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Kosmopolitisch: Eine Seite aus Orijit Sens "Hair Burns Like Grass", die in der Ausstellung "Rising India" gezeigt wird.
© Orijit Sen

Internationaler Comic-Salon Erlangen: Wir sind dann mal weg

Am Donnerstag beginnt der 17. internationale Comic-Salon im fränkischen Erlangen - und ganz Comic-Deutschland rüstet sich für eine Pilgerreise. Ein Ausblick aufs Programm.

Ganz Deutschland? Nun, eventuell nicht ganz; der neuerdings boomende Markt der unter dem Titel „Comic-Cons“ firmierenden multimedialen Gemischtwarenläden hat für das Wochenende nach dem Comic-Salon, der vom 26. bis zum 29. Mai stattfindet, einen Termin in Hannover anberaumt, der eventuell einige potenzielle Salon-Teilnehmer vor die Gretchenfrage „Wie hältst du's mit der Kunst?“ stellt.

Die Barriere zwischen den Medien wird in Erlangen zwar ebenso verwischt, seines eigentlichen Fokus und dem Stellenwert des Comics ist man sich dagegen jedoch durchaus bewusst.

 Butti bei die Fische, Kinder an die Macht

So fällt einem beim Durchkämmen des aktuellen Verzeichnisses der am diesjährigen Comic-Salon teilnehmenden Künstler auf der im neuen Design daherkommenden Website beim Buchstaben „B“ das Aufeinanderfolgen von Webcomikerin Sarah Burrini und Filmregisseur Jörg Buttgereit ins Auge.

Erstere betreut in ihrer Webcomic-Serie „Das Leben ist kein Ponyhof“ das ehemalige Mafia-Mitglied und gelegentlichen SM-Sexspielchen nicht abgeneigte Pony „Butterblume“, zuweilen auch „Butti“ benamst, während Letzterer von den Anhängern seiner für den hiesigen Filmmarkt eher wohltuend ungewöhnlichen Filme und Hörspiele sowie neuerdings auch Comics verehrte Künstler ebenfalls gerne als „Butti“ tituliert wird.

Eine Koinzidenz, die dem Comic-Salon so schnell keiner nachmacht; so viel ist sicher, da können sie beim Comic-Con noch so viele Big Bang of Thrones-Starlets rankarren.

Präziser Pulp: Jörg Buttgereits "Captain Berlin" als Comic.
Präziser Pulp: Jörg Buttgereits "Captain Berlin" als Comic.
© Weissblech

Sicher ist ebenso, dass Comics nicht mehr nur für Kinder sind, aber jetzt doch wieder. Daher ruft man unter maßgeblicher Involvierung des Reprodukt'schen Backkatalogs nach den von Graphic Novels einst vergraulten Rotzgören, die es nun ob schwindenden Haupthaares und mäßiger Umsätze wieder rausreißen sollen.

Grundsätzlich ein begrüßenswertes Unterfangen; denn Nachwuchsförderung ist immer auch Sinnstiftung; der etwas unwillkommene Beigeschmack kommerziellen Interessen zuträgliche Arbeit zu leisten, lässt sich bei derartigen Veranstaltungen trotz Sponsorenschaft von Siemens und neuerdings auch Datev vermutlich leider nie ganz ausschließen. Aber Obacht, nicht dass Sie zufällig in einer Art Produktpräsentation landen, die Spreu ist hier vom Weizen nicht immer leicht zu trennen.

 Join the Andy Gang

Das gilt ebenso für die Moderatoren der diversen Veranstaltungen, deren Qualifikation sich einem nicht in jedem Fall so recht erschließen mag; einige interessant besetzte Darbietungen seien hier daher genannt:

Andreas trifft Andreas zum Beispiel: Einer der wenigen internationale Anerkennung genießenden deutschen Comickünstler, nämlich Andreas Martens, trifft auf Andreas C. Knigge. Mag Knigge sich auch von seinen radikaleren Wurzeln, vortrefflich ausgelebt in der ersten Inkarnation der „Comixene“ der 1970er Jahre, welche mit den verschnarchten Nachfolgeprojekten unter gleichem Namen wenig bis nichts gemein hat, verabschiedet haben, eine gewisse thematische Kompetenz kann und muss hier vorausgesetzt werden.

Der Prophet im eigenen Land: Eine Szene aus "Cromwell Stone" von Andreas.
Der Prophet im eigenen Land: Eine Szene aus "Cromwell Stone" von Andreas.
© Schreiber & Leser

Der britische Comic-Experte Paul Gravett reitet zwar inzwischen manchmal gern den halbtoten Graphic-Novel-Gaul, aber wir wollen nicht so sein, schon gar nicht, wenn es um indische Comics und insbesondere um die Rolle der Frau in diesen geht.

Türkische Früchte und japanische Aromastoffe

„Seien wir ehrlich, wir wissen gar nichts über den türkischen Comic!“ Über etwas mehr Hintergrundwissen scheint Didier Pasamonik zu verfügen, stellvertretender Herausgeber des Onlineportals actuabd. Der Blick auf eines unserer größten Partnerländer in vielerlei Hinsicht birgt sicherlich interessante Erkenntnisse. Etwas in Vergessenheit geraten ist unter anderem im kollektiven deutschen Comicbewusstsein, dass in den 1970er Jahren Sezgin Buraks viriler Schwertschwinger Tarkan recht erfolgreich an deutschen Kiosken reüssierte und es dabei auf immerhin 100 Ausgaben brachte, wobei die letzten sechs allerdings nur noch in der Schweiz und in Österreich vertrieben wurden.

Was uns zu Burcu Türker bringt, die weniger das Schwert, dafür aber die Feder beziehungsweise den Zeichenstift schwingt, und die für ihren autobiografisch gefärbten Comic „Süße Zitronen“ zuletzt von der Berthold-Leibinger-Stiftung ausgezeichnet wurde.

Farblich exaltiert. Eine Seite von Burcu Türker.
Farblich exaltiert. Eine Seite von Burcu Türker.
© Burcu Türker

Eine gänzlich andere Klientel bedient Reyhan Yıldırım; in einer dem Manga aus deutscher Produktion gewidmeten Ausstellung werden unter anderem auch Arbeiten der über türkische Wurzeln verfügenden Künstlerin vorgestellt.

Zusammenfassend bleibt zu sagen, dass Frauen, in der Szene jahrelang unterrepräsentiert, vermehrt präsent sind. Dass es sich dabei zudem um Künstlerinnen handelt, die vom üblichen „weiß, männlich und alt“-Modell abweichen, bedeutet einen Fortschritt, da können Sie zudem jeden Koloristen fragen.

Passend dann auch das Gespräch über „Manga, Frau, Science Fiction“, denn zweifellos hat der Erfolg der japanischen Bildgeschichten mit oft von den marktgängigen Stoffen des europäischen und innerdeutschen Marktes abweichenden Rollenbildern einen Zustrom von am Comic Interessierten befördert, die sich in den traditionellen franko-belgischen oder US-amerikanischen Produktionen nicht oder kaum wiederfanden.

Qual der Wahl, international

Überhaupt ist der 17. Ausgabe des Comic-Salons eine sehr kosmopolitische Attitüde zu attestieren, was sich im Vorfeld bereits in den von einer Vielzahl an internationalen Künstlern gestalteten Plakaten zeigte, das Künstlergespräch mit der ivorischen Szenaristin Marguerite Abouet ist ein weiteres Indiz dafür.

Grenzübergreifend erhellend: Eine Szene aus "Aya" von Marguerite Abouet und Clément Oubrerie, zu sehen in der Ausstellung "Die wunderbare Welt der Marguerite Abouet".
Grenzübergreifend erhellend: Eine Szene aus "Aya" von Marguerite Abouet und Clément Oubrerie, zu sehen in der Ausstellung "Die wunderbare Welt der Marguerite Abouet".
© Abouet & Clément Oubrerie Gallimard, 2016

Die Elfenbeinküste durchlief zwar eine französische Kolonialherrschaft, doch der belgische Blick auf derartige Ereignisse mag hier grenzübergreifend erhellend sein. Im Rahmen der Vorstellung von Comics aus Flandern und den Niederlanden ist Olivier Schrauwen unter den Gästen, dessen Werke sich häufig mit den Aspekten belgischer Kolonialherrschaft auseinandersetzen. Das markiert zudem einen der Höhepunkte aus editorischer Sicht, denn zusammen mit seinen Kollegen, unter anderem Brecht Evens, soll an jedem Tag des Comic-Salons ein Druckwerk der Künstlertruppe erscheinen, dessen Herausgabe von keinem Geringeren als der niederländischen Comicinstitution Joost Swarte beaufsichtigt wird. Eine schöne Ergänzung zum ebenfalls täglich unters Volk gebrachten Klatschblatt des Röhrenden Hirschen.

Wem allerdings dieses immense Angebot an Gesprächen, Lesungen, Film- und Theatervorführungen sowie Preisverleihungen und Ausstellungen, welches zudem mit Diskussionen zu gegenwärtig vieldiskutierten Themen wie Religion und Satire ziemlich am Puls der Zeit ist, nebst Cosplay, Partys und nicht zu vergessen, Signierstunden, zu viel wird, dem bietet Robin Vehrs eine für jeden praktikable Alternative an.

 Das komplette Programm des Internationalen Comic-Salons finden Sie online hier: www.comic-salon.de.

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