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Abschied im Bademantel. Bei den Zugaben seiner Konzerte, hier 2003 in der Münchner Olympiahalle, trug Udo Jürgens stets dieses schneeweiße Kleidungsstück.
© picture alliance / dpa

Udo Jürgens ist tot: Merci, Udo

„Liebeslieder gehören natürlich dazu“: Udo Jürgens lebte für die Musik. Erst im November war er in Berlin aufgetreten. Am Sonntag starb er in der Schweiz an Herzversagen. Ein Nachruf.

„Dann kommt der große Abschied von der Zeit/ Es gibt kein Wiedersehen, /war sie auch noch so schön./ Dann kommt der große Abschied, sei bereit. / Denn alles wird vergehn, /die Welt, die muss sich drehen.“

Eigentlich unglaublich, dass Udo Jürgens diese melancholischen Chansonzeilen schon vor vielen Jahrzehnten gesungen hat. In einem Alter, in dem man doch eher von „17 Jahr, blondes Haar“ schwärmt, was er damals ja auch ausgiebig tat. Für Radiosender ein letztes, schon lange vor der Zeit des endgültigen Abschieds ersonnenes Geschenk. Denn sicher werden sie es jetzt wieder und wieder spielen neben seinen unzähligen anderen Hits: Am Sonntag, um 16.25 Uhr, ist Udo Jürgens in einem Krankenhaus in Münsterlingen, Schweiz, an Herzversagen gestorben. Bei einem Spaziergang in Gottlieben, Kanton Thurgau, sei der Künstler bewusstlos zusammengebrochen, sofortige Versuche zur Wiederbelebung seien erfolglos geblieben, teilte sein Management am Abend mit.

„Bin tief geschockt. Ein schmerzlicher Verlust“, meldete sich als einer der ersten Rocksänger Udo Lindenberg zu Wort. „Es ist, als wäre ein Familienmitglied von uns gegangen.“ Ähnlich werden jetzt viele in Deutschland und dem übrigen deutschsprachigen Raum fühlen. Über Generationen haben die Lieder von Udo Jürgens sie begleitet. „Er hat den Soundtrack zur Bundesrepublik Deutschland geschrieben in den letzten 50 Jahren“, so hatte Hape Kerkeling in dem vor wenigen Monaten auf Arte gesendeten Porträt „Der Mann, der Udo Jürgens ist“ von Hanns-Bruno Kammertöns und Michael Welch die Leistung des jetzt überraschend Gestorbenen bilanziert.

Anlass war Jürgens’ damals bevorstehender 80. Geburtstag. Er hatte damit ein Alter erreicht, in dem die meisten Menschen sich längst aus ihrem Beruf verabschiedet haben, aber das war bei Jürgens ausgeschlossen. „Ich mache Musik aus unendlicher innerer Begeisterung, das ist meine Triebfeder und sonst gar nichts“ – so hatte er es im Januar 2008 erklärt, als er im Club Adagio am Potsdamer Platz in Berlin seine neue Platte „Einfach ich“ vorstellte, sein 51. Studioalbum. Zwei kamen noch danach, das letzte erst Anfang dieses Jahres: „Mitten im Leben“ – ein Titel, der jetzt auf traurige Weise wirklich wurde.

Im Frühjahr steht die Premiere seines Musicals „Ich war noch niemals in New York“ im Theater des Westens auf dem Programm

Denn trotz seines Alters: Udo Jürgens stand mitten im Leben und hatte noch viel vor. Erst Mitte November war er auf seiner aktuellen Tournee in der Berliner O2 World aufgetreten, ein furioser, wie üblich heftig umjubelter Triumph, ein zusätzliches Konzert sollte im März nächsten Jahres folgen. Gewiss wäre Jürgens auch zur Berliner Premiere seines Musicals „Ich war noch niemals in New York“ gekommen, das im Frühjahr 2015 im Theater des Westens auf dem Programm steht. Denn Berlin, das liebte er, das hat er zu Beginn seines letzten Konzertes in der Stadt gesagt, so wie es ja viele Sänger bei ihren Auftritten, dem Publikum schmeichelnd, versichern, aber er konnte dies fast sogar beweisen: 80 Prozent seiner Schallplatten habe er in den Hansa-Studios in der Köthener Straße aufgenommen.

„Einfach ich“ allerdings nicht. Das entstand in den Londoner Abbey Studios, wo schon die Beatles ihre Platten produzierten. Das sei schon immer sein Traum gewesen, hatte er bei der Präsentation der Platte voller Stolz wissen lassen und zugleich betont, dass er die Platte mit einem 120-köpfigen Orchester eingespielt habe, „wer macht das heute schon noch.“

Doch, er hatte hohe Ambitionen und hat sie immer wieder erfüllt, alles andere als ein Sänger schnöder Schnulzen, wenngleich er auch vor dem Schlagergenre nicht zurückgeschreckt ist. Aber mehr war er doch dem Chanson verpflichtet, auch der hübsch anzuhörenden PopBallade mit subversiver Grundtönung, man nehme nur Songs wie „Dieses ehrenwerte Haus“, „Aber bitte mit Sahne“, „Griechischer Wein“ oder aber, von der „Einfach ich“-CD, „Total vernetzt“ – vielleicht nicht mehr so ohrwurmhaft wie die alten Hits, aber doch ein Indiz, dass Jürgens noch immer ein aufmerksamer Beobachter der Gesellschaft war und sie mit seinem musikalischen Mitteln sezierte, auf ungemein unterhaltende Art.

105 Millionen verkaufte Tonträger

Das war ihm nicht von Anfang an gegeben, vor den Höhenflügen kamen ziemlich karge Jahre. Am 30. September 1934 als Udo Jürgen Bockelmann in Klagenfurt in Kärnten geboren, versuchte er sich seit 1950 als Komponist und Sänger, schrieb sogar für Shirley Bassey und Sammy Davis jr., musste auf eigenen Erfolg als Sänger aber noch bis 1965 warten, als er mit „17 Jahr, blondes Haar“ einen Hit landete. Sein erster großer Triumph war der Siegerplatz beim Eurovision Song Contest 1966 mit „Merci, Chérie“, was ihm auch internationalen Erfolg brachte und zum wahren Auftakt für eine bis zuletzt anhaltende Karriere als einer der wichtigsten und erfolgreichsten Unterhaltungsmusiker hierzulande wurde.

Eine zudem ungemein ergiebige Laufbahn, mit mehr als 1000 komponierten Liedern, 53 Alben und 105 Millionen verkauften Tonträgern. Oft ging es dabei um große Emotionen: „Liebeslieder gehören natürlich dazu“, daran ließ er keinen Zweifel. Aber ebenso wichtig waren ihm Themen wie spießbürgerliche Scheinheiligkeit, Drogen, Krieg oder das Leben der Gastarbeiter, wie sie, als er „Griechischer Wein“ schrieb, noch genannt wurden.

Und er war ein begnadeter Entertainer, wie man bis zuletzt, gerade auch in Berlin, erleben durfte. Schon rituell dabei der Auftritt bei den Zugaben im weißen Bademantel. Konzerte auf Sparflamme, die kannte er nicht. Der in Arte gezeigte Film zeigt ihn beispielsweise auf einer Firmenfeier, für die er engagiert worden war: Der Saal denkbar ungeeignet für ein Konzert, das Publikum unwillig, nur an seinen Büfetthäppchen interessiert und zu Beifall anfangs ganz und gar nicht bereit. „Ich kann auch aufhören, wenn Sie wollen“, droht Jürgens ihnen und packt sie dann doch, mit „Ich war noch niemals in New York“. Es endet mit begeistertem Tanzen, Klatschen, Mitsingen. Udo, der Bühnenmagier, hatte es wieder einmal geschafft.

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