Calixto Bieito inszeniert "Hanjo" an der Staatsoper: In der Warteschleife
Neues Musiktheater aus Japan: Vor zwei Jahren hat Calixto Bieito die Kammeroper „Hanjo“ von Toshio Hosokawa bei der Ruhrtriennela inszeniert. Jetzt ist die Produktion an der Berliner Staatsoper zu sehen.
Wie komponiert man Warten? Toshio Hosokawa macht es so: flimmernde Liegetöne der Streicher, an den Rändern unscharf ausfransend, scharfe Windgeräusche der Bläser und gleich zu Beginn ein zaghaftes Glockenspiel, das gleich wieder von den Wogen überrollt wird. So entsteht ein dicht gewirktes, silbriges Klanggespinst, das sich hebt und senkt und trotzdem nicht behäbig zittert, sondern zu schockartigen Attacken in der Lage ist. Ein Psychogramm, ein Musik gewordenes Entschweben – in eine Wirklichkeit, die nur im Traum stattfindet.
„Hanjo“ heißt Hosokawas zweite Oper, 2004 hat er sie für Aix-en-Provence geschrieben, 2011 inszenierte Calixto Bieito sie bei der Ruhrtriennale in Koproduktion mit der Staatsoper, die sie jetzt in Berlin aufführt, wenn auch nur zwei Mal. Ein Kammerspiel, sechs Szenen, drei Personen, eine steht im Zentrum. Reine Symmetrie. Hanako ist eine Geisha, die Tag für Tag im Bahnhof auf die Rückkehr ihres Geliebten Yoshio wartet, mit dem sie einst Fächer tauschte: Treuebeweis und sexuell konnotiertes Symbol. Die Ausgangslage erinnert an Puccinis „Butterfly“ und natürlich an Beckett – und ist doch völlig anders. Jitusko, eine unverheiratet älter gewordene Frau, sieht in Hanako die Liebe brennen, die sie selbst nie erfahren hat, und nimmt sie zu sich. Doch Yoshio, der von der wartenden Geisha in der Zeitung gelesen hat, erscheint tatsächlich – und zwischen ihm und Jitusko kommt es zum Streit um Hanako.
Hosokawa, der in den 70er Jahren in Berlin und Freiburg studierte, entdeckte damals seine japanische Identität und setzte sich mit dem mittelalterlichen Nô-Theater auseinander. Masken, Gesang, Musik, Tanz: In der Form des Gesamtkunstwerks, im ausgeprägten Antirealismus und in der Stoffwahl besitzt die fernöstliche Kunstform Parallelen zur europäischen Oper. Auch „Hanjo“ ist ursprünglich ein Nô-Stück, geschrieben 1955 von Yukio Mishima. Diesen – englischen – Text machte Hosokawa zur Grundlage seines 80-Minüters.
Und doch sind es westliche Musiker, die Staatskapelle mit Günther Albers am Pult, die die Musik auf klassischen abendländischen Instrumenten spielen. Denn Hosokawa will den Nô-Charakter des Werks auf andere Weise erzeugen. Durch die Ruhepunkte des Schweigens etwa, die das Abgleiten Hanakos begleiten, oder durch die Windgeräusche, die den Berührungspunkt von Natur und Kunst markieren, ein für die japanische Musik bedeutsames Moment. Die Vokallinie der Sänger, die vom Sprechen langsam ins Singen gleiten, imitiert kalligraphische Zeichen, sie geht von einem Grundton aus, zu dem sie nach wenigen Schritten zurückkehrt.
Es ist eine radikal eigene Variante des Venusbergs, komplett der Welt entrückt, die hier entworfen wird. Die überraschend brave, realistische Inszenierung des einstigen Regieberserkers Bieito will dazu nicht recht passen. Bühnenbildnerin Susanne Gschwender hat Bieito ein Gleis quer über die Bühne gelegt, unter den Schuhen klackern Schottersteine, ein umgestürzter Baum zeigt an, dass hier schon lang kein Zug mehr gefahren ist. Schienen ins Nirgendwo, Ziellosigkeit, die erwartbaren Assoziationen stellen sich sofort ein. Personenführung ist hier nicht Bieitos Stärke, expressives Augenrollen und Händeringen verraten eher Ratlosigkeit gegenüber einer Musik, die vor allem von Hanakos wildem Verdämmerungswillen geprägt ist. Ingela Bohlin verleiht der Hauptfigur mit weißlich loderndem Sopran die fiebrigen Züge einer Wahnsinnigen im schmutzigen Hochzeitskleid, Ursula Hesse von den Steinen, die als Knusperhexe in „Hänsel und Gretel“ an der Komischen Oper eine andere böse alte Frau sang, ist als Jitusko eine Jungfer, die vom Leben nichts mehr erwartet und sich umso verzweifelter an Hanako klammert. Georg Nigl – Celli kündigen seinen Auftritt an – singt mit raumgreifend-drallem Tenor. Einer, der jahrelang nicht wusste, wie sehr er Hanakos Herz einst berührte. Jetzt will er sie zurückholen, mit Worten.
Doch es ist zu spät. Hanako erkennt ihn nicht mehr, sie hat sich so in ihrer Traumwelt eingesponnen und verpuppt, dass der reale Liebhaber dem nichts mehr entgegensetzen kann. Für Beckett war Warten die metaphysische Grundbedingung des Menschen überhaupt. Bei Hosokawa ist es anders. Hanako könnte ausbrechen, doch hat das verinnerlichte Bild des Geliebten bereits zu sehr Besitz von ihr ergriffen, sich ins grotesk Ritualhafte und Religiöse ausgewachsen. Der Selbstbetrug geht weiter.
Noch einmal am 30. Juni
Udo Badelt
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