Kraftwerk in Berlin: Acht Konzerte in der Neuen Nationalgalerie
Zehn Jahre nach ihrem letzten Gastspiel spielt die Band Kraftwerk wieder in Berlin. Im Januar 2015 tritt sie mit Robotern und 3-D-Show in der Neuen Nationalgalerie auf: eine spektakuläre Konzertreihe pünktlich zur vorläufigen Schließung der Architekturikone von Mies van der Rohe.
Die Band Kraftwerk kommt nach Berlin - in die Neue Nationalgalerie. Vom 6. bis 13. Januar bespielt sie die gläserne Halle der Architekturikone von Mies van der Rohe, nachdem das Museum Ende des Jahres für eine mehrjährige Generalsanierung geschlossen wird. „Der Katalog – 1 2 3 4 5 6 7 8“, unter diesem Motto präsentieren Kraftwerk ihre acht Alben in acht aufeinander folgenden Konzerten. Die Präsentation als 3D-Show mit entsprechenden Brillen und Effekten fand zum ersten Mal 2012 im New Yorker Museum of Modern Art statt, gefolgt von Auftritten in London, Tokio, Sidney und der Kraftwerk-Heimatstadt Düsseldorf, ehe die Band nun erstmals seit 2004 wieder in Berlin zu hören sein wird.
Die aus 143 Fichten errichtete derzeitige Baumstamm-Installation des Architekten David Chipperfield muss Ende des Jahres dafür "in kürzester Zeit abtransportiert werden", sagte Udo Kittelmann, Direktor der Nationalgalerie, bei der Vorstellung des Projekts am Donnerstag in Berlin. Kraftwerk brauchen Platz, nicht zuletzt, weil für das Berlin-Gastspiel auch die berühmten animierten Roboter der Band wieder mit von der Partie sein sollen. Die Synthese aus Mensch und Maschine ist Kernthema "meiner Schulband", wie Kittelmann sagt. Er war mit 14 zum ersten Mal auf einem Kraftwerk-Konzert - "und seither haben sie mich begleitet." Von den Impulsen des Kollektivs zieht Kittelmann die Parallele zum 1968 errichteten Mies-Bau: "Wenn dies ein visionärer, utopischer Gedanke von Gebäude ist, dann steht Kraftwerk für einen visionären, utopischen Gedanken von Musik."
Kraftwerk stehen für Präzision, Exzellenz - und Robotertränen
Das Quartett aus Düsseldorf gehört zu den einflussreichsten Bands der Popgeschichte. Die "New York Times" sprach schon 1997 von den "Beatles der elektronischen Tanzmusik". Und Martin L. Gore, Songschreiber der in den frühen 80er Jahren gegründeten Synthie-Superband Depeche Mode, schrieb letztes Jahr im "Daily Telegraph": „Für jeden in unserer Generation, der mit elektronischer Musik arbeitete, waren Kraftwerk die Paten.“ Das beinhaltete Gruppen wie OMD, Human League, die Pet Shop Boys, Yazoo, Musiker wie Gary Numan, Giorgio Moroder und Harold Faltermeyer. Und ab Mitte der 80er Jahre die ersten DJs von Westbam, Sven Väth bis zu den harten Technoklängen aus Detroit. New Wave, Synthie-Pop, Techno: Kraftwerk erarbeiteten die Blaupause für die Popmusik von heute. Längst verstehen sie sich nicht mehr als Band, sondern als Multimediaprojekt, das seine Auftritte aufwändig inszeniert.
Wie fing es an? Das von Ralf Hütter und Florian Schneider gegründete Quartett hatte im Nachkriegsdeutschland in Abgrenzung zur Kultur ihrer Väter ab 1968 seine eigene Formensprache entwickelt. Die vier Deutschen produzierten Musik, die mithilfe von Computern entstand. „Kraftwerk versuchten, wie Maschinen zu klingen“, sagt Boris Blank von der Schweizer Elektroband Yello. Das war neu, einzigartig – und irgendwie doch wieder sehr deutsch. Kühle, distanzierte, penibel getaktete Musik, das war ein bisschen so, als hätten sich Maschinenschlosser - geniale und pedantische Maschinenschlosser - entschlossen, Qualitätsarbeit zu vertonen.
Schon die Kraftwerk-Titel sprachen für sich: Auf „Autobahn“, ihr viertes, 1974 erschienenes Album, folgten Werke wie „Radio-Aktivität“, „Computerwelt“ und „The Mix“. Bloß nicht zu viel preisgeben, kühle Mysterien, verpackt in einen akkurat geschliffenen Soundtrack. Am Ende gelang Kraftwerk, was sie vielleicht nie beabsichtigten: Sie entlockten den Maschinen Emotionen. Die Spannung zwischen einer laienhaft gesungenen Textzeile und einer sauber eingespielten Keyboard-Melodie provozierte ungeahnte Gefühle. Vielleicht haben sie damit der Welt ein wenig gezeigt, wozu wir Deutschen fähig sind: Präzision, Exzellenz, und ja, Robotertränen.
Mit den Kraftwerk-Konzerten wird auch der vorläufige "schwere Abschied" (Kittelmann) vom Mies-Bau besiegelt. Immer wieder habe man versucht, diesen Abschied hinauszuzögern. Auch Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, spricht von einem „formidablen Schlussakkord“, bevor das Haus in die Sanierung geht – mit der „bedingungslos sichtbaren, transparenten Konstruktion und Klarheit einer architektonischen Raumplastik, die atmosphärenbildend wirkt“ als Rahmen. Kraftwerk suche die Verbindung zu einem Architekten, „den der Wille zur absoluten, zufallsfreien Schönheit über die perfekte Ordnung antrieb“. Laut Parzinger bringen Kraftwerk das „visuelle Gesamtwerk von Mies tonal zu einer nie da gewesenen Vollendung“".
Die Band schien stets darauf zu warten, "dass die Technologie mit ihren Ideen Schritt halten kann", ergänzte Benita von Maltzahn vom Volkswagen-Konzern am Donnerstag in Berlin. Das Unternehmen unterstützt die Auftrittsreihe - war doch bereits auf dem "Autobahn"-Cover neben einem Mercedes auch ein VW-Käfer zu sehen. Und Museumsdirektor hofft, die Kraft dieses Schlussaktes möge bis zur Wiedereröffnung der Nationalgalerie in vier, fünf Jahren überdauern.
Tickets gibt es online ab 15. November, 9 Uhr, unter www.kraftwerk.ticket.de. Bereits ab Mitternacht wird ein Ticketwagen vor der Neuen Nationalgalerie stehen. Pro Konzert werden 1700 Karten verkauft.
Ulf Lippitz, Tilman Strasser