"Die Soldaten" in der Komischen Oper: Der Mensch, das Vieh
Musiktheatralische Zumutung: Calixto Bieito und Gabriel Feltz bezwingen an der Komischen Oper das Monumentalwerk „Die Soldaten“.
Ein wahres Heer von Instrumentalisten fordert der Komponist Bernd Alois Zimmermann für seine 1965 uraufgeführte Oper „Die Soldaten“. 120 Musikerinnen und Musiker, die bei der Neuinszenierung des Mammutwerks in der Komischen Oper auf sieben Emporen eines gigantischen gelben Metallgerüsts sitzen. Zwar tragen alle Uniform, doch sie spielen nicht im Gleichtakt. Ein schrilles Kakophonie-Chaos hebt an, wenn das Licht im Saal ausgeschaltet und das Foto eines kleinen Mädchens auf dem halbtransparenten Gazevorhang verblasst ist: Blech- und Holzbläser schreien, Streicherfiguren schießen wild durcheinander. Später wird man auch Elektro-Orgeln hören, ein Cembalo, E-Gitarre, Tuba, Saxophon, Celesta, Zimbeln, Triangel, Becken, eine Jazz-Combo.
„Absurd bis zur Hässlichkeit auf der einen Seite, zerfetzt, ausgeglüht; auf der anderen von einer zauberhaft lyrischen Verhaltenheit und leuchtenden Schwebung, borkig und kristallin zugleich.“ Die Worte, mit denen der Komponist seine Begeisterung für die Sprache von Jakob Lenz beschreibt, umreißt durchaus auch das Ausdrucksspektrum von Zimmermanns Musik. An Lenz’ 1775 verfasstem Drama „Die Soldaten“ faszinierte ihn neben der Wortwahl auch der schnelle Wechsel kurzer und kürzester Szenen, mit dem der Sturm-und-Drang-Dichter die aristotelische Einheit von Ort, Handlung und Zeit aushebelt. Zimmermann spitzt dieses Prinzip im Libretto nochmals zu, lässt wiederholt mehrere Stränge der Geschichte um das Bürgermädchen Marie zeitgleich ablaufen.
Zehn Kilo wiegt die Partitur der "Soldaten"
Zehn Kilo wiegt die Partitur dieser musiktheatralischen Zumutung, die vom Auftraggeber, der Kölner Oper, zunächst als unspielbar abgelehnt wurde. Lange, so gibt Gabriel Feltz unumwunden zu, der in Berlin die Koproduktion mit der Oper Zürich dirigiert, habe auch er sich schwergetan bei der Vorbereitung. Dass die Umsetzung der „Soldaten“ auch dann noch eine Schweiß treibende Titanenaufgabe bleibt, wenn das Werk endlich „nicht nur im Kopf, sondern auch in den Armen“ des Interpreten angekommen ist, lässt sich am Sonntag beim Schlussapplaus an Feltz’ klatschnassem Hemd ablesen.
Uneingeschränkten Respekt nötigt dem Hörer auch die Art ab, mit der sich die Musiker der Komischen Oper auf Zimmermanns Privatversion der Zwölftontechnik einlassen. Weil sie es mit derselben Hingabe und Konzentration tun, mit der sie sich in dieser Saison bereits den jeweils angemessen authentischen Ton für französischen Frühbarock („Castor et Pollux“), amerikanisches Musical („West Side Story“) und deutsche Revueoperette („Clivia“) gefunden haben. Hier wird eine künstlerische „Geht-nicht-gibt’snicht“-Leidenschaft gelebt, die immer wieder und immer noch aus dem Geist des Gründers Walter Felsenstein erwächst: Avantgarde sein!
Bis an den Rand der Erschöpfung verausgaben sich in den zweieinhalb Aufführungsstunden auch die Chorsolisten und das gesamte, vielköpfige Sängerensemble. Es ist purer Lebensübermut, der Susanne Elmarks Marie ins Verderben führt. Als liebevoller Vater versucht Jens Larsen seine Tochter davon abzuhalten, mit dem aasigen Baron Desportes (Martin Koch) anzubändeln. Denn er weiß, was es bedeutet, Standesgrenzen zu überschreiten. Doch der giggelnde Backfisch will nichts davon hören. Kaum hat sie ihren bürgerlichen Verlobten (Tom Erik Lee) in die Verzweiflung getrieben, wird Marie von ihrem Adligen kalt abserviert, hängt sich einem ebenfalls triebgesteuerten Hauptmann (Günter Papendell) an den Hals. Als Gräfin de la Roche versucht Noemi Nadelmann noch, den Ruf des Mädchens wieder herzustellen, doch Marie entflieht. Als „Soldatenhure“ von aller Welt verachtet, muss sie am Ende um ihr Überleben betteln.
Parabelhaft wirkt das, wie im Epischen Erziehungstheater
Warum nur verfolgt man dieses Elend, ohne emotional durchgeschüttelt zu werden? Liegt es an Calixto Bieitos routinierter Regie? Seine Soldaten verhalten sich so viehisch, wie es zu erwarten war, wer nicht im kollektiven Stumpfsinn aufgeht, darum kämpft, Individuum bleiben zu können, krümmt sich früher oder später am Boden. Sehr parabelhaft wirkt das, ausgestellt, vorgeführt wie im Epischen Erziehungstheater.
Oder ist einfach die Zeit über diese „Soldaten“ hinweggegangen? Fast jeder der Uraufführungsbesucher von 1965 hatte die Auswirkungen des jahrhundertelangen Militarismus noch am eigenen Leib zu spüren bekommen, in diesen letzten Jahren, bevor sich das angestaute Schweigen der Bundesrepublik in den Studentenunruhen entlud, war diese Oper wegweisend. Die Türen allerdings, die damals aufgebrochen werden mussten, stehen heute sperrangelweit offen, aus dem Konfliktstoff ist Konsensmaterial geworden.
Der 1918 geborene Bernd Alois Zimmermann hat stets darunter gelitten, zu jener Zwischengeneration zu gehören, denen die Nazis die Jugend geraubt hatten, die sich nach 1945 nicht gegen die etablierten Altmeister wie Carl Orff und Werner Egk durchzusetzen vermochten, um schließlich von den jungen Wilden links überholt zu werden. Hans Werner Henze floh vor dem Dogmatismus der Serialisten nach Italien, Zimmermann blieb, litt – und zeigte mit seinem opus summum doch, wie tief seine Kunst in der Vorkriegszeit wurzelt. Ein 120-köpfiges Orchester, das ist Hybris à la Richard Strauss, während der bei aller Vielseitigkeit stets spröde, unsinnliche Klang klar von Schönberg kommt. Und ein Stimmenkomponist war Zimmermann sowieso nie, seine durch die Oktaven zuckenden vokalen Linien bestätigen jedes Klischee von „moderner Musik“, ebenso wie die vielen Passagen mit aggressiv-druckvollem Sprechgesang.
Aufgesetzt wirkt es schließlich, wenn der Komponist im Schlussbild überraschend die Verwendung von Lautsprechern fordert, aus denen Kriegslärm und Klagelaute dringen. Am Ufer eines Flusses soll sich laut Libretto dazu ein Zug gefallener Soldaten „ins Unendliche“ bewegen, per Filmprojektor wird eine „sich langsam herabsenkende Atomwolke“ auf den Bühnenhintergrund projiziert.
Dass sich Calixto Bieito diesen Regieanweisungen verweigert, ist verständlich. Die Bilder allerdings, die er stattdessen findet – Marie wird mit Blut übergossen, gleißendes Scheinwerferlicht blendet das Publikum – sind so abgenutzt, dass sie wie eine Kapitulation wirken.
Weitere Aufführungen am 20. und 25 Juni sowie am 1. und 9. Juli.
Frederik Hanssen
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