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Comics richtig lesen will gelernt sein. Und das Analysieren auch. Auf dem Comic-Salon gab es zu beidem viele Gelegenheiten.
© Lars von Törne

Internationaler Comic-Salon Erlangen: Verführer und Verführte

Ein Thema, über das selten diskutiert wird, dessen Erörterung aber überfällig ist – auf dem Erlanger Comic-Salon 2014 wurde der Versuch unternommen, Kritik an der Comic-Kritik zu üben.

Überschrieben war die Gesprächsrunde mit „Die deutsche Comic-Kritik – Von Comics und Graphic Novels, Hoch- und Subkultur, Comic-Preisen und Qualitätskriterien“. Das hätte für mindestens vier Podiumsdiskussionen gereicht. Nach anfänglichen Irrwegen fokussierte man sich dann doch noch auf den gegenwärtigen Stand der Comic-Kritik in Deutschland.

Marc-Oliver Frisch, freier Autor und Mitglied des Fachmagazins „Comicgate“ sowie Übersetzer, hatte auf seinem Blog „Comiks Debris“ unter dem Titel „Über Comics lesen macht doof“ einen Rundumschlag gegen die seiner Meinung nach defizitären Methoden der Auseinandersetzung mit Comics bei Preisverleihungen und vor allem seitens der deutschen Comic-Kritik, vornehmlich der des Feuilletons, geführt.
Eine ernsthafte und ehrliche Kritik wird von ihm weitestgehend vermisst, auch sei das angemessene Handwerkszeug für eine Auseinandersetzung mit dem verhandelten Subjekt so gut wie nicht bekannt oder vorhanden. Kurz, alles wird ohne tiefergehende Analysen hochgejazzt oder wohlwollend durchgewunken, und das böse Wort von den alles bejubelnden 'Klatschpappen' war in der Welt.

Von Dreckspatzen und Schmutzfinken

Nicht wenige empfanden diese Äußerungen als Nestbeschmutzung. Kein Wunder in einer Comic-Szene, deren vorherrschende Grundeinstellung mit „Wir-haben-uns-alle-lieb“ grob umschreibbar ist. Manch einer mag auch an die Krähen, welche ihren Artgenossen kein Auge aushacken, denken.

Grund genug für die Organisation des Comic-Salons, eine Diskussionsrunde dazu einzurichten, was man zu allererst positiv bewerten muss. Außer Frisch lud man den ebenfalls um kritische Äußerungen ungern verlegenen freien Journalisten Stefan Pannor ein; weiterhin Jutta Harms, zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit des Reprodukt-Verlages aus Berlin, sowie Lars von Törne, den verantwortlichen Redakteur für die sich mit Comics befassenden Online- und Print-Auftritte des Berliner Tagesspiegels. Die Moderation oblag der ebenfalls als Journalistin tätigen Brigitte Helbling von der Hamburger Arbeitsstelle für graphische Literatur, und flugs begab man sich in die Erörterung der Ursachen von, ja, was war gleich noch mal das Thema?

Lars von Törne erläuterte die Schwierigkeiten, eine nicht nur in diesem Lande jahrelang als minderwertige Unterhaltung empfundene künstlerische Ausdrucksform innerhalb der kulturellen Berichterstattung des Tagesspiegels zu etablieren. Gegenüber der Verlagsleitung gelang ihm dies über das Anpreisen des Zugewinns einer popkulturell affineren und somit jüngeren Leserschaft. Dies stellt in Zeiten einbrechender Auflagen- und Klickzahlen der alteingesessenen Medien ein gewichtiges Argument dar. Es ist aber auch Ursache für ein im Tagesspiegel oft gepflegtes positives Bewerten von Neuveröffentlichungen. Denn einer Vorstellung von Kunst, der in diesem Fall ein Produktcharakter innewohnt, mit Nichtkaufempfehlungen zu begegnen, mag sich den Skeptikern gegenüber dem zart sprießenden Keimling im Kulturgarten nicht erschließen. Mittlerweile ändert sich der rosige Blick der Frischverliebtheit langsam, was aber noch lange nichts über die Qualität der Bewertungskriterien an sich aussagt.

Mit der Graphic Novel ins Feuilleton

Ähnlich wirkte die Erklärung von Jutta Harms: Als Kleinverlag mit begrenzten Mitteln sah man sich gezwungen, ein Zeichen gegenüber den beginnenden Aktivitäten größerer Verlagshäuser im Bereich Comic zu setzen – auch um seine Produkte in den für den Umsatz wichtigen Buchhandlungen zu etablieren. Unter dem Begriff 'Comic' erschien Reprodukt dieses weitaus schwieriger wenn nicht unmöglich, und so ebnete die Etikettierung oder primäre Fokussierung auf ein Segment aus einer übergeordneten Kunstform auch den Einzug in die Feuilletons der großen deutschen Zeitungen, von denen mit Ausnahme der Frankfurter Allgemeinen Zeitung bis dato generell eine eher spärliche Berichterstattung über Comics erfolgte.

Stefan Pannor und Marc-Oliver Frisch stellten dann auf Nachfrage seitens Helblings noch einmal heraus, dass ihre Entscheidungen, neben ihren Tätigkeiten für andere Publikationen eigene Blogs zu betreiben, maßgeblich von der thematischen Freiheit und Schnelligkeit der Berichterstattung bestimmt würden. Pannor bemerkte überdies, dass er ein kritisches Stück wie das über den Gratis-Comic-Tag in dieser Form vermutlich nicht so einfach veröffentlichen könne.

Wie dem auch sei, die in der Überschrift benannten Themen wurden alle mehr oder weniger gestreift, eine Vertiefung fand auf Grund mangelnder Gesprächsführung nicht statt, und so blieb es Herrn Frisch überlassen, noch einmal klar zu benennen, was ihm am Herzen liegt. Zumal Brigitte Helbling es sich nicht nehmen ließ, hinterfragbare Äußerungen wie die von den „aufregenden neuen Graphic Novels“ oder der Rolle des Kritikers als Don Juan der Bildschriften zu beschwören, der den interessierten Leser „verführen“ müsse, also in etwa so, als ob der Comic-Salon erst seit 2008 existieren würde. Man fragt sich auch, was Verlierer wie Oesterheld und Breccia eigentlich früher so den ganzen Tag gemacht haben.

Qual und Wahl der Waffen

Diese Geisteshaltung führt dann eben auch zu der Denkweise, man müsse den bedürftigen und immer noch der Legasthenieförderung verdächtigen Bettelbruder Comic mittels halbseidener Tricks schleichend in den offiziell akzeptierten kulturellen Kanon überführen. Gut beobachten kann man dieses beispielsweise an der von Jutta Harms erläuterten Strategie, den Leser lieber über den Trend, als über die Kunstform selbst abzuholen, siehe auch den letztjährigen Hang zum Comic rund um die Küche. Eine andere Methode ist die im Subgenre Graphic Novel beliebte Literaturadaption, die sich, anstatt Eigenleistung zu erbringen, gern mit fremden Federn schmückt. Deren häufiges Scheitern mag nicht auf Phillippe Druillets Adaption von Flauberts „Salammbô“ zutreffen, aber unter anderem auf die in fast allen Feuilletons gefeierte Comicversion von Marcel Beyers beklemmenden Roman „Flughunde“, deren Bilder in der Umsetzung von Ulli Lust unter dem oft 1:1 übernommenen Text der Vorlage viel zu oft verblassen – und das ist hier keine Frage der durchaus gelungenen Koloration.

Doch um derartige Defizite überhaupt erkennen zu können, bedarf es einigen Aufwandes: Der Roman sowie der Comic wollen beide gelesen werden. Erst danach hat man eine Grundlage für eine Beurteilung mit vergleichendem Charakter. Man muss zudem um vergleichbare Werke wissen und über ein dem Gegenstand der Rezension angemessenes Vokabular verfügen. Hat man keines oder will sich nicht ständig der Filmkritik entstammendem Vokabulars bedienen, kann man es sich erarbeiten, aufbauend auf Fachliteraur, angefangen mit auch in deutscher Sprache verfügbaren Sekundärwerken. Ebenso steht es jedem frei, neue Bezeichnungen zu kreieren, das haben andere Disziplinen ebenfalls vermocht. Und ist Kritik nicht eine weitere Form kreativer Disziplin, wie Marc-Oliver Frisch suggerierte?

Jedenfalls hätten diese scheinbar nicht allen Teilnehmern klaren Grundvoraussetzungen einer unabhängigen Kritik in einer mit großzügigerem Zeitlimit ausgestatten Diskussionsreihe - ähnlich den Veranstaltungen der Comic-Forschung zum Webcomic - und einer klarer ausformulierten Zielsetzung eine wirklich fruchtbare Auseinandersetzung bewirken können.

Als man also schließlich wegen mangelnder Konfliktbereitschaft auf Initiative von Jutta Harms hin der überraschend großen Zahl an Zuhörern die Teilnahme an der Diskussion eröffnete, äußerte sich der Autor dieser Zeilen ebenfalls. Sinngemäß zusammengefasst war dieser Äußerung eine klare Ablehnung der Verführer-Rolle zu entnehmen. Dem wurde seitens einer Leserin aus dem Publikum widersprochen, der man doch bitte interessante Stoffe nahebringen möge.

Nun, die Intention der Kritik ist es sicher nicht, Verrisse am laufenden Meter zu produzieren. Andererseits ist sie aber auch kein Instrument der kulturellen Erziehung, das können die Leser bitte selbst tun. Sie ist weder positiv noch negativ in ihrer originären Intention, sie beschreibt einfach, was sie sieht, und entwickelt eine Idee dazu. Es geht nicht um Klatschpappen oder Verrisse. Es geht um den Willen zur Analyse. Aber damit können wohl noch nicht alle umgehen.

Oliver Ristau

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