jahr des Mauerfalls als in unzähligen anderen Büchern und Dokumentationen voller Fakten.
Die Favoriten der anderen Jurymitglieder veröffentlichen wir nach und nach:
Hier gibt es den Beitrag von Andreas Platthaus, hier den von Anne Delseit, hier den von Stefan Pannor, hier den von Lutz Göllner, hier den von Matthias Hofmann und hier den von Volker Hamann. Und hier finden Sie die Empfehlungen unserer Leser. Am 11. Dezember geben wir die Gewinner der Gesamtauswahl der Jury bekannt.
Martin Jurgeit
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