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Ein Kaufhaus hatte während des Comic-Salons sein Schaufenster mit einer thematisch passenden Installation geschmückt.
© Lars von Törne 

17. Internationaler Comic-Salon Erlangen: Der Zukunft zugewandt 

Der Comic-Salon in Erlangen war wieder ein voller Erfolg, und das nicht allein auf Grund der Besucherzahlen – Kritikfähigkeit und Erneuerung sind konstante Bestandteile des Veranstaltungskonzepts.

Vier Tage, 25.000 offiziell gezählte Besucher und eine bei gefühlten 40° Grad über zwei Stunden durchgeführte Max-und-Moritz-Preisverleihung, darunter machen sie es nicht beim auf Twitter auch als #cse16 bekannten Comic-Salon. Nach einem mehrjährigen Totenschlaf erbarmte man sich dieses Jahr und besetzte den salonfähigen sowie -eigenen Account mit einer engagierten und vor allem mit den Twitternutzern interagierenden Mitarbeiterin; eine wohltuende Neuerung gegenüber dem oft kryptischen Schweigen der Twitter-Performances aus zurückliegenden Jahren. Das aktuelle Hashtag lockte auf Grund seiner Popularität letztlich sogar gänzlich andere Professionen an.

Nachdem aber der Röhrende Hirsch, inoffizielles Klatschorgan der sonst eher seriösen Veranstaltung, einige Besucher eh schon im Erlanger Rotlichtmilieu zu verorten glaubte, war dieser Zuspruch aus dem horizontalen Gewerbe wohl nur eine Frage der Zeit.

 In der Hitze der Nacht oder des Wahnsinns fette Beute

Doch wie immer ist selbst in an den Haaren herbeigezogenen Geschichten stets ein Körnchen Wahrheit verborgen, denn die Preisvergabe selbst bot, abgesehen von den klimatischen Bedingungen nebst Laufzeit und einer Moderation auf genau dem Zack-Bumm-Peng-Niveau, vor dem eingeschworene und wie stets überproportional mit Preisen bedachte Graphic-Novelisten fortwährend flüchten, einigen Anlass zur Kritik, wie sie in anderer Form bereits im Vorfeld der Veranstaltung geäußert wurde: Wohl ist der Frauenanteil bei den Nominierungen gestiegen, aber ausgezeichnet werden weiterhin nur selten Künstler, die thematisch eher zwischen allen Stühlen sitzen, sondern viel zu oft, und ich meine das jetzt mal im Wortsinn, Produktionen, die auf einen bestimmten Typ von Abnehmer zielen. Dass man übrigens bei der ICOM-Preisverleihung mittlerweile ebenfalls schon nicht mehr zwischen auf der Grenze zum verkapptem Werbeorgan und „reflektierendem Blick auf das Medium“ schwankenden Publikationen zu unterscheiden vermag, macht ein Hoffen auf eine Korrektur von Seiten der unabhängigen Institutionen gleichfalls obsolet.

Reflexiv ging es dagegen anderen Ortes zu, und zwar bei einem Beitrag über Manga, Frau und Science Fiction von Jacqueline Berndt. In ihrer als Vortrag getarnten erfahrungsorientierten Lehrstunde, die aber wegen der Informationsflut zuweilen doch im Frontalunterrichtsmodus stattfand, um mal bei den pädagogischen Begrifflichkeiten zu verbleiben, ging es zu wie im Treibstofftank einer Rakete; leicht entflammbar und beschleunigungsaffin.

In einem rasanten Tempo jagte die an den Universitäten von Kyoto und Stockholm bereits tätige Professorin durch ihren Stoff, wobei sie jedoch durch fortwährende direkte Publikumsansprache und Einbezug von Fragen an die Zuhörer ein Spannungsfeld zwischen Vortragender und Rezipienten erzeugte, um ihren Stoff adäquat übermitteln zu können. Die Institutionen, die Berndt Raum für ihre Arbeit gewähren, werden hier nur aus einem Grund derart dezidiert aufgeführt: Da beide Vorträge der Professorin sich mit dem Thema „Manga“ beziehungsweise „deutschem Manga“ beschäftigten, also unterste und allerunterste Schublade in der Hackordnung der deutschen Comic-Szene, machen wir uns einfach einen alten Trick der Graphic-Novel-Lobby zu Nutze, den diese gern nutzt, um von ihnen usurpierte Werke dem bildungsbürgerlichen Kanon unterzujubeln.

 Der Westen ist einsam

Doch zurück zum Lehrstoff, der wirklich an die Substanz ging: Zuerst wurde die westliche Auffassung von Science Fiction definiert, was hervorragend in den thematischen Überbau des diesjährigen Salons passte, der sich interkulturellen Fragen in jeder Couleur widmete; angefangen bei türkischen Comics und ihrem Kampf mit der Zensur, bis hin zu unterrepräsentierten weiblichen Stimmen im indischen Comic; Themen, die immer die Gefahr des angeblich so aufgeklärten und somit Überlegenheit implizierenden westlichen Blickes auf vermeintlich unterentwickelte Kulturen in sich bergen. Berndt attestierte der Science Fiction, respektive der Utopie/Dystopie in Manga/Anime einen Bedeutungsverlust für die gegenwärtige zeitgenössische Populärkultur, ein sicherlich nachvollziehbarer Gedanke für jeden, der einmal einen Blick auf Neuerscheinungen in diesem Segment geworfen oder sich mit dem Gedanken an eine mögliche Zukunft ausgehend von einer Gegenwart gemacht hat, in der zukünftige Entwicklungen im Minutentakt vorweggenommen werden.

Ein weiteres Fass wurde aufgemacht, als Berndt zur Gestaltungsanalyse nicht etwa einen der in den Konsens-Kanon erhobenen Klassiker wie „Akira“ oder „Ghost In The Shell“ erkor, sondern „Terra e...?“ von der Japanerin Takemiya Keiko. Eine schöne geschlechtliche Dopplung, da im Thema sichere und obendrein noch weibliche Vortragende auf derartigen Veranstaltungen ebenfalls nicht die Regel sind, auch nicht aus westlicher Sicht.

Die Sicht auf Panels und Gestaltung der Seiten indes ließ keine Fragen offen, daher der doppelsinnige Vortragstitel „Den Blick in die Zukunft lenken“. Und so wurden mittels vorbereiteter Folien über den Projektor gut nachvollziehbar und für jeden ansichtig an Hand von Pfeilen die in diesem Manga gleitende Lenkung der Blickrichtung der im europäischen Comic (oder von diesem beeinflussten Manga; als Gegenbeispiel diente Material von Jirō Taniguchi) üblichen Seitenarchitektur, die von Berndt als statisch definiert und somit von ihr für viele Manga als untauglich zur Beschreibung angesehen wird, gegenübergestellt, sowie der männliche Blick bei der Darstellung sexueller Interaktion aufgezeigt.

Das alleine hätte für eine abendfüllende Performance ausgereicht, jedoch verpasste Berndt ihren staunenden Zuhörern gleich noch einen Crash-Kurs zum zeitgeschichtlichem Hintergrund der Science Fiction der 1970er Jahre sowie den spezifischen Zuschnitten japanischer Publikationen, die Genre in der uns geläufigen Form eher hintenan stellen und Geschlecht und Alter sowie edukative Stoffe als Ausgangspunkte wählen. Was eventuell den Erfolg bei Mädchen und jungen Frauen zu Beginn der deutschen Manga-Euphorie in den neunziger Jahren erklärt, aber um dieses außerdem zu ergründen, dafür waren dreißig Minuten wirklich zu knapp kalkuliert. Daher traf man sich am darauffolgenden Tag erneut unter Jacqueline Berndts Ägide zum Plausch und sprach über die Unterschiede zwischen „richtigem“ Manga und dem deutscher Provenienz. Man blieb am Ball, der Zusammenprall der Kulturen kann sich ebenso in Haarrissen zeigen, ob „Je suis Charlie (Hebdo)“ oder nicht, deren provokanter Output ebenfalls exemplarisch mittels Ausstellung und Gesprächsrunden diskutiert wurde. 

Wir Kellerkinder 

Aber das überlassen wir den nicht so sehr an fachspezifischen Fragen interessierten Pressekollegen und spüren lieber entwicklungsgeschichtlichen Hintergründen des Kellerkindes im Comichochhaus nach, dem deutschen Manga, auch gern als Mango oder Germanga veralbert, und seinem japanischen Vorbild. Sämtliche Skandalwächter nebst inhaltlich interessierten Teilnehmern waren jedenfalls in aufgeräumter Stimmung oder gar mit Kuscheltier erschienen, ebenso war zeichnerische Prominenz in den Besucherreihen auszumachen. Die Vertretung des Kaiserreiches übernahm Kan Takahama, die just mit „Stille Wasser“ einen erotischen Manga aus weiblicher Sicht vorgelegt hat. Der Band beinhaltet übrigens durchweg Kurzgeschichten, von denen mindestens zwei ein höheres Niveau aufweisen, weshalb das Verlagshaus geistesgegenwärtig entschied, noch einen „Graphic Novel“-Stempel draufzuhauen, man weiß ja nie.

Ebenfalls zugegen waren die in Folge des als „Hellagate“ bekannt gewordenen Vorfalls bei der Max-und-Moritz-Preisverleihung von 2014 neubestellte Manga-Beauftragte des Comic-Salons, Martina Peters, sowie die in sekundären Aspekten nicht ganz unbeschlagene Inga Steinmetz, beide zudem Produzentinnen von Manga aus heimischen Gefilden.

Auch hier war Berndt an weiblichen Perspektiven und genre- beziehungsweise mediumsspezifischen Definitionen interessiert, wie sie das methodisch-didaktisch umsetzte, zeigte den Profi und trennt die Spreu vom Weizen. So gab es neben den Projektionen von nicht immer jugendfreien Schaubeispielen ein zeitgleiches Weiterreichen der angesprochenen Werke an das Publikum. Am besten allerdings erschien die spontane Aufforderung an die beiden deutschen Künstlerinnen, ihre Gedanken zum Thema Manga auf einem Tablet zu visualisieren, was somit für alle Anwesenden auf der Leinwand zu beobachten war; so geht Medienkompetenz.

Was also ist deutscher Manga, wenn nicht Reproduktion von japanischer Fließbandware? Wo finden sich vom massenkompatiblen Mainstream abweichende Stilistiken wie sie beispielsweise Sasaki Maki oder Kiriko Nananan anwandten?

Nun, Olivia Vieweg, Asja Wiegand, Katja Klengel oder David Füleki kommen vom Manga, haben aber mittlerweile zu einer eigenständigen Form gefunden. Ebenso Hanna Wenzel.  Und von Teilen der seriösen Fachpresse wird kolportiert, dass selbst Art-Comic-Darling Anna Haifisch gegenwärtig mit derartigen Stoffen liebäugelt.

Dass das Dritte Reich thematisch in Deutschland gar nicht ginge, wie Inga Steinmetz zur Bandbreite der Darstellbarkeit anmerkte, stimmt so auch nicht ganz: Um einen Max-und-Moritz-Preis abzustauben, scheint die Bestellung dieses Themenfeldes mitunter gar zwingend notwendig. Außerdem, kurz danach kann man auch machen; also München 1945. Oder Luftwaffe 1946, aber da müssen Sie nach Amerika emigrieren, was thematisch als Beitrag zum übergeordneten Thema des Salons zählen würde, aber ich wiederhole mich, lesen Sie dazu bitte die einschlägigen Kollegen. Zum Beispiel, dass Comics die Flucht und Einwanderer als Thema entdecken. Was uns so noch gar nicht geläufig war. Die deutschen Teilnehmer der Gesprächsrunde „漫画meets Manga“ ordnen sich übrigens selbst dem Comic zu, denn nichts anderes bedeutet es ja auch. Irgendwie zumindest.

 Im Auge des Betrachters

 Bevor Sie jetzt fragen, ob der Tagesspiegel nicht in der Lage ist, seine Autoren mal zu einer Veranstaltung zu schicken, die sich mit „richtigen“ Comics befasst; das Künstlergespräch mit Andreas, Autor von Preziosen wie „Cromwell Stone“ oder „Rork“ wurde ebenfalls besucht. Andreas Martens, so sein bürgerlicher Name, wusste interessante Details aus seiner künstlerischen Laufbahn zu bereichern, doch konnte man sich des Eindrucks nicht erwehren, hier einem Dialog zwischen Idol und Fanboy, in dem Fall Andreas C. Knigge, beizuwohnen.

Was man noch hätte verschmerzen können, jedoch einen Künstler mit einem derart überwältigenden visuellen Stil ohne Bildmaterial vorzustellen... ja, sind wir denn beim literarischen Quartett? Oder bei Crumb, Shelton und Seyfried in München? Dass man über „direct coloring“ redete, riss es dann wieder etwas raus, ein bildlicher Vergleich wäre trotzdem schön gewesen, denn nicht immer sitzen nur Fachleute im Publikum. Jedenfalls, auf die Frage nach Veranstaltungsende an den Künstler nach seiner Twitter-Präsenz antwortete der ohnehin schon recht sympathisch erscheinende 65-jährige und schwer von Bernie Wrightson und den EC-Comics beeinflusste Zeichner, dass er den Kontakt mit anderen Künstlern und dem Publikum suche. Dass dies zudem der erste Besuch des Comic-Salons des in der ehemaligen DDR geborenen und später nach Westdeutschland umgezogenen, jedoch heute in Frankreich lebenden Martens war, ist kaum zu glauben. Es passt aber schon ein wenig zu den übergeordneten Themen des Comic-Salons, wie sie vermutlich in den diversen Produkten der Konkurrenz nachlesen können.

Das gilt vermutlich ebenso für Marguerite Abouet, deren Herkunftsort, die Elfenbeinküste, sowie ihr gegenwärtiges Leben in Frankreich, eine Menge Stoff zum Stichwort „Migration“ hergeben. Dass man dazu Bilder aus den besprochenen Comics zeigen könnte, war hier aber leider ebenfalls nicht angekommen. Oder von der filmischen Adaption von „Aya“. Natürlich ist es die hohe Schule der sich mit den visuellen Künsten befassenden schreibenden Zunft, verbale Entsprechungen für die Bilderwelten, die sie beschreiben zu finden, aber das war keine Rezension, sondern ein Gespräch. Die schwarze Künstlerin, nicht nur in Deutschland ein Bild mit Seltenheitswert, berichtete bei Christian Gasser von ihrer Biografie sowie von praktischen Überlegungen bei der technischen und inhaltlichen Umsetzung von „Aya“ in einen Film. So wurden die verschiedenen Dialekte der Bewohner der Elfenbeinküste, die Abouet im Comic unumsetzbar schienen, im Film mit Hilfe von diversen Sprechern ermöglicht. Da drängte sich die Frage nach dem Grund, also warum man medienspezifische Gestaltungsmittel wie Lettering oder den Einsatz von speziell geformten Sprechblasen in der eigentlichen Vorlage seinerzeit für unangebracht hielt, förmlich, ha ha, auf, aber leider blieb diese Frage ungestellt.

Dafür konnte man dann beim später erfolgenden „Captain Berlin“-Double Feature, bestehend aus Comic-Lesung und Filmvorführung lernen, dass Rainer F. Engel, auch als Zeichner der Comicserie in Erscheinung getreten, für die visuelle Gestaltung der filmischen Effekte ebenso verantwortlich war. Der Film von Jörg Buttgereit ist übrigens ein Multimediakind der schlimmsten Sorte; hervorgegangen aus einem Super-8-Film, einem Comic und einer Theateraufführung, die abgefilmt nachträglich mit Sprechblasen versehen wurde. Fehlt nur noch die Action-Figur und die Kritik an den das Land überschwemmenden Comic-Con-Gemischtwarenläden kann heimlich, still und leise zurückgezogen werden. So sind wir eben, wir Kritiker.

Ernsthaft, es ist nicht so, dass wir mit Steintafeln vom Berg heruntersteigen und unser Wort Gesetz wird. Kritik ist ein Meinungsangebot, ein Denkanstoß. Das Kritik zudem gelesen wird, und dass sie unterschiedlichste Reaktion provoziert, konnte man auf dem 17. Comic-Salon in vielen Gesprächen erfahren. Überwiegend wurde kontrovers, aber immer fair darüber diskutiert, und es wäre schön, wenn in Zukunft der Comic-Kritik wieder ein Platz bei den dort stattfindenden Podiumsgesprächen eingeräumt werden könnte. Dass die Institution Comic-Salon lernfähig ist, hat sie sowohl bei der Neubesetzung der Max-und-Moritz-Jury bewiesen, wie auch bei der verstärkten Präsenz von Manga auf dem Salon: in Gesprächsrunden, sowie bei den Ausstellungen. Zudem wurde eine Beschwerdestelle eingerichtet, die in Fällen von sexueller Belästigung und Übergriffen eingeschaltet werden kann.

Das ist es, was dem Comic-Salon sein Alleinstellungsmerkmal verleiht: fortwährende Reflexion und das Umsetzen von Kritik. Bis 2018, Comic-Salon Erlangen, I'm so in love with you.

Oliver Ristau

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