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Pop-Dominator. Udo Jürgens bei einem Auftritt seiner „Mitten-im-Leben“–Tour Ende Oktober in Stuttgart.
© Daniel Maurer/dpa

Nationalheiligtum Udo Jürgens: Deutschland versucht den Superstar

Pop, Schlager und die Angst, peinlich zu sein: Udo Jürgens ist längst im deutschen Kanon angekommen. Am Sonntag starb er mit 80 Jahren - und wird natürlich immer einer für alle bleiben.

Wenn man jetzt die Nachrufe auf Udo Jürgens liest, ist darin immer von dem „Sänger und Komponisten“ die Rede, von einem der „erfolgreichsten Chanson- und Schlagersänger“ der Nachkriegszeit, von einem Sänger, „der den deutschen Schlager geprägt“ habe wie kein zweiter. Man muss dann wohl nicht aus Deutschland kommen wie der Deutschland-Korrespondent der amerikanischen Nachrichtenagentur Associated Press, um einfach titeln zu können: „German language Pop Superstar Udo Juergens dies“. Um schreiben zu können, dass Jürgens jemand gewesen sei, „who dominated pop music in the German speaking world.“

Tatsächlich ist es seltsam, dass Udo Jürgens in Deutschland nie als „Popstar“ bezeichnet wurde, der er ja insbesondere in den letzten ein, zwei Jahrzehnten war. Zumal er ja früh auch international zu Ehren und Ruhm kam. Mit Pop, der Popkultur, überhaupt dem Wörtchen „Pop“ scheint man hierzulande immer noch seine Probleme zu haben. Sei es, dass jemand eben mehr ist als ein Popstar, also besser Sänger und Komponist, am allerbesten natürlich ein Künstler. Oder sei es, da kommen dann die Pop-Puristen, die Beatles-Fraktion usw. zum Zuge, dass er auch wieder viel weniger ist, nämlich „nur“ ein Schlagerstar. Man denke nur an Helene Fischer, die bekanntlich aus dem Schlager und der Volksmusik kommt, aber inzwischen gleichfalls ein „German language Pop Superstar“ ist.

Niemand wollte seine Auftritte mehr schlecht finden

Udo Jürgens blieb natürlich ein Kind des Schlagers, Jazz-Piano hin, Chanson-Orientierung her. Er ist zusammen mit dem Schlager groß und berühmt geworden, und natürlich lassen sich auch seine letzten Kompositionen noch als Schlager bezeichnen. Und doch hat man ihn in diesem Kontext überhaupt nicht mehr wahrgenommen. Denn er ist einerseits ein nationales Heiligtum geworden, das sich mit seinen Liedzeilen in unzählige, gerade auch gesamtdeutsche Biografien eingeschrieben hat. Andererseits hat man ihn soweit (eigentlich: pop)-kanonisiert, wie das hierzulande möglich ist.

Es heißt ja immer wieder, dass in Deutschland so etwas wie Pop nicht möglich sei. Dass es keine genuin deutsche Popmusik gebe, und wenn, dann nur als etwas radikal anderes, brachiales oder kaputtes, das international dann als „typisch deutsch“ durchgeht – von Kraftwerk bis zu den Einstürzenden Neubauten, von Rammstein bis Techno. Früher bewunderte man immer England, das Mutterland des Pop dafür, dass dort ein ganzes Fußballstadion, eben Menschen aus den unterschiedlichsten sozialen Milieus „Because maybe/You're gonna be the one that saves me/And after all/You're my wonderwall“ von Oasis singen oder „Angel“ von Robbie Williams grölen oder „Football’s Coming Home“ von einer Band wie den Lightning Seeds. Das schien in Deutschland unmöglich zu sein. 

Doch der Trend geht in die Richtung. Bei Udo Jürgens hatte man den Eindruck, auf seinen letzten Touren durchs Land, dass er einer für alle ist – und sich kaum noch jemand mit Grauen davon abwenden oder die Musik und die Auftritte von Jürgens richtig schlecht finden wollte. „Uncool“ war das lange nicht mehr, aber unter „Coolness“-Verdacht geriet Udo Jürgens auch nie, was wiederum für Pop-Langlebigkeit spricht. Schon eher lief das bei Udo Jürgens mehr und mehr in den Kategorien von „peinlich“ oder „unpeinlich“, und mit dem plötzlichen Gutfinden von „Griechischer Wein“, „17 Jahr, blondes Haar“ oder „Aber bitte mit Sahne“ kann man ja trotzdem noch immer seine liebe Not haben. So wie es dem Schriftsteller Andreas Maier widerfahren ist. Nach dem letzten Frankfurter Konzert von Udo Jürgens Anfang November schrieb Maier in der „FAZ“: „Ich glaube auch, dass das die Schwierigkeit ist beim Hören von Udo Jürgens: dieses Fremdschämen, das sich, wenn es den berühmten Udo-Jürgens-Klick im Kopf gemacht hat und man auf seine Seite geschwenkt ist, urplötzlich gegen einen selbst wendet. An Udo Jürgens zu scheitern heißt nicht, an seiner, sondern an der eigenen Peinlichkeit zu scheitern.“

Udo Jürgens war immer größer als Pur, Grönemeyer, Westernhagen

Nur stört das heutzutage niemand mehr, an der eigenen Peinlichkeit zu scheitern.  Peinlich, weil politisch blauäugig und bedenklich, war Udo Jürgens’ Aufnahme mit der deutschen Nationalmannschaft 1978, „Buenos dias, Argentina“. Da half auch das wehmütige „Der Mann mit der Mütze“ nicht, das Abschiedslied für den damaligen Bundestrainer Helmut Schön. Aber die siebziger Jahre waren sowieso das Jahrzehnt, in dem Jürgens dem kleinen Mann und der kleinen Frau aus der bundesrepublikanischen Seele sprach. Angeblich war „Buenos dias, Argentina“ sein größter finanzieller Erfolg. Die Richtung aber war da vorgegeben, Fußball, Pop!, und 1990 schrieb er mit „Sempre Roma“ ein weiteres Fußball-WM-Lied für die Deutschen. An das kann sich heute allerdings keiner mehr erinnern, weil Deutschland zu der Zeit noch ganz andere Freuden und Sorgen hatte und das Stück mit dem Refrain „Sempre Roma/wie aus Sonnenlicht gemacht/Sempre Roma/ von der Ewigkeit bewacht“ auch enorm schlicht war.

So wie sich dann aber in den hedonistischen neunziger Jahren aus viel gutem Pop auch viel schlechter Pop entwickelte, eigentlich alles zu Pop wurde - Pop II! - inklusive des nach wie vor unsäglichen Grand-Prix-Eurovision-Wettbewerbs, mit dem Jürgens’ Karriere 1964 -1966 begann, so wurde Udo Jürgens mehr und mehr von einem Schlager- zu einem Popstar. Er wurde zu einem, der immer größer als Bands wie Pur oder Musiker wie Herbert Grönemeyer oder Marius Müller-Westernhagen war. Und zu dessen Konzerten zunehmend ein Publikum zwischen 20 und 40 strömte. Da machte er sich in Interviews auch darüber lustig, dass „meine eigene Altersgruppe mich im Stich lässt“.

Aber ein Stück wie „Mit 66 Jahren“ war dann eben nicht nur ein gut gelaunter Hoffnungsspender für die Udo-Jürgens-Generation, sondern sprach und spricht gerade jene nachfolgenden (Turnschuh–)Generationen an, die Bücher wie „Schöne junge Welt. Warum wir nicht mehr älter werden“ veröffentlichte oder nur zu 50 für das neue 40 und 40 für das neue 30 hält. Dass Udo Jürgens letzter TV-Auftritt bei Helene Fischer stattfand, gewissermaßen seiner Pop-Nachfolgerin, ist eine Ironie dieses plötzlichen Todes und passt doch gut ins Bild.

Gerrit Bartels

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