Neue Westernhagen-Platte: Der Stadionrentner
Marius Müller-Westernhagen ist 64 Jahre alt und macht immer noch Musik. Mit dem neuen, in den USA eingespielten Album will er durch kleine Clubs touren. Weil er kein großes Publikum mehr findet? Ein Kaminbesuch.
Die Belle Étage des Münzsalons im Scheunenviertel ist eine exklusiver Stätte, holzgetäfelt und denkmalgeschützt, ein Herrenzimmer nach englischem Vorbild. Marius Müller-Westernhagen, auch ein Herrenzimmer und deutsches Vorbild, war er zumindest früher mal, stellt hier seine neue Platte vor. „Alphatier“ heißt sie, alle Journalisten zu naheliegenden Interpretationen einladend. Noch ist er nicht da, der Pfefferminzprinz, der Superstar der Achtziger und Neunziger, König über die Stadien. Dabei hat er es doch gar nicht weit, wohnt am Hackeschen Markt, den Witz zum in der Nähe situierten Seniorenheim spart man sich besser, den fand er schon 2010 nicht lustig. Rockstarsches Wartenlassen also, Zeit für ordnende Gedanken: Wie findet man ihn eigentlich? Früher, da hatte man eine klare Meinung zu Westernhagen, Liebe oder Hass, Schwarz oder Weiß, vielleicht auch ein bisschen was dazwischen, Freiheit, diese Hymne, Sexy, der Mitgrölrefrain, darauf konnten sich an der Kneipenjukebox alle einigen. Aber heute? Muss man ihn stützen, der Mann ist immerhin 64 Jahre alt, oder beklatschen, der Mann ist immerhin 64 Jahre alt?
Plötzlich steht Westernhagen im Foyer, fitzcararraldohaft aufgetaucht, und es erübrigt sich die Frage, ob er sich an seinem Frühwerk orientieren wird oder doch an den letzten Releases, denn der Düsseldorfer, Schlapphut, Sonnenbrille, Rockerstiefel, Ohrringe links und rechts, schwarze Weste und Siegelringe, piratenhaft gebogen, orientiert sich stylemäßig an Johnny Depp. „Oh, so viele junge Leute“, sagt Westernhagen und, im Sessel, in das Blitzlichtgewitter: „Das bin ich ja gar nicht mehr gewohnt.“ Er spricht es also selbst an. Die Zeiten, da Westernhagen Massen bannte, sind vorbei. Natürlich fasziniert er noch, nur mehr als Marke, nicht so sehr als Musiker. Die letzte Tour war kein Fiasko, ein Triumphzug allerdings auch nicht, manche Hallen blieben zu einem Drittel leer. Westernhagen als Radiogott, als Kanzlergast, das war gestern, gemessen in Legislaturperioden sogar vorvorgestern, Gerhard-Schröder-Zeit. Danach mischte sich der als Armani-Rocker Geschmähte zwar noch in die Spitzensteuersatzdebatte ein und beratschlagte Lena öffentlichkeitswirksam, aber – der große Hit blieb aus. Vielleicht auch deshalb nur eine intime Clubtour, Prelistening in schwitzigen Locations, zwölf Stationen insgesamt?
Nein, das will Westernhagen, in Röhrenjeans, mit Nulltagebart, nicht gelten lassen. „Die Idee zur Tour kam mir während der Aufnahmen. Ich und die Jungs dachten: Das muss man live spielen.“ Mit den Jungs meint er seine amerikanischen Mitmusiker, schon auf „Williamsburg“ war er mit ihnen im Studio. Kleine, bluesige Sessions. „Ich wollte, dass es so wird wie früher einmal“, sagt der Sänger, beinahe trotzig. Hinten, am Kamin, prunkt die Skulptur einer Meerjungfrau. Davor, im Ledersessel, schwelgt der ältere Herr Westernhagen in der Vergangenheit. Als Pfefferminz rauskam, habe er im Audimax in Hamburg vor Studenten gespielt, die Platte sei sogar verboten gewesen. Dahin will er wieder, vielleicht nicht zum Verbot, aber auf die kleinen Gigs, zu den jungen Leuten. Immatrikulierte erhalten ermäßigte Karten für die Konzerte 2014, die Clubtour zu nennen auch mutig ist. In Berlin bespielt Westernhagen immerhin die Columbiahalle. Egal, die Sprache der Jugend spricht Westernhagen, er beginnt Sätze mit „Das Ding ist ...“, er hat ein Smartphone, exponiert in der linken Tasche. Und er sieht fit aus, drahtig, fünf Mal die Woche Training. Reicht das, damit man ihm den Rocker abnimmt?
Westernhagen erzählt, die Tour werde reiner Spaß, niemand verdiene daran, weder er noch sein Promoter. Das heißt natürlich auch: Westernhagen kann sich das leisten, seine frühen Erfolge alimentieren ihn bis heute. So sehr, dass er manche Texte in Südafrika schrieb, er zeichnet das Setting nach, da, der Grübler, vor ihm der Ozean. Schöne, nachzuerzählende Bilder malen, das kann der Hutträger immer noch sehr gut, dieses feine Gespür für Theatralik, geschult in 50 Jahren Showbiz und davor als Messdiener, verlernt sich nicht. Weihrauch, Bibel, Herr Westernhagen, was predigen Sie in 2014? „Wenn ich das Album heute höre, bin ich glücklich. Ich kann gar nicht glauben, was wir da produziert haben.“ Nur die neuen Lieder will er in den Clubs spielen, keine Hitparade, kein Karrieremedley. Ein gewagtes Unterfangen, hat Westernhagen doch mehr als 11,5 Millionen Platten verkauft und genauso viele Herzen gebrochen, mit den alten Songs. Trotzdem, seine Entscheidung steht. „Die Karten werden sicherlich binnen kürzester Zeit vergriffen sein“, sagt der die Präsentation moderierende Peter Schwenkow, erster Geschäftsführer der Plattenfirma Deag. Marius Müller-Westernhagen lacht: „Dein Wort in Gottes Ohr.“
Am 29. April tritt Marius Müller-Westernhagen in der Columbiahalle auf, Tickets 49,90 Euro, ermäßigt 26,95 Euro. Der Vorverkauf beginnt am heutigen Dienstag.
Moritz Herrmann
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