Comic-Bestenliste: Die besten Comics 2014 - Andreas Platthaus' Favoriten
Welches sind die besten Comics des zu Ende gehenden Jahres? Das wollen wir von unseren Lesern und von Comic-Kritikern wissen. Heute: FAZ-Redakteur Andreas Platthaus.
Derzeit fragen wir unsere Leser, welches für sie die besten Comics der vergangenen zwölf Monate waren. Parallel dazu ist wie bereits in den vergangenen Jahren wieder eine Fachjury gefragt worden. Sie besteht aus Anne Delseit (AnimaniA, Comix), Lutz Göllner (zitty), Volker Hamann (Reddition), Matthias Hofmann (Alfonz), Martin Jurgeit (Comix, Buchreport), Stefan Pannor (Blogger, Spiegel Online), Frauke Pfeiffer (Comicgate), Andreas Platthaus (FAZ) und Lars von Törne (Tagesspiegel). Jedes Jurymitglied ist aufgefordert, unter den im vergangenen Jahr auf Deutsch erschienen Titeln seine fünf Favoriten zu nennen und die Auswahl kurz zu begründen. Daraus ergibt sich eine Shortlist, über die die Jury in Kürze endgültig abstimmt. Hier dokumentieren wir die Favoriten von Andreas Platthaus, stellvertretender Feuilleton-Ressortleiter der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und Autor mehrerer Bücher zu Comics und anderen Themen.
Platz 5
Tim Dinter: „Herr Lehmann“
(Eichborn)
Eine Literaturadaption, die einerseits dem Original von Sven Regener streng folgt, aber für die Wendegeschichte aus West-Berliner Sicht eine Kulisse findet, die mit größter Sorgfalt das Stadtbild des Jahres 1989 rekonstruiert. Tim Dinter, der seit anderthalb Jahrzehnten als zeichnender Flaneur und Chronist seiner Wahlheimatstadt bekannt ist, hat hier sein Meisterstück geschaffen, was umso beeindruckender ist, als dass er selbst damals noch gar nicht in Berlin gelebt hat. Und überaus geschickt verdichtet er die literarische Vorlage, variiert einzelne Handlungselemente und betont andere stärker als im Roman, so dass „Herr Lehmann“ hier eine weitaus überzeugendere Umsetzung erfährt als in der Verfilmung von Leander Haußmann, die das Buch nur bebilderte. Dinter interpretiert es.
Platz 4
Katharina Greve: „Hotel Hades“
(Egmont Graphic Novel)
In „Hotel Hades“ entwirft Katharina Greve das Modell eines Jenseits, das mit der bürokratischen Akribie eines Großunternehmens organisiert ist. Dementsprechend gibt es Oben und Unten, und das erschöpft sich nicht nur in der Unterscheidung zischen Himmel und Hölle. Vielmehr gibt es auch für die Erlösten nur in der Ersten Klasse ein veritables Paradies, dem andere Verstorbenen als Subalterne zuarbeiten müssen. Greve erzählt mit bitterem Sarkasmus vom skurrilen Schicksal ihrer Protagonisten, die jene Eigenschaften, die sie schon im Leben ausgezeichnet oder verabscheuungswürdig gemacht haben, im Nachleben ebenso behalten wie Aussehen und geistige Disposition im Moment ihres Todes: wie auf Erden, so im Himmel. Umgesetzt ist das in einem gleichfalls geradezu bürokratisch klaren Schwarzweiß-Stil, der nur dann Farbe ins Spiel bringt, wenn es in den Exklusivbereich des Paradieses geht.
Platz 3
Sebastian Lörscher: „Making Friends in Bangalore“
(Edition Büchergilde)
Die Reise, die Sebastian Lörscher im Herbst 2011 in die indische Wirtschaftsmetropole Bangalore machte, währte nur ein paar Wochen, doch er brachte ein reich gefülltes Skizzenbuch mit und die Idee zu einem dokumentarischen Comic, in dem er auf höchst witzige Art von den Menschen erzählt, die ihm dort begegnet sind. Durchsetzt sind diese Episoden immer wieder von als Faksimiles gestalteten Reproduktionen der Skizzenbuchseiten, sodass Unmittelbarkeit und spätere Verklärung sich immer wieder ablösen. Der Witz, mit dem Lörscher die indische Gesellschaft über einzelne Persönlichkeiten porträtiert, wird aufs Schönste ergänzt durch die Originalität seiner ohne Panelbegrenzungen frei auf den Seiten arrangierten knallbunten Zeichnungen.
Hier lesen Sie, welches die Top-Favoriten von Andreas Platthaus sind
Platz 2
Mawil: „Kinderland“
(Reprodukt)
Im Reigen der Bücher zum 25. Jubiläum des Mauerfalls ist dieses außergewöhnlich, weil es eine DDR-Kinderperspektive einnimmt, die sich gar nicht für die Politik des Jahres 1989 interessiert, sondern für ein am 10. November bevorstehendes Tischtennisturnier. Dass dann durch die Ereignisse des Vortages alles anders kommt, gehört zum tragikomischen Ton dieses Comics, der für die zeitgeschichtlich wichtigen Geschehnisse ebenso überzeugende Bildlösungen aus der Sicht eines Halbwüchsigen findet wie für die sportlichen. Mawil lotet mit seinen Bilderfindungen, stummen Sequenzen und gewagten Seitenarchitekturen die Grenzen seiner Erzählform auf souveräne Weise aus.
Platz 1
Barbara Yelin: „Irmina“
(Reprodukt)
„Irmina“ erzählt vom „Dritten Reich“ aus der Perspektive einer Frau. Das ist schon bemerkenswert. Doch das ist nur ein Drittel des Geschehens. Barbara Yelin rekonstruiert auf der Grundlage des Lebens ihrer eigenen Großmutter die Biographie ihrer Protagonistin Irmina anhand von drei Episoden: der Ausbildung als Schreibkraft in England in der Mitte der dreißiger Jahre, die Ehe in der Kriegszeit und eine Reise nach Barbados in den siebziger Jahren kurz vor der Pensionierung. Verbunden sind sie durch das Thema der Liebe, das in England durch die Faszination für einen farbigen Studenten aus der Karibik eingeleitet, zurück in der deutschen Heimat durch die Verbindung mit einen NS-Günstling fortgesetzt und schließlich durch den Besuch bei dem einstigen Schwarm, der Gouverneur von Barbados geworden ist, beendet wird. In der Karibik begegnet Irmina einer jungen Frau, der Tochter des Gouverneurs, die dieser nach ihr benannt hat, und in dem Mädchen erkennt die Deutsche, was auch sie hätte sein können, wenn sie ihren Gefühlen gefolgt wäre: couragiert. So ist der Comic auch die große Geschichte eines subjektiv gescheiterten Lebens, das den Leser aber umso mehr beeindruckt.
Die Favoriten der anderen Jurymitglieder veröffentlichen wir nach und nach in den kommenden Tagen. Ebenso die Empfehlungen unserer Leser. Am 11. Dezember geben wir die Gewinner der Gesamtauswahl der Jury bekannt.
Andreas Platthaus
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